«Online-Journalismus wird sich finanzieren lassen.»

Hansi Voigt, Chefredaktor des neu lancierten Online-News-Portal watson.ch, erklärt, wieso sein Portal eher einem Fernsehsender gleicht als einer Print-Zeitung, wieso in den traditionellen Medienhäuser die Redaktionen stetig ausgedünnt werden und welchen Nutzen Spiegel online aus der Kooperation mit watson zieht.

Der ehemalige 20 Minuten-Online-Chefredaktor Hansi Voigt kritisierte die Sparübungen der hiesigen Medienhäuser öffentlich und machte sich selbstständig. Die Lancierung seines Online-Newsportals watson.ch schlug landesweit hohe Wellen: Der Schweizer News-Markt soll mit einem Team von 55 Mitarbeitern und einem Startkapital von 20 Millionen von Zürich-West aus aufgemischt werden. In den Büroräumlichkeiten spürt man die Start-up-Atmosphäre: Im halbleeren Raum sind erste Tische und eine Unmenge an Bildschirmen und Laptops bereitgestellt; das junge Team ist konzentriert und freudig an der Arbeit. Dann kommt auch schon Chefredaktor Voigt, der sich prisma gleich als Hansi vorstellt.

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Du willst mit watson in fünf Jahren zur grössten Newsseite der Schweiz werden. Wieso glaubst du, dass dieses ehrgeizige Ziel möglich ist?

Man muss sich ein Ziel setzen. Ob man das Ziel am Ende auch erreicht, ist nicht so wichtig. Klar ist es realistischer zu sagen, dass wir in vier Jahren unter den Top drei sein werden. Damit wäre ich auch schon vollkommen zufrieden.

Fast alle Zeitungen kämpfen mit der Frage, wie im Online-Markt Geld zu verdienen ist, und suchen teilweise verzweifelt nach Lösungen. watson.ch gibt es nur online und nicht in Papierform. Wieso?

Es genügt ein Blick auf die Leute am Bahnhof oder im Bus. Vielleicht haben sie noch eine Zeitung unter dem Arm, aber ihre Aufmerksamkeit ist auf den mobilen Geräten. Und dort, wo sich die Aufmerksamkeit befindet, sind irgendwann einmal auch das Werbegeld und somit alle Marketinganstrengungen. Zudem bin ich der Falsche für diese Frage: Ich weiss, dass es möglich ist, sich mit Werbung zu finanzieren. Während meiner Zeit als Chefredaktor bei 20 Minuten trug sich das Portal um ein Vielfaches selbst und lieferte Millionenbeträge ab. In Zukunft wird es jedoch schwieriger werden, da es aufgrund der zunehmenden Konkurrenz einen Preisdruck geben wird.

Ist es eine falsche Strategie die Online-Inhalte kostenpflichtig zu machen, wie beispielsweise die NZZ dies tut?

«Die Rezeptur» gibt es nicht. Man muss ausprobieren, Fehler machen, scheitern und es neu versuchen – so wie wir das auch machen. Natürlich darf eine 250 Jahre alte Print-Marke nicht dasselbe machen, wie watson, das frisch in den Markt kommt. Uns verzeiht man vieles, der NZZ fast nichts. Die NZZ könnte durch ihre starke Marke digital in den ganzen deutschsprachigen Raum expandieren, da sie sehr viel Traffic aus Deutschland haben. Ich hab jedoch meine Zweifel, ob eine bezahlte Vermarktung des digitalen Inhalts funktionieren wird. Aber oft steht das für Print-Marken gar nicht im Vordergrund. Oft sind die Paywalls ein gutes Argument, um die Print-Abos teuerer zu machen und die Preiselastizität zu testen. Den Regionalzeitungen würde ich jedoch raten, Paywalls für ihre regionalen USPs aufzuziehen. Sie haben kaum eine Chance, sich online so zu kommerzialisieren wie nationale Medienmarken.

Sie sagten einmal in einem Interview, dass sie Geschäftsführer geworden sind, um Journalist bleiben zu können. Was wollten Sie damit sagen?

In einem grossen Medienhaus werden die Kosten für Druck und Vertrieb als fix betrachtet und die Redaktionskosten als variabel. Daraus folgt in einem schrumpfenden Markt verständlicherweise ein ewiges Sparen und ständiges Ausdünnen der Redaktion. Ich glaube, online kann man dieses Dilemma durchbrechen. Ich habe keine Vertriebs- oder Druckkosten, muss mir aber den Journalismus schon aus Marketingsicht leisten, denn nur durch Journalismus kann ich mich abgrenzen. Online-Journalismus wird sich finanzieren lassen. Aber der Ausfall der teilweise enorm hohen Print-Renditen wird er nicht wettmachen können.

Die Aktien der FixxPunkt AG werden zum Grossteil von AZ Medien (Peter Wanner) gehalten. Besteht hier nicht die Gefahr, zu abhängig zu sein?

Die Abhängigkeit ist natürlich total. Aber das lässt sich als mittelloser Journalist nicht vermeiden.

Es könnte das Gleiche passieren, wie mit 20 Minuten online: Dass am Ende dort eingespart wird, wo du es nicht willst.

Dieses Risiko hat man immer, solange man nicht selbst enorm reich ist. Es ist aber auch gut, einem Mehrheitsaktionär verpflichtet zu sein. Peter Wanner bringt uns als Investor das Vertrauen entgegen und wir müssen uns dieses Vertrauen natürlich auch verdienen. Wanner ist der Eigentümer, wir sind die Know-how-Träger. Ich empfinde das als recht ausbalanciert. Zudem bin ich selbst im Verwaltungsrat und kann auch dort Einfluss nehmen.

Ihr habt eine Kooperation mit Spiegel online. Wie kam es dazu? Was ist der Nutzen von Spiegel online durch diese Kooperation?

Das haben wir sicher auch dem hervorragenden Ruf von 20 Minuten online im deutschsprachigen Raum zu verdanken. Ich kannte die Leute von Spiegel, wie beispielsweise Mathias von Blumencron, und wir haben uns regelmässig ausgetauscht. Als wir loslegten, waren sie sehr an unserem technischen Know-how und an unserem selbst entwickelten CMS interessiert. In der Schweiz sind wir ausserdem viel weiter bezüglich mobiler Newsnutzung. Spiegel online gibt uns Inhalte, für die wir zahlen – jedoch nicht viel – und im Gegenzug vereinbaren wir einen regelmässigen Know-how-Transfer. Nächste Woche kommt beispielsweise eine ganze Delegation von Spiegel-Leuten für einen eintägigen Workshop vorbei.

Es hiess, watson.ch sei stark auf die watson-Community angewiesen. Bis anhin gibt es unter den Artikeln jedoch nur spärliche Diskussionen. Worin sehen Sie hier das Verbesserungspotenzial?

Kommentare freuen mich, mir ist aber viel wichtiger, dass die Leute die Artikel auf Facebook oder Twitter teilen. Wir haben mittlerweile regelmässig Artikel, die tausendfach geteilt werden und aus diesem Mechanismus heraus zehntausend bis hunderttausend Mal gelesen werden. Das ist viel. Wir haben am 23. Januar mit null Lesern gestartet. Der virale Mechanismus funktioniert.

Auf watson.ch trifft man seriöse Meldungen neben reisserischen Titeln oder sogar Falschmeldungen (gekennzeichnet durch einen kleinen Button «Falschmeldung») an. Besteht nicht die Gefahr, dass der Leser nicht mehr weiss, was Wahrheit ist und was Unwahrheit?

Wir machen bewusst den Spagat zwischen Seriosität und Unterhaltung. Das entspricht dem Leserbedürfnis. Wir bringen am frühen Morgen einen viel härteren News-Mix als am Abend, wenn die Leute müde sind. Klar sind wir etwas mehr boulevardesk als die klassischen Print-Tageszeitungen. Aber der Vergleich hinkt eh etwas. Denn eine Zeitung ist ein abgeschlossener Prozess, während ein Onlineportal eher dem Tagesprogramm eines Radio- oder Fernsehsenders gleicht. Ausserdem gehe ich davon aus, dass die heutigen Medienbetrachter nicht mehr als eine Herde dummer Schafe betrachtet werden sollten. Die User sind schlauer, als die meisten Journalisten denken. Wichtig ist bei allem die Transparenz. Sonst fühlt sich der User verschaukelt.

Momentan ist noch nicht ganz klar, wo watson.ch politisch einzuordnen ist. Weiss man da noch nicht wo man steht, oder verzichtet man bewusst auf eine klare Positionierung?

Ist das gut, wenn man nicht weiss, wo man politisch steht?

Ich finde schon. Das zeugt von einer gewissen Neutralität.

Wenn man uns als neutral wahrnimmt, finde ich das super. Wir haben keine Doktrin. Man sollte sich keine Denkschranken auferlegen und offen auf Themen zugehen. Unter unseren Journalisten gibt es einige wenige explizit Linke, kaum explizit Rechte, aber grundsätzlich entscheidet das Argument.

Wie kommt es, dass watson.ch nach so kurzer Zeit die am besten ladende und am einfachsten zu bedienende News-App der Schweiz ist? Hat man sich die besten Informatiker an Board geholt?

Ja, wir haben die besten Informatiker. Sie gehörten auch schon zu meinem Team bei 20 Minuten online. Zwei kamen dazu, die wahrscheinlich über Wasser laufen könnten und verstärkt werden wir von fünf ITlern unter Schweizer Führung in Warschau.

Bist du zufrieden mit den ersten Monaten?

Wir sind viel besser gestartet als geplant und wir werden inhaltlich zurzeit jede Woche besser. Der Trend ist also positiv. Aber zufrieden bin ich grundsätzlich nie. Es kann und muss immer noch besser werden.


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