Die Kampfdrohne ist eine «Wunderwaffe». Sie lässt sich aus sicherer Entfernung steuern, gleitet elegant über das Himmelszelt und tötet mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks. Die Drohne läutet eine neue Ära der Kriegsführung ein, mit möglicherweise schwerwiegenden Konsequenzen
Makeen, Pakistan, 23.Juni 2009 Explosionen! Schreie! Blut überall. Körperteile liegen herum. Der Boden ist übersät mit Leichen. Bei der Beerdigung von «Militanten», welche bei einem Drohnenangriff getötet wurden, schlugen die Amerikaner erneut zu. Je nach Quelle kamen dabei zwischen 60 und 83 Menschen ums Leben, darunter zehn Kinder. Einen hochrangigen Taliban hat man allerdings nicht getroffen. Zur gleichen Zeit sitzt Joe im 12’000 Kilometer entfernten Nevada auf einem Luftwaffenstützpunkt vor einem Bildschirm und betrachtet das Resultat seiner Arbeit. Die drei Raketen, die er per Joystick von einer Predatordrohne aus auf die trauernde Menge am andern Ende der Welt abgeschossen hat, haben ihr Ziel getroffen. Wie viele Menschen er dabei getötet hat und ob auch eine gesuchte Zielperson darunter ist, kann er aus der Distanz allerdings nur schwer einschätzen. Schon bald hat er genug von diesen unschönen Bildern. Nachdem er seinen Bericht geschrieben hat, meldet er sich ab und macht sich auf den Heimweg. Seine Familie wartet zu Hause bereits auf ihn.
Targeted Killing
So kafkaesk diese Szene auch anmuten mag, in der modernen asymmetrischen Kriegsführung sind solche Vorgänge nichts Aussergewöhnliches mehr. Allein in Pakistan haben die USA schon über 3000 Menschen mittels ferngesteuerter Drohnen getötet. «Targeted Killing» nennt Obama diese Strategie. Allerdings sind gerade einmal 1,5% der Getöteten tatsächlich sogenannte «High Profile Targets». Die überwiegende Mehrheit sind vermutete Militante oder Zivilisten, darunter auch häufig Kinder.
Neben der mangelnden Genauigkeit ist aber auch der strategische Nutzen dieser Angriffe stark umstritten. Umfragen belegen jedenfalls, dass die pakistanische Bevölkerung durch die Drohnenangriffe zunehmend antiamerikanischer wird. Spätestens seit seinem Treffen mit der 16-jährigen afghanischen Nobelpreiskandidatin Malala sollte dies auch Obama wissen. Die junge Frau hatte nämlich den Mumm den tatsächlichen Friedensnobelpreisträger darauf hinzuweisen, dass die ständigen Drohnenangriffe ein katalysierender Treibstoff für den Terrorismus sind. Eine Studie der Stanford University hat zudem gezeigt, dass sich Kinder in den betroffenen Gebieten aus Angst vor Drohnenangriffen nicht mehr in die Schule getrauen.
Überhaupt missachten die USA mit ihrer de facto Kriegsführung die Souveränität anderer Staaten, sofern diese den Angriffen nicht ausdrücklich zugestimmt haben. Erst kürzlich hat ein pakistanisches Gericht die amerikanischen Drohnenschläge als Kriegsverbrechen bezeichnet und Entschädigungen für die Opfer sowie die Einsetzung eines internationalen Gerichts gefordert. Auch westliche Exponenten sehen in den Raketenangriffen aus der Ferne einen klaren Akt der Aggression. Im Frühjahr 2013 veröffentlichte Linda Bilmes, Professorin an der John F. Kennedy School of Government der Harvard Universität, eine Arbeit, welche die Drohnenangriffe in mindestens drei Ländern, Pakistan, Jemen und Somalia als unerklärte Kriege einstuft.
Der orwellsche Friedensnobelpreis
Obama ist nicht nur der Friedensnobelpreisträger mit den meisten autorisierten Drohnenangriffen nach, sondern auch vor und sogar während dem Erhalt des Preises. Selbst am Tag der Nobelpreisübergabe, dem 10. Dezember 2009, verübten die USA in Pakistan einen Drohnenangriff mit sechs Todesopfern. Damit beweist Obama, dass er mindestens genau so viel Zynismus besitzt wie das Komitee, welches ihm den Preis verliehen hat.
In den westlichen Medien wurde der Jubel der europäischen Obama-Anhänger durch die fast zeitgleiche Attacke jedenfalls nicht gestört. Solange die Drohnenangriffe nur irgendwelche bärtigen Pakistanis betreffen, stört das bei uns im Westen niemanden. Doch die USA «legitimieren» ihre Kampfdrohneneinsätze als ein Teil des «War On Terror» und dieser betrifft uns alle. Der «War on Terror» wurde von Bush Junior nach der Zerstörung der WTC-Türme ausgerufen. Im Gegensatz zu anderen Kriegen richtet er sich nicht gegen Staaten, sondern gegen kleinere Gruppen respektive Einzelpersonen, welche die USA als Terroristen ansehen. Dieser Krieg kennt keine regionale Beschränkung. Er wird weltweit geführt.
Doch ist der Kriegsbegriff im Kampf gegen den Terrorismus überhaupt angebracht? Prof. Dr. Bardo Fassbender, Inhaber des Lehrstuhls für Völkerrecht, Europarecht und Öffentliches Recht an der Universität St. Gallen, ist der klaren Meinung: «Das moderne Völkerrecht kennt Kriege nur zwischen Staaten. In diesem Sinne kann ein Staat keinen Krieg gegen eine terroristische Organisation führen und umgekehrt.» Gegen «Terroristen» müsste nach geltendem Recht also auf dem Weg der Polizei und Justiz und nicht mit dem Militär vorgegangen werden.
Der Begriff des «War On Terror» ist zusätzlich umstritten, weil ein Grossteil der Drohnenangriffe in Pakistan gar nicht durch die US-Armee, sondern durch den zivilen Geheimdienst CIA, also Zivilisten/Nicht-Kombattanten durchgeführt werden. Wie Fassbender erklärt, verwenden die Amerikaner den Kriegsbegriff einseitig: «Die USA waren nie bereit die Gegenseitigkeit der Rechtsstellung zu gewähren, welche ein integraler Bestandteil des anerkannten Humanitären Völkerrechts ist. Eine kriegsführende Partei hat neben Pflichten auch Rechte, was zum Beispiel die Behandlung von Kriegsgefangenen angeht. Diese Rechte haben die USA der Gegenseite jedoch stets verweigert und dazu eigens eine neue Kategorie «Unlawful Combattants» geschaffen.» Amerikanischer «Exceptionalism» wie er leibt und lebt.
Jeder ist ein Terrorist
Das wahrlich perfide am «War on Terror» ist aber, dass der Gegner unsichtbar ist. Es ist unmöglich zu wissen, ob und wann man diesen Krieg gewonnen hat. Böse Zungen würden vielleicht sogar behaupten, ein Sieg sei gar nicht das Ziel dieses Krieges (Orwell lässt schon wieder grüssen). Terroristen deklarieren sich selber nicht als solche. Wer bestimmt denn überhaupt wer ein Terrorist ist? Der Terrorist des einen, ist der Freiheitskämpfer des andern. Wenn Du jemanden auf offener Strasse ermordest, ist das dann Terrorismus? Wenn dieser jemand ein T-Shirt trägt, welches mit Kriegsveteranen sympathisiert, ist es dann Terrorismus? Bist Du ein Terrorist? Nein? Kannst Du das überhaupt entscheiden?
Diese terroristische Bedrohung ermöglichte den US-Behörden laut Prof. Fassbender unter anderem das inneramerikanische Recht so zu ändern, wie es sonst nur im Kriegsfall möglich gewesen wäre. Die Kompetenzen der Regierungen wurden massiv ausgebaut. Mit dem NDAA 2012 (National Defense Authorization Act) hat Obama die juristische Grundlage geschaffen, um jeden Terrorverdächtigen ohne Anklage auf unbestimmte Zeit einsperren zu können. Die UN Resolution 1267 raubt indessen Privatpersonen weltweit auch ohne Anklage diverse Rechte, wenn diese vom UNO-Sicherheitsrat auf Antrag eines Mitglieds zu einer Terrorliste von Al-Kaida oder den Taliban hinzugefügt werden. Dass allen Terroristen immer eine Verbindung zu Al-Kaida nachgesagt wird, ist also nicht nur Corporate Branding, sondern hat auch ganz praktische Gründe.
«I’m really good at killing people»
Was geschieht nun mit Dir, wenn Du einmal als Terrorist gebrandmarkt wurdest? George W. Bush schickte mutmassliche Terroristen noch ohne Anklage und ohne Prozess ins Folterlager nach Guantanamo. Sein Nachfolger Obama hat zum Glück erkannt, dass dies völkerrechtlich untragbar ist. Er lässt Verdächtige deshalb gleich töten. Das spart Kosten, Mühen und hält einem erst noch diese nervigen Menschenrechtsorganisationen vom Hals. Obama ist Gesetzgeber, Jury, Richter und Vollstrecker in einem. Mit Obamas Todesurteil dürfen die US-Drohnen jeden töten und Obama gibt sich nicht knausrig: Er hat schon mehr als 6-mal so viele Drohnenangriffe autorisiert wie Bush in seinen acht Jahren. Selbst vor den eigenen Bürgern macht das «Targeted Killing» keinen Halt. Justizminister Eric Holder musste einräumen, bereits vier US-Bürger, einen davon gezielt, durch Drohnenangriffe getötet zu haben. Besonders brisant: Der gezielt getötete US-Bürger al-Awlaki wusste wohl, dass er auf Obamas geheimer «Kill List» stand und suchte daher juristischen Schutz. Dieser wurde ihm jedoch von US-Gerichten verweigert.
Wenn wir den «War On Terror» nicht als solchen bezeichnen und Obama gemäss der Gewaltentrennung als nicht für die Justiz zuständig ansehen, bleibt eigentlich nur eine Schlussfolgerung: Obama erteilt Auftragsmorde! Der POTUS scheint jedenfalls durchaus gefallen an seiner «Kill List» gefunden zu haben. Das kürzlich erschiene Buch «Double Down: Game Change 2012» zeigt, wie Obama in einer Diskussion über Drohnenangriffe sogar damit prahlte «Turns out I’m really good at killing people.»
Zahl der Angriffe rückläufig, aber…
Tatsächlich konnte Obama mit seiner Drohnenpolitik in letzter Zeit aber auch ein paar Erfolge erzielen. Am 1. November konnte er beispielsweise den Talibanführer Hakimullah Mehsud erfolgreich von seiner Liste streichen. Fairerweise muss auch erwähnt werden, dass die Drohnenangriffe in Pakistan seit ihrem quantitativen Höhepunkt in 2010 stetig zurückgehen. Wer nun aber hofft, die Amerikaner hätten plötzlich moralische Skrupel, der täuscht sich.
Ausschlaggebend für diese Entwicklung dürfte in erster Linie die pakistanische (und amerikanische) Innenpolitik sein. Vor allem die Vorstellung, dass radikal-islamistische Kräfte die pakistanischen Wahlen 2013 gewinnen könnten, hemmte die Amerikaner. Doch weder durch den neuen pakistanischen Präsidenten Nawaz Sharif, der bei seinem Besuch in Washington Ende Oktober darauf drängte, die Drohnenangriffe zu beenden, noch durch den zeitgleich erschienenen Bericht von Amnesty International, der den USA Kriegsverbrechen vorwirft, liess sich Obama von seiner grundsätzlichen Drohnenstrategie abbringen. Auch die Legislative scheint kein allzu grosses Interesse an einem Ende des Drohnenkrieges zu haben. Congressman Alan Grayson (D-Florida) lud zwar eine pakistanische Opferfamilie nach Washington ein, um vor dem Kongress auszusagen, doch kuwaitische Babies scheinen dort deutlich beliebter zu sein als pakistanische Grossmütter. Zur Anhörung erschienen sind abgesehen von Grayson gerade mal vier Abgeordnete.
Ebenfalls wird die Problematik der Drohneneinsätze in Zukunft auch ausserhalb Pakistans zunehmen. Da Kampfdrohnen noch eine relativ neue Entwicklung sind, werden sie heute erst von drei Nationen (USA, GB, Israel) eingesetzt. Doch für Prof. Fassbender ist klar, dass die zeitverzögerte Weiterverbreitung von Waffentechnologie auch vor Kampfdrohnen keinen Halt macht. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Potentaten in Afrika oder dem arabischen Raum Zugang zu Kampfdrohnen bekommen, und diese dann auch gegen die eigene Bevölkerung einsetzen könnten. Auch terroristische Gruppen könnten in der Zukunft über Kampfdrohnen verfügen.
Töten wie an der Playstation
Die Drohne als Kriegswaffe fördert die Enthumanisierung des Gegners. Das Töten wird einfacher. Es ist emotional viel aufwühlender jemanden frontal zu erschiessen, als jemanden per Knopfdruck aus 12’000 Kilometern Entfernung in die Luft zu jagen. In US-Kreisen verwendet man den Begriff «Bug Splat» («Käfer zerklatschen»), wenn von der Tötung mutmasslicher Militanter per Drohne die Rede ist. Das echte Töten wird plötzlich fast so einfach wie an der Playstation. Um diese Entwicklung zu bekämpfen, hat das britische «Bureau Of Investigative Journalism» mit dem Versuch begonnen, alle Opfer von Drohnenangriffen zu benennen, um ihnen wieder ein menschliches Gesicht zu geben. Doch nicht nur moralisch, sondern auch politisch und finanziell wird es einfacher Krieg zu führen, wenn die eigenen Leute im «Kampf» nicht mehr gefährdet sind. Die Kampfdrohne bietet dem Angreifer klare Vorteile und ein tiefes Risiko. Dementsprechend tief ist die Hemmschwelle sie einzusetzen.
Dabei sind Kampfdrohnen nur ein Teil der ganzen Robotisierung des Militärs. Die Menschheit sollte es sich jedoch gut überlegen, wie sehr sie den Krieg robotisieren möchte. Menschen sind teuer, ineffizient und ein politisches Problem, wenn sie sterben und genau deshalb fördern sie auch den Frieden. Heute muss das Töten durch eine Drohne in der Luft oder einen Kampfroboter zu Lande immer noch durch einen Menschen autorisiert werden. Doch die Verlockung ist gross, den Robotern eines Tages mehr Autonomität zu gewährleisten. Ein Roboter, der Ziele automatisch erfasst und dazu die Lizenz zum Töten hat, ist gegenüber einem Roboter, der eine menschliche Autorisierung benötigt, aufgrund einer kürzeren Reaktionszeit im Vorteil.
Die Asimovschen Gesetze
Ich hoffe aber, Du hast genug Science-Fiction Filme gesehen, um zu wissen, dass autonome Kampfroboter dann die Weltherrschaft übernehmen. Ernsthaft. Roboter schlagen uns bereits heute in Jeopardy und Schach. Bei Fortdauer von Moores Law (Verdoppelung der Speicherkapazität alle 18 Monate) ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Roboter uns in allem überlegen sind. Selbst die effiziente Funktionsweise des menschlichen Gehirns wird nicht für immer unserer Spezies allein vorbehalten sein (Bsp. Human Brain Project, ETH Lausanne). Diejenigen unter euch, die des Russischen mächtig sind, wissen, wozu Roboter geschaffen werden: Zum Arbeiten. Schon heute gibt es Roboter, die Roboter bauen, die Roboter bauen. In Zukunft könnte der Mensch theoretisch endgültig auf der faulen Haut sitzen und die Roboter alle Arbeit verrichten lassen. Doch würdest Du gerne jemandem als Arbeitssklave dienen, der Dir intellektuell und physisch (bitte nicht beleidigt sein, ich rede von der Zukunft) unterlegen ist? Wohl eher nicht. Ein Aufstand der Roboter wäre vorprogrammiert. Um ein Szenario à la iRobot zu verhindern hat der Autor des Buches, Isaac Asimov, die Drei Gesetze der Robotik verfasst, denen jeder Roboter folgen muss:
1. Ein Roboter darf keinen Menschen verletzen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen.
2. Ein Roboter muss den Befehlen eines Menschen gehorchen, es sei denn, solche Befehle stehen im Widerspruch zum ersten Gesetz.
3. Ein Roboter muss seine eigene Existenz schützen, solange dieser Schutz nicht dem Ersten oder Zweiten Gesetz widerspricht
Natürlich bekämpfen die Asimovschen Gesetze nur ein mögliches Symptom (Roboteraufstand) und nicht die eigentliche Ursache (Robotische Überlegenheit). Diese kann meines Erachtens nur durch die Verschmelzung von Mensch und Roboter langfristig und nachhaltig gelöst werden. Trotzdem sollten wir Menschen uns in weiser Voraussicht auf jeden Fall an die Gesetze der Robotik halten, wenn wir intelligente Roboter erschaffen. Kampfdrohnen stehen in eindeutigem Widerspruch zum ersten Gesetz von Asimov und sollten auf keinen Fall das Recht bekommen, autonom zu töten.
Deshalb sollte man ernsthaft erwägen, ob man Kampfdrohnen nicht analog zu Chemiewaffen oder Streubomben international ächten und verbieten sollte. Auch Prof. Fassbender ist dieser Idee nicht abgeneigt: «Im Moment ist der Einsatz von Kampdrohnen völkerrechtlich per se nicht verboten, allerdings hinkt die normative Entwicklung der technischen immer hinterher. Es wäre sicherlich bedenkenswert Überlegungen zu einer Konvention anzustellen, welche Entwicklung und Gebrauch von Kampfdrohnen einschränkt oder gar verbietet.»