Frauen an den Herd! Wie drei Studentinnen zeigten, dass die alten Werte doch nicht so «passé» sind.
Irgendwann vor einiger Zeit hab ich mich furchtbar geärgert, weil in so einem Schundblatt stand, der moderne Mensch hätte keine Zeit mehr für ausgedehnte Mittagessen. Dieser Journalist und wohl auch seine Quellen nutzen ihre Tage wahrscheinlich nicht sehr effizient. Nichts motiviert so sehr wie die Aussicht auf eine köstliche Mahlzeit. Und nichts bereitet einen besser auf die Fortsetzung des Tagwerks am Nachmittag vor wie drei Gänge und ein kurzes Nickerchen.
Dass ein voller Bauch nicht gern denkt, kann man vielleicht bei wirklich beschäftigten Berufstätigen als Ausrede gelten lassen. Bei Studenten der HSG kann das nicht stimmen. Schliesslich muss man für ein Studium an dieser Universität nur in den seltensten Fällen denken (zum Beispiel, wenn man sich überlegt, wie man am besten um das grauenhafte Essen in der Mensa herumkommt).
Nostalgiegefühle
Aus diesen Gründen freute es mich sehr, dass der Termin für das erste Testessen dieses Semesters auf einen Mittag fiel. Auch wenn es ein wenig unzeitgemäss ist, fühlte ich mich wie einst mein Urgrossvater, der mittags zu einem gedeckten Tisch ins traute Heim ging. Dieses Gefühl wurde durch die gemütliche Atmosphäre in der Wohnung noch verstärkt. Bevor meine chauvinistischen Tendenzen jedoch endgültig die Oberhand bekamen, bewiesen mir Andrea, Bella und Lina, dass die Klischees wirklich nur auf den ersten Blick zutreffen.
Überlieferte Geheimrezepte
Nicht nur ging der Einkauf mit unglaublicher Effizienz vonstatten, sondern auch die Budgetlimite von sechzig Franken wurde nicht mal angekratzt. Zurück in der Wohnung wurde ich über das Menü informiert und meine urgrossväterlichen Gefühle hatten ihr Comeback. Passend zur Jahreszeit und zum St. Galler Wetter gab es eine Griessnockerlsuppe, Wiener Schnitzel und Kaiserschmarrn. Und das alles nach überlieferten Geheimrezepten, die sich wahrscheinlich schon seit Generationen bewähren. Dies freute mich, weil die Wahrscheinlichkeit, ein gutes Essen zu bekommen, höher ist, wenn keine grossartigen Geschmacksexperimente durchgeführt werden. Zudem hatten die geplanten Gerichte genau das Mass an Deftigkeit, welches das eingangs erwähnte ideale Mittagsmahl braucht.
Kugeln statt Schiffchen
Mit der gleichen Effizienz, die ich schon vom Einkaufen kannte, begann danach der eigentliche Kochprozess. In die frisch gemachte Gemüsesuppe kamen kugelrunde Griessnockerln. Eine Extravaganz, die mir nicht von selbst aufgefallen wäre, hätte man mich nicht darauf hingewiesen, dass Griessnockerln eigentlich mit zwei Löffeln zu Schiffchen geformt werden sollten. Wahrscheinlich sollten damit, in Verbindung mit Musik von den Dixie Chicks, meine etwas altmodischen Assoziationen bekämpft werden.
Klopfen, Hämmern, Stampfen
Während die besagten runden Griessnockerln also in der Suppe schwammen und sich dort appetitanregend ausdehnten, wurde ich Zeuge eines spektakulären Schauspiels. Die Wiener Schnitzel wurden geklopft. Besser gesagt, sie wurden gehämmert. Während der Korrespondent respektvoll einen Schritt zurücktrat, band sich Andrea eine Schürze um, krempelte die Ärmel hoch und hörte nicht auf mit dem Hämmern, bis das Fleisch quasi durchsichtig war. Nicht nur, dass ich mich seither darauf freue, mich bald auch mal beim Schnitzelhämmern auszutoben: ich glaube auch, dass etwas Bewegung vor dem Essen den Appetit durchaus anregen kann. Während die Schnitzel derart behandelt wurden, wurde die Suppe fertig und wir setzten uns an den Tisch.
Die Suppe hielt, was sie versprach. Man spürte direkt, wie einem die stärkende Gemüsebrühe in die Adern fuhr. Die Nockerln gaben der Sache ein bisschen Substanz und sorgten für ein erstes leichtes Sättigungsgefühl. Das war gut so, ich musste danach nämlich ziemlich lange auf den Hauptgang warten.
Deutschlands Röstigraben
In der Zwischenzeit bekam ich die Arbeitsteilung noch etwas genauer erklärt. Da es sich um ein bayrisch-österreichisch geprägtes Essen handelte, wurde Lina, die aus Norddeutschland stammt, aus der Küche ferngehalten und kümmerte sich vor allem um die Dekoration. Das einzige Zugeständnis, das an ihre Herkunft gemacht wurde, war die mayonnaisebasierte Sauce zum Kartoffelsalat. Diese wurde, Nationalstolz hin oder her, von Bella, der Österreicherin, fabriziert. Scheint fast so, als gäbe es in Deutschland auch so etwas wie den Röstigraben, nur dass der Unterschied eben in den Ansichten über die richtige Sauce zum Kartoffelsalat besteht, die man im Süden (und eben auch in Österreich) mit Essig und Öl macht.
Noch bevor ich genau verstanden hatte, wo diese Trennlinie liegt und vor allem wieso es sie gibt, war das Schnitzel fertig. Danach konnte ich auch nicht weiterfragen, die Schnitzel waren nämlich derart perfekt, dass ich mich nur noch auf mein Essen konzentrieren konnte. Aussen schön braun und innen wunderbar zart. Da ich mir eher die Schnitzelversion der Selbstbedienungsrestaurants in den Schweizer Skiorten gewohnt bin, war dies eine wahre Offenbarung. Leider kann ich nicht sagen, ob dies an der Zubereitung oder am Fleisch lag. Vermutlich aber schon an der fachgerechten Behandlung mit Hammer und Paniermehl. Auch der Kartoffelsalat mit der erwähnten norddeutschen Sauce, den es als Beilage gab, schmeckte sehr gut. Durch die Peperoni bekam das Gericht zudem etwas Farbe.
Mit Vanillesahne
Sobald sich dieser deftige Hauptgang etwas gesetzt hatte, wurde das Dessert aufgetragen. Auch der Kaiserschmarrn schmeckte so gut, dass wir gar nichts übrig liessen. Dies, obwohl auch hier die Portionen sehr grosszügig bemessen waren. Vielleicht hätte dieses Dessert noch etwas luftiger sein können. Zum Glück wurde Vanillesahne dazu gereicht, und da Schlagrahm bekanntlich quasi nur aus Luft besteht, kam so die gewünschte Leichte hinzu.
Ob es nun am erhöhten Zuckerspiegel lag oder einfach daran, dass das Blut mittlerweile vom Hirn in den Magen gesunken war – die Stimmung wurde immer gelöster. Unter viel Gelächter wurden Anekdoten aus den verschiedenen Vereinen an der Uni zum Besten gegeben. Sobald die vollen Mägen es erlaubten, räumten die drei den Tisch ab und ich begab mich nach Hause, wo ich mich gestärkt in den anstrengenden Studentenalltag stürzte.