Prof. Christoph Frei privat: Wer ankommt, muss losgelaufen sein

Von den Studenten wird er geliebt, in seinen Vorlesungen hört man von ihm häufiger den Ausspruch «gut so». Genau so sei auch sein Leben. Doch wie ist der Strahle-Professor ausserhalb des Hörsaales?

Prof. Christoph Frei privat
Prof. Christoph Frei privat

Am liebsten liegt er auf dem Sofa. Beide Beine über die Seitenlehne strecken und mit den Augen ein Schriftstück verschlingen, das ist eine der Lieblingsbeschäftigungen von Christoph Frei. Dabei sieht er von der Liegegarnitur aus dem Erker hinaus über den Osten St. Gallens. Das Sofa fügt sich gut in den modern-eleganten Wohn-Ess-Bereich ein. In der Wohnung ist Kunst omnipräsent. Wohin man schaut, ndet man Bilder und Skulpturen. Er habe sich schon von seinem ersten Lohn Kunst gekauft. Auch Künstler aus der Region scha en den Sprung in seine Wohnung, etwa der Altstätter Ferdinand Gehr oder der St. Galler Ernst Boda.

Die eigenen vier Wände als Lieblingsort

Prof. Christoph Frei privat
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Die Wohnung teilt Frei mit seiner Frau, welche er liebevoll Michi nennt, und dem Trüffelhund Bellini. Der Trüffelhund sei vielleicht auch ein wenig Kinderersatz, meint er mit Blick auf die Futternäpfe im Bad. Hund Bellini hat als Namensvetter einen italienischen Komponisten. Damit passt er gut in die Familie; Michi ist klassisch ausgebildete Sängerin. Erst vor fünf Jahren hat Frei die Sängerin geheiratet. Seit er mit ihr zusammen ist, sei er nirgends so gerne wie zu Hause. Nachdem er lange Zeit rastlos war, geniesst er hier die Ruhe.

Geboren wurde Christoph Frei 1960 als jüngstes von fünf Kindern in Frauenfeld. Schon früh ereilte ihn ein grosser Schicksalsschlag – sein Vater starb, als Frei zwei war. Die nächsten fünf Jahre verbrachte er ausserhalb seiner Familie. Zuerst den Vater und danach sozusagen die Mutter zu verlieren, habe ihn stark beeinflusst. Die Angst, das Liebste zu verlieren, wurde zum ständigen Begleiter in seinem Leben.

Zurück bei der Familie erlebte Christoph Frei eine emotional und materiell behütete Kindheit: «Wir lebten in einem Haus mit einem Hallenbad». Die Beziehungen in der Familie Frei sind sehr eng, so sind ihm die vier Geschwister noch heute die besten Freunde. Sein liebstes Hobby ist der Wettkampf gegen seine Brüder: «Welche Sportart ist egal, Hauptsache gegeneinander».

Aus dem Thurgau in die Klosterschule

Die Liebe zum Sport entdeckte er während seiner Zeit in der Klosterschule. Gemeinsam mit seinen Brüdern bildeten ihn dort ab seinem zwölften Geburtstag die «Padres» aus. Die Franziskanermönche seien stets gut zu ihnen gewesen. Christoph Frei ist ihnen sehr dankbar, unter anderem für eine solide Grundausbildung. Vielleicht, meint er, seien sie sogar ein wenig zu seinen «Ersatzvätern» geworden. Mit dem damaligen Schulleiter, einem Philosophen, pflegt Frei noch immer den Kontakt.

Prof. Christoph Frei privat
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Nicht nur die Liebe zum Sport, sondern auch die zu den Büchern hat Christoph Frei in der Klosterschule entdeckt. Noch heute lodert diese Liebe heiss; so quellen die Regale im Arbeitszimmer seiner Wohnung fast über. Dies ist jedoch nur ein Teil des gesammten Bestandes. Der Rest ist ausgelagert.

Seine Leseleidenschaft kam ihm während seines Studiums der Staatswissenschaften an der HSG zugute. Als Student absolvierte er diverse Praktika, unter anderem bei einer Bank in Chile. Immer wieder ging er in die Privatwirtschaft, jedoch war ihm bedrucktes Papier in Form eines Buches immer sympathischer als in Form von Banknoten.

So begann er nach dem Abschluss des Studiums, an seiner Doktorarbeit zu schreiben. In Amerika las er sich durch Quellen zu Morgenthau, dem Vater des klassischen Realismus. «Ich habe eine Forschungsfrage gefunden, die mich mit Haut und Haaren ins Thema hineingezogen hat.» Seine Arbeit gewann mehrere Preise; Schwergewichte der US-amerikanischen Politik wie Henry Kissinger gratu- lierten ihm persönlich zu seiner Publikation.

Als «kleiner Schweizer» in den USA genoss er neben seinem akademischen Erfolg auch die Freiheit. «Ich hatte das erste Mal das Gefühl, dass man etwas bewegen kann, wenn man sich engagiert.» Kurz nach seiner Ankunft wagte er sich an erste Vorlesungen. Auch sozial betrat er Neuland, über seinen Vermieter gelangte er in eine Baptisten-Kirchgemeinde.

Scheitern und lernen

Prof. Christoph Frei privat
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Zurück in der Schweiz konnte Frei an der HSG sein Wissen weitergeben und brachte den Studenten die Theorien der Internationalen Beziehungen näher. Dabei entdeckte er seine Leidenschaft am Unterrichten. Trotzdem blieb er nicht an der HSG. Sein Weg führte ihn weiter an die ETH Zürich, dann nach Paris, wo er an seinem bislang grössten Projekt arbeitete. Frei wollte die Geschichte der französischen Demokratisierung aufarbeiten. «Ich wollte das für Frankreich tun, was Tocqueville für Amerika getan hat – ein übermächtiges und verstiegenes Projekt. Natürlich ging ich mit wehenden Fahnen unter.»

Nach sieben Jahren in Pariser Bibliotheken kehrte er, ohne seine Arbeit abgegeben zu haben, in die Schweiz zurück. Er hielt das Resultat für nicht gut genug, wollte nichts Schlechteres veröffentlichen als seine preisgekrönte Dissertation.

Das war einer von vielen Rückschlägen. Beziehungen gingen in die Brüche, während Freunde heirateten, Kinder bekamen und Häuser bauten. Da habe er sich schon teilweise gefragt, was er eigentlich in den Pariser Bibliotheken mache. «Es gab Zeiten, da hat es mich schier zerrissen».

Frei war immer wieder für Banken tätig, ohne sich um die Posten gerissen zu haben. «Man darf es ja eigentlich fast nicht laut sagen – aber ich habe mich in meinem Leben kaum je auf einen Job beworben». Lange Jahre hat er für Bundesrat Kurt Furgler als Ghostwriter die Feder geschwungen. Nach seiner Rückkehr aus Frankreich folgten zwei Jahre als Dozent in Budapest. «Da merkte ich, jetzt kann ich etwas liefern, kann etwas weitergeben. Es ist etwas zusammengekommen; Wissen, Lebenserfahrung, ein bisschen Humankapital».

Doch noch ein Buch über Frankreich

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Freis Trüffelhund Bellini

Von Budapest ging es für Frei zurück zu seinen Wurzeln. Es kamen zunächst Lehraufträge und anschliessend eine ständige Dozentur an der HSG. Damit hat sich vieles gefügt. Innert weniger Monate lernte er seine heutige Frau Michi kennen. Für ihn war deshalb klar, dass er zunächst in St. Gallen bleiben werde. Jetzt ist er hier angekommen, ist kein «Getriebener» mehr.

Er habe sich auch verändert, gelernt, nicht immer allen gefallen zu müssen, mehr «nein» zu sagen und ein bisschen mehr auf sich selbst zu achten. Ganz sei ihm das noch nicht gelungen, sagt er und lächelt seine Frau an. Sein grosser Traum für die Zukunft ist es, doch noch das Manuskript über Frankreich zu veröffentlichen.


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