Ich möchte nicht von Ausbildungskosten oder vom Nutzen bestimmter Studiengänge schreiben, vielmehr scheint mir die Frage wichtig, inwiefern ein Universitätsstudium neben Wissen und Fähigkeiten auch Werte vermitteln soll.
Sicher sind die Bildungsinhalte ständigem Wandel unterworfen, zweifellos ist lebenslanges Lernen unumgänglich, doch gibt es auch Werte von zeitloser Geltung?
Als Jurist mit Standbeinen in der Geschichte, Philosophie und Soziologie weiss ich nur zu gut, wie leicht sich durch verschiedene Methoden, Perspektiven und Denksysteme Werte relativieren oder gar umkehren lassen. Zu Recht bemüht sich die Wissenschaft daher um Objektivität und Wertneutralität. Nicht selten geht mit dieser Neutralität jedoch eine gewisse Wertindifferenz einher. Sogar unter Juristen gibt es nicht wenige, welche selbst für Werte wie Wahrheit und Gerechtigkeit nicht mehr als ein müdes Lächeln aufbringen können – Relativität bis zur Bedeutungslosigkeit.
Ich bedaure es, wenn die Wissenschaft ihre Werte auf Methodenfragen reduziert; es beunruhigt mich, wenn Studierende Ethik, Moral, Interessen, Nutzen, Anreize und Rechtsansprüche begrifflich und inhaltlich miteinander vermischen. Noch mehr beunruhigt mich aber, wenn hinter einem vorbildlich eingesetzten Schild von fachlich korrektem Methodenrüstzeug ein Gedankensumpf voll sozialdarwinistischer Naturalismen blubbert. Mag sein, dass das «survival of the fittest» die Entstehung der Fauna und Flora erklärt, doch lassen sich damit nicht das nachhaltig erfolgreiche Zusammenleben der Menschen und schon gar nicht Menschlichkeit, Glück und Zufriedenheit erklären. Akademiker tragen für den materiellen und geistigen Wohlstand der Bevölkerung grosse Verantwortung. Diese Aufgabe können sie nur wahrnehmen, indem sie sich Wertfragen stellen. Menschen können im wertfreien Raum nicht leben und manchmal sind Werte viel konsistenter und dauerhafter, als die Wissenschaft uns glauben lässt. Apropos Dauerhaftigkeit: Der Sachsenspiegel, das sächsische Rechtsbuch aus dem frühen 13. Jahrhundert, sieht die vier Kardinaltugenden des Richters in der rehtikeit (Rechtschaffenheit, Gerechtigkeitsliebe), wisheit (Klugheit, Wissen und Erfahrung), sterke (Beharrlichkeit, Gradlinigkeit) und maze (Augenmass, Verhältnismässigkeit). Dauerhafte Werte – weshalb eigentlich nur für Richter?
Zur Person
Prof. Dr. Lukas GschwendLukas Gschwend ist Professor für Rechtsgeschichte, -soziologie und Strafrecht an der Law School.