Profs privat: Kerstin Odendahl

«Dieser magische Augenblick des Verstehens …»

Geboren in Hamburg, kurz darauf nach Köln, bis zum Teenageralter in Mexiko-City aufgewachsen, dann nach Leverkusen, Bonn, Aix-en-Provence in Südfrankreich, zurück nach Deutschland, nämlich nach Trier nahe Luxemburg, dann nach Cottbus nahe der polnischen Grenze, anschliessend nach Berlin, nochmals nach Trier, um dann (vorläufig) in St. Gallen zu landen. «Ich bin so ein Wandervogel», sagt Frau Odendahl von sich selber; obwohl sie diesen November erst 40 Jahre alt wird, ist sie schon viel herumgekommen. Da ist es auch kein Wunder, dass sie sich mit Völker- und Europarecht auf ein internationales Rechtsgebiet spezialisiert hat. Trotz dieser eher internationalen Sichtweise und einer Kindheit in der Millionen-Stadt Mexiko-City fühlt sie sich ganz wohl in der Mini-Stadt St. Gallen. Emotional sehnt sie sich zwar manchmal nach Mexiko zurück, aber leben möchte sie dort wegen Sicherheitsfragen und Lebensstandard nicht mehr. St. Gallen war für Frau Odendahl ein Neuanfang, da sie hier unmittelbar nach ihrer Habilitation ihre erste Professur erhielt. Sie hatte keine Erwartungen an die Stadt und wurde dadurch umso mehr positiv überrascht. Einer der Gründe, der für St. Gallen spricht, ist natürlich auch ihre Tätigkeit an der Universität. Wer Frau Odendahl mit leuchtenden Augen von ihrer Tätigkeit als Professorin sprechen sieht, weiss, dass das Lehren für sie mehr als nur ein Beruf ist. Sie gehe «wie auf Flügeln», wenn sie merke, dass die Studierenden etwas aus der Vorlesung mitnehmen. Einmal rief eine ehemalige Studentin an und teilte ihr einfach nur mit, dass sie jetzt Zeitungsredakteurin sei und einen Artikel über den Nordpol schreibe. Dabei habe sie sich gerade an eine Vorlesung bei ihr erinnert, in der es um den Festlandsockel gegangen sei. «Das hat mich wahnsinnig gefreut.»

Award for best teaching im Jahre 2006

Ebenso sehr gefreut hat sie der «Award for best teaching», den sie im Jahr 2006 empfangen durfte. «Das bedeutet mir sehr viel, es ist die grösste Auszeichnung, die ich bekommen konnte.» Der (Beton)stein-Stern stehe seitdem auf dem Schreibtisch ihres Büros. Da Frau Odendahl erst seit fünf Jahren an der Universität St. Gallen lehrt und sie den Award folglich ziemlich am Anfang erhielt, war der Award eine wertvolle Bestätigung und Anerkennung ihres «Lehr-Stils».

«Wenn ich vorher gesagt habe, dass ich kaum längere Zeit in Urlaub fahren kann, dann war das nicht zwingend negativ gemeint. Ich mache das ja gerne. Lehren ist eine Leidenschaft.» Und dann beginnt sie zu schwärmen von der ganz besonderen Stimmung bei Vorlesungen. Beim Gong am Anfang der Stunde herrsche häufig noch ein reges flüsterndes Schwatzen und Brummeln unter den Studierenden. Dann beginne sie zu reden und es wird leiser, und plötzlich merke sie, wie die Stimmung «kippt, wie die Studierenden mitgehen». Dieser «magische Augenblick des Verstehens» sei einfach «gigantisch»… während des Sprechens sieht man ihr die Begeisterung regelrecht ins Gesicht geschrieben.

«Man sieht genau, wer was macht»

Etwas erschrocken sind wir, als Prof. Odendahl erzählt, dass die Studierenden nicht, wie sie jeweils meinen, in der Masse untergehen. «Man sieht genau, wer was macht.» Ungern denkt man dann an die vielen Stunden zurück, in denen man lieber das «20min Kreuzworträtsel» gelöst oder ein spätes Frühstück (natürlich nur aus Wasser bestehend) zu sich genommen hat.

Neben dem Lehren ist eine weitere Leidenschaft von Frau Odendahl das Reisen. Geschichte und Kultur sehen, erleben und fühlen. Leider hat sie, wie die meisten Professoren, kaum Zeit dazu. Vor drei Jahren ist Frau Odendahl das letzte Mal in den Urlaub gefahren – nach Ägypten. Seitdem nahm sie sich eher kurzfristig und spontan kurze «Auszeiten», meistens im Zusammenhang mit beruflichen Reisen. Beispielsweise besuchte sie Israel, um die Zusammenarbeit mit der juristischen Fakultät der Universität Haifa «in Gang» zu bringen. «Da konnte ich dann gleich noch ein paar Tage Urlaub in Israel anhängen», meint Frau Odendahl. Wenn sie mal in Urlaub fahre, sei die Gestaltung dieses Urlaubes sehr situationsabhängig: In Ägypten absolvierte sie einen Tauchkurs; vor kurzem lernte sie Ski fahren und nach ihrer Habilitation legte sie sich erst mal 2 Wochen lang an den Strand von Sri Lanka zusammen mit einigen Freunden.

Kein «Schwarz-Weiss-Denken»

Auch andere Hobbys sind schwer einzubauen. Prof. Odendahl liest zwar gerne und versucht, Sport zu treiben, aber ohne regelmässigen Tagesrhythmus und dank voll gepackter Agenda ist dies nur begrenzt möglich. Falls sie sich aber mal eine Auszeit gönnt, verbringt sie im Sommer ihre Zeit gerne am See mit einem guten Glas Weisswein, aber «ohne Mücken». Im Winter würde sie es sich am liebsten vor dem Kamin gemütlich machen. Leider hat sie aber weder einen Kamin noch ein sehr grosses Sofa. Auch die «grosse schnurrende Katze», welche ihr beim Lesen eines guten Buches dann auf dem Bauch liegen sollte, hat sie nicht. Ihr Lebensstil erlaubt Frau Odendahl kaum, Haustiere zu halten. Darum hat sie dann auch nur einen Elch und einen Tiger auf dem Sofa liegen. Der Plüsch-Elch, ein SWR3-Elch, und der Tiger, welcher als Symbol für ihr Institut an der Tigerbergstrasse steht, sind beides Geschenke von Freunden. Trotz fehlender Zeit für Hobbys, Freunde oder Tiere ist Frau Odendahl alles andere als unzufrieden.

«Ich lasse mich nicht unterkriegen. Das ist eine Gabe, keine Errungenschaft.» In der Tat hat Frau Odendahl schon einige Höhen und Tiefen erlebt und ist trotzdem – oder gerade deswegen – eine sehr aufgestellte und zufriedene Person. So sind beide Elternteile früh gestorben, ihr Vater eine Woche vor ihren zweiwöchigen Abschlussprüfungen. Trotzdem schloss Frau Odendahl als Landesbeste ab. «Mein Vater hat den lieben Gott bestochen», meint sie bescheiden dazu. «Natürlich fällt man erst mal in ein ‹Loch› nach einem Schicksalsschlag, aber ich kam noch aus jedem Loch heraus.» Ihr «Rezept» hierfür sei: immer das Positive sehen, sich aber gleichzeitig des Negativen bewusst sein – und kein «Schwarz-Weiss-Denken».

Als «Einheimische» akzeptiert

Die Antwort auf die Frage, was ihr denn Freude bereite, könnte aus einem Geschenkbüchlein kommen. «Das sind meistens Kleinigkeiten, die mich freuen – insbesondere wenn sich im zwischenmenschlichen Bereich irgendeine nette Situation ergibt – sei das dauerhaft oder aber nur ein kurzer Moment.» Seit sie in St. Gallen wohnt, kauft sie jeden Samstag bei einem Appenzeller gleich in ihrer Nachbarschaft Käse ein. Zwei Jahre lang behandelte er sie als «Fremde». Aber von dem Tag an, wo er begann, Spässchen zu machen, wusste sie, dass er sie als «Einheimische» akzeptierte und erkannte.

Auf unsere Frage nach ihren nächsten Zielen fällt die Antwort so aus: «Hm, konkret habe ich momentan kein Ziel, die Professur war das Wichtigste, was ich anstrebte. Das habe ich erreicht. Jetzt geniesse ich es, in Forschung und Lehre einzutauchen – es ist nicht einfach ein Job, es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Berufung!» Dabei strahlt Frau Odendahl dieselbe Zufriedenheit aus, die man auch in den Vorlesungen erkennen kann.

Trotzdem hat auch sie Träume: «Ich möchte soviel wie möglich von dieser wirklich faszinierenden Welt sehen.» Da lernen wir eine offene, neugierige Frau Odendahl kennen: Sie möchte Neues entdecken, noch mehr Kulturen kennen lernen, sich weiterentwickeln und nicht zuletzt, etwas mehr Zeit haben!

Als Frau an der männerdominierten HSG

Da wir mit Frau Odendahl eine der wenigen Professorinnen unserer Universität als Gesprächspartner haben, drängt sich irgendwie die Frage auf, wie man sich fühlt als Professorin an der männerdominierten HSG. Sie meint lachend, dass sie anfangs nicht nur die einzige weibliche Professorin, sondern auch die einzige Ausländerin und die jüngste Professorin in der rechtswissenschaftlichen Abteilung gewesen sei. Die Herren seien aber ausgesprochen charmant, und sie fühle sich akzeptiert von ihren Kollegen.

In diesem Zusammenhang beginnen wir über Vor- und Nachteile als Frau allgemein zu diskutieren. «Ich denke, dass es für Frauen viel schwieriger ist, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen als für Männer.» Das Problem liegt auf der Hand: Im Alter zwischen 25 und 35 Jahren, also in der Zeitspanne, in der man in der Regel mit der Familienplanung beginnt, etabliert man sich auch beruflich. Und wenn man mal «Fuss gefasst» hat, will man nicht gleich wieder das Erarbeitete zurückstellen. Eine berufstätige Frau müsse «viele Abstriche» machen, aber: «Ich wüsste keine Lösung für dieses Problem.»

Glücklicherweise hat man als Frau auch Vorteile. Frau Odendahl meint: «Man kann sich als Frau viel ungezwungener und freundlicher geben. Frauen müssen zwar genauso wie Männer eine super Leistung bringen, aber für Männer ist es schwieriger, Gefühle gegen aussen zu zeigen.»

«Glaubt an euch und habt mehr Mut!»

Zum Schluss möchten wir von Frau Odendahl gerne einige Tipps für Studierende erfahren. Sie habe das Gefühl, dass sich die Studierenden seit Einführung des Bologna-Systems zu sehr darauf konzentrieren, «wann was gemacht werden müsse» und nicht mehr nach links und rechts schauen. «Ich wünsche mir, dass die Studierenden offener und neugieriger werden und auch Mut haben, um mal ‹auszubrechen›, also z. B. mal ein Jahr lang ins Ausland gehen, selbst wenn sich dadurch ihr Studium verlängern sollte. Warum? Als Studierender ist man wohl das erste und letzte Mal völlig frei. Kein Mensch wird Ihnen ein Auslandsjahr jemals ‹ankreiden›!» Es gebe zwei Phasen im Leben, in denen man die besten und längsten Freundschaften aufbaue: in der Mittelschule und an der Uni. Das seien zwei unterschiedliche Arten von Freundschaften, an der Uni finde man «verwandte Seelen». «Geniessen Sie diese Zeit und schöpfen Sie aus dem Vollen! Wenn Sie an eine Party gehen möchten – mein Gott, dann gehen Sie doch einfach an die Party!»

Zu guter Letzt möchte Frau Odendahl insbesondere den Studentinnen einen Tipp mit auf den Weg geben: Sie müsse immer wieder feststellen, dass sich Studentinnen oft unterschätzen und kein Vertrauen in sich selber haben. Oft bräuchten sie viel mehr Bestätigung. Durch diese Selbstzweifel würden Frauen auch ganz anders auftreten als Männer. Fehler gehörten dazu, man durchlaufe einen ständigen Prozess des Lernens. «Glaubt an euch und habt mehr Mut!»


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