Das «Project Firefly» versucht von St. Gallen aus, Ungerechtigkeiten im Markt für Ideen und Talente zu beseitigen.
Ist das Assessment erst einmal überstanden, hat man es geschafft: Von nun an ist man Teil einer universitären Elite, zukünftige «leader of tomorrow». Der Ruf der Universität St. Gallen strahlt weit über die Grenzen von St. Gallen und der Schweiz hinaus. Doch was sagt das Ranking und die Reputation einer Universität über die akademischen Qualitäten ihrer Absolventen aus? Bedeutet der Abschluss an einer namhaften Universität automatisch, dass man ausreichend qualifiziert ist für die Arbeitswelt, dass man sich kritisch mit den Problemen der heutigen Zeit auseinandersetzen kann? Wohl kaum. Dennoch spielt das «Branding» einer Universität eine wichtige Rolle bei Personalentscheiden und fördert somit die Ungleichheit beim Einstieg in den Arbeitsmarkt.
Die Hochschulabsolventen von heute bringen alles mit: einwandfreie Noten, Sprachkenntnisse, Auslanderfahrung. Dennoch äussern sich Personalverantwortliche kritisch über die «Generation Bachelor». Es fehle oftmals an praktischer Erfahrung und Reife. Die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis ist steigend: 72 Prozent der in einer Studie von McKinsey befragten Universitäten waren überzeugt, dass ihre Absolventen fit für den Arbeitsmarkt sind. Von den Arbeitgebern waren nur 42 Prozent mit diesem Befund einverstanden. Kurz: Trotz zunehmender Zahl der Hochschulabsolventen sind herausragende Talente rar.
Die Glühwürmchen in der Dunkelheit finden
Vor diesem Hintergrund gründete der Brite Simon J. Evenett, Professor für internationalen Handel und wirtschaftliche Entwicklung an der HSG, 2012 die Plattform Project Firefly. Project Firefly gibt ambitionierten Studenten aus der ganzen Welt die Möglichkeit, ihre Gedanken und Sichtweisen zu aktuellen und zukünftigen Problemstellungen aus Wirtschaft, Politik, Umwelt und Gesellschaft zu publizieren und von angesehenen Experten aus der ganzen Welt beurteilen zu lassen. Im Zentrum steht allein die Qualität des Essays.
Chancengleichheit, Zusammenarbeit, Offenheit und ein Austausch von Ideen unabhängig vom finanziellen oder akademischen Hintergrund sollen gefördert werden. Project Firefly bietet eine Plattform, welche den Dialog zwischen Studenten, Absolventen und Akademikern sowie führenden Unternehmen aus der ganzen Welt ermöglicht.
Hohe Qualitätsansprüche, unabhängig vom Absender
Wie funktioniert Project Firefly? Studenten und Absolventen können jederzeit einen kurzen Essay zu einem bestimmten Thema oder einer Fragestellung aus Wirtschaft, Politik oder einem aktuellem Anlass einreichen. Damit ein Essay publiziert wird, muss dieser bestimmten Anforderungen genügen und wird einer strengen Qualitätsprüfung durch ein Mitglied des «Academic Review Board» unterzogen. Dieses besteht aus weltweit angesehenen Universitätsprofessoren unterschiedlicher Fakultäten. Thomas Bieger, Rektor der Universität St. Gallen, gehört neben Professoren aus Harvard, Sydney oder Seoul zum Kreis des Academic Review Boards. Bewertet werden die eingereichten Arbeiten nach einem «double blind-Verfahren». Dies bedeutet, dass die akademische Fachperson den Essay rein aufgrund der Leistung und Qualität bewertet, also über keinen Anhaltspunkt zum finanziellen oder akademischen Hintergrund des Einreichers verfügt. Umgekehrt weiss auch der Einreicher nicht, wer seinen Essay bewerten wird. Damit will Project Firefly eine rein leistungsabhängige und objektive Beurteilung garantieren.
Wird der Essay den hohen Ansprüchen gerecht, so wird dieser auf project-firefly.com publiziert. Und hier beginnt der eigentlich spannende Prozess. Studenten aus der ganzen Welt können miteinander interagieren, auf intellektuell hohem Niveau diskutieren und Meinungen austauschen sowie sich weltweit vernetzen. Leistungsorientierter Dialog und «thought leadership» fördern – das ist das Prinzip von Project Firefly.
Ferner findet monatlich ein Wettbewerb zu aktuellen Ereignissen statt. Inwiefern stellt der Kon- flikt im Südchinesischen Meer eine Gefahr für die Stabilität im asiatisch-pazifischen Raum dar? Was sind die Grenzen von strukturierten Produkten? Das sind Fragen, denen sich die hellen Köpfe bei Project Firefly stellen müssen. Die aufschlussreichste Antwort erhält ein Preisgeld von 1’000 Franken.
Türöffner für den Berufseinstieg
Wichtigster Gründungssponsor ist die Credit Suisse, welche gemeinsam mit Project Firefly bisher drei Essay-Wettbewerbe lancierte. Die drei Bestplatzierten des letzten Wettbewerbs zum Thema «emerging leaders» wurden zur Asian Investment Conference der Credit Suisse in Hongkong eingeladen. Hier hatten die jungen Talente die Möglichkeit, an Podiumsdiskussionen teilzunehmen und sich mit interessanten Persönlichkeiten sowie Führungskräften aus dem Bereich Wirtschaft und Banking auszutauschen. Zu den Gewinnern des Wettbewerbs Anfang dieses Jahres gehörte auch ein HSGler: Guillaume Dariers Essay zur Zukunft des Private Bankings erreichte den dritten Platz. Daraufhin wurde er an diverse Events von der Credit Suisse eingeladen und konnte seine Ideen sowie sich selbst vorstellen. Er zeigt sich beeindruckt von der «Weltklasse-Jury» und rät jedem, die eigenen Ideen mal in den Ring zu werfen und bei einem Wettbewerb mitzumachen.
Aktuell läuft die «Holt Challenge», ein Wettbewerb zu einer Investmentberatungsplattform der Credit Suisse. Die Gewinner dürfen sich über einen Praktikumsplatz bei der Grossbank freuen. Project Firefly ist also nicht nur eine Plattform zum Gedanken- und Meinungsaustausch, sondern auch ein Recruiting-Instrument der etwas anderen Art.
Momentan ist die Credit Suisse für die relativ junge Initiative der wichtigste Partner, doch langfristig sollen weitere folgen, welche die unabhängige Suche nach Talenten mitfinanzieren. Project Fire- fly hat sicherlich noch Wachstumspotenzial und es bleibt interessant zu sehen, welche weiteren Unternehmen als Sponsoren und Unterstützer folgen werden. Es sollen in Zukunft nicht nur Themen der Finanzbranche aufgegriffen, sondern auch aktuelle Ereignisse aus Politik und Gesellschaft diskutiert werden.
In einer Zeit, in der Entscheidungen schnell getroffen werden müssen, immer mehr gut ausgebildete Arbeitskräfte mit einer Fülle von Diplomen zur Verfügung stehen und der Arbeitsmarkt global hart umkämpft ist, gilt es, bei der Rekrutierung neue Wege zu gehen. Ein tadelloser Lebenslauf allein reicht heute nicht mehr aus. Umso wichtiger ist es für Studenten, sich abzuheben und die eigenen Qualifikationen zu beweisen. Project Firefly ermöglicht nicht nur jedem Studenten, zu zeigen, dass er an einer Core University bestehen kann, sondern fördert dabei auch noch kreative Ideen zu aktuellen, globalen Herausforderungen.