Während der Startwoche tanzten abermals leicht bekleidete It-Girls über den Campus, um für Partys zu werben. Die Resonanz unter Studenten und in den Medien ist gewiss, die Universität hingegen scheint machtlos.
Eine halbnackte Frau, nur mit einem knappen Bikinioberteil und Latex-Leggins bekleidet, räkelt sich auf dem Infodesk der HSG. Was den feuchten Träumen eines Studenten entnommen sein könnte, ist wirklich passiert. Die diesjährige Startwoche wurde wie bereits im letzten Jahr von St. Galler Clubs genutzt, um den neuen Studentinnen und Studenten das Nachtleben mittels aufsehenerregender Promoaktionen schmackhaft zu machen. Im Klartext hiess das dieses Jahr: Zwei C-Promis stolzierten über den Campus, gefolgt von einer ganzen Hofschaft von Promotern und Fotografen, um die Neueintretenden in die Clubs zu locken. Sogar vor den Zimmern der Arbeitsgruppen machten sie nicht halt und füllten damit die Schlagzeilen und Kommentarspalten von 20 Minuten & Co.
Besonders die Nackt-DJane und Erotikdarstellerin Micaela Schäfer fand wegen ihrer knappen Bekleidung auch über die Schweizer Boulevardpresse hinaus Erwähnung. Am meisten erhitzten sich die Gemüter über das eingangs erwähnte Foto (s. oben rechts), auf dem Micaela Schäfer den Infodesk dekoriert; die im adhoc wartende Kollegin und Dschungelcamp-Alumna Georgina Fleur schien dagegen geradezu brav.
«Not amused»
Die Kritik kam von vielen Seiten. «Die Startwoche wurde leider erneut für Promotions-Touren von Clubs missbraucht», liess sich die Universitätsleitung auf blick.ch in Anspielung auf frühere Aktionen mit dem «Top»-Model-Kandidatin Gina-Lisa zitieren. Das via Boulevardpresse und Social Media in die Welt hinausgetragene Bild der «Trash-HSG» entspricht doch so gar nicht dem Selbstverständnis der Elite-Universität. «Uni St. Gallen is not amused» titelte 20 Minuten. Dass eine der beiden Sternchen augenzwinkernd einen Studiengang in Erotikwissenschaft vorschlug, dürfte wohl kaum zur Besänftigung der Verantwortlichen beigetragen haben, die sonst nicht einmal das Verteilen von Flyern auf dem Campus tolerieren.
Gegenüber prisma erklärt Marius Hasenböhler, Leiter Kommunikation der HSG: «Nach der Aktion während der Startwoche vom vergangenen Jahr haben die Verantwortlichen das Gespräch mit den regionalen Clubs gesucht. Sie baten um den Verzicht solcher Aktionen auf dem Campus.» Das Problem: Die Werbung beschränkt sich auf die Präsenz der Person und einer solchen kann nicht per se der Zugang zu einem öffentlichen Campus verwehrt werden. Die Universität sei nun daran, die Sachlage zu klären und stehe mit der Studentenschaft im Gespräch, damit sich ähnliche Vorfälle nicht wiederholen, sagt Hasenböhler. Ob das genügt?
Für die Studenten in der nächsten Startwoche ist es also gut möglich, dass auch sie Bekanntschaft mit einem «Promi» schliessen dürfen. Denn weshalb sollte sich auf nächstes Jahr etwas ändern, wenn man wieder fast den gleichen Prozess einleitet, der offensichtlich schon dieses Jahr in keiner Weise die St. Galler Clubs davon abgehalten hat, die Promotionsaktionen durchzuführen? Und wenn die Universität die Clubs bereits letztes Jahr bat, solche Aktionen zu unterlassen, weshalb haben sie sich dann nicht daran gehalten?
Polarisiertes Medienecho
Ein schärferes Urteil erwartete Micaela Schäfer und Georgina Fleur – und damit verbunden nun auch die HSG – medial. Die Diskussion in der Online-Berichterstattung entbrannte unmittelbar: zwischen geschockten Lesern und Verteidigern, zwischen Bewunderern von provozierenden Marketingaktionen und ach so prüden Moralaposteln. «Sie haben ja niemandem etwas getan und zum Schauen gab es auch etwas», äusserte sich ein offensichtlich überzeugter und nun lernmotivierter Assessment-Student. Via Social Media konnten sich sogar die zwei betroffenen Frauen in die Diskussion einklinken. «Man sollte sich nicht so ernst nehmen und ich werde beim nächsten Mal einen Rollkragenpullover tragen», schrieb Micaela Schäfer auf Facebook, «ich wollte ohnehin mal wissen, wie sich das so anfühlt.» (Ihre Rechtschreibefehler wurden von der Redaktion korrigiert.)
Dass beide jedoch nur ihren Job gemacht haben, hat keine Erwähnung gefunden. Beide werden kaum Werbung für den Club gemacht haben, weil sie ihn so einmalig toll fanden, sondern weil sie dafür beauftragt wurden. Die Kritik müsste also viel weniger auf die beiden C-Promis als auf die Auftraggeber der Aktion abzielen. Wäre es deshalb nicht fair und notwendig, das Augenmerk weg von den beiden Models auf die Auftraggeber der Aktionen zu lenken? Weshalb die Clubs die Damen engagierten, dürfte wohl (besonders jedem HSGStudenten) einleuchten: Um Leute anzulocken und Mehreinnahmen zu generieren. Natürlich handelte es sich um eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Micaela und Georgina erhielten die in ihrem Metier so notwendige Publicity und die Clubs zusätzliche Besucher. (Friede, Freude, Eierkuchen, wenn da nicht die blöden Kritiker wären.)
Fragwürdiges Frauenbild
Die Publicity in der Zielgruppe war zumindest gewiss. Obwohl jedem schnell klar gewesen sein dürfte, dass Madame Schäfer wohl kaum auf dem Campus war, um sich Studiengänge oder eine «Kunst-am-Bau-Führung» anzuschauen, verfehlte die Aktion ihre Wirkung nicht. Nichtsdestotrotz: Eine kritische Reflexion der Aktion fand teilweise auch unter den Studenten statt. Die Reaktionen reichten von «geil» über «peinlich» bis hin zu «entsetzt».
Im Zuge ihrer Tätigkeit im Doku-Team der Startwoche hinterfragten zwei Studentinnen beispielsweise die Geschehnisse und wandten sich an Christa Binswanger vom HSG-Fachbereich «Gender und Diversity». Die Situation mit den Werbeaktionen in St. Gallen sei auffallend ungewöhnlich, meinte die Expertin. Gerade in einem sozialen Raum wie der Universität seien solche Promoaktionen problematisch, da die «It-Girls» ein hoch sexualisiertes Frauenbild repräsentieren und dieses somit als potenzielle Botschaft an die neuen Studentinnen und Studenten herantragen, erklärt Binswanger. Ohne Frage zielen die «It-Girls» ja vor allem auf die männlichen Studenten als Adressaten respektive Kunden, wobei sie Weiblichkeit dabei gleichzeitig auf den sexy Körper reduzieren. Schon jetzt falle die optische Normierung der Studentinnen an der Universität St. Gallen stärker als an anderen Schweizer Universitäten ins Auge und ein grosser Druck auf die äussere Erscheinung sei sowohl bei HSGlern beider Geschlechter weit verbreitet.
Somit scheint angesichts einer fehlenden Handhabe der Universität der «aufgeklärte Konsument» die beste Möglichkeit zu sein, solche Werbeaktionen in Zukunft zu verhindern.