Noten und Prüfungen gehören zu den beliebtesten Gesprächsthemen an der HSG. Trotzdem weiss kaum einer wirklich Bescheid. prisma hat sich erkundigt.
Johannes Rüegg-Stürm mag seinen Job. Das wird deutlich, wenn er lebhaft von seiner Arbeit erzählt und von seinen Bemühungen, auf allen Ebenen interessante Kurse mit aktuellen Inhalten anzubieten. Trotz dieser Anstrengungen steht er in der Kritik. Bei der Assessmentprüfung in BWL diesen Winter hat er sich entschieden, das Konzept der Triple Bottom Line vertieft abzufragen. Seitdem erhält er Schmähmails von all den Studenten, die den Begriff davor noch nie gehört hatten. Doch wie kam er auf die Idee, ausgerechnet aus einem Gastvortrag ohne Folien die wichtigste Frage der Prüfung zu gestalten?
Vielleicht ist es eine Mischung aus Enthusiasmus und Naivität. Man glaubt dem Professor ohne weiteres, dass der Gastvortrag von Herrn Kunz eine der interessantesten Vorlesungen des Semesters war. Nur hören die Studierenden oft nicht zu, solange man nicht dick hinschreibt, dass der behandelte Stoff prüfungsrelevant ist. Rüegg-Stürm hätte erwartet, dass diejenigen Studierenden, die den Vortrag – aus welchen Grunden auch immer – verpasst haben, sich von ihren Kollegen die Notizen kopieren.
Die Planung des Semesters
Doch wie kommt so ein Semester überhaupt zustande? Bei einem regelmässig stattfindenden Kurs läuft ein ständiger Verbesserungsprozess, der die Evaluation des vergangenen Semesters und Entwicklungen in der Forschung zu integrieren sucht. Dabei ist nach dem Semester immer auch vor dem Semes-ter. Die Ergebnisse der Prüfung und die Evaluation müssen ausgewertet und allfällige Verbesserungen vorgenommen werden. Dies ist besonders bei den grossen Pflichtfächern wichtig, da Änderungen auch von allen ÜbungsleiterInnen verinnerlicht werden müssen. Beim Gespräch mit Professor Mastronardi wird allerdings deutlich, dass es grosse Unterschiede zwischen den Dozierenden gibt. Während der Jurist jede Vorlesung lang im Voraus plant und sehr systematisch vorgeht, verfolgen einige seiner Kollegen einen eher studentisch anmutenden Ansatz. Da wird scheinbar schon mal eine Nachtschicht eingelegt, damit eine Prüfung oder ein Merkblatt zum Termin fertig wird.
Am unangenehmsten, für Dozenten wie Studierende, ist das Assessmentjahr. Mastronardi meint zwar, ihm sei jede Vorlesung gleich viel wert. Rüegg-Stürm sagt aber offen, dass es auf Masterstufe oder bei den Managementseminaren, die einen integralen Bestandteil der Finanzierung der Institute bilden, interessanter zugeht. Das liegt zum einen daran, dass den Studierenden im ersten Semester noch nicht viel eigene Denkleistung zugemutet wird. Ausserdem sind die didaktischen Bedingungen auf Masterstufe weit besser – es ist unmöglich, mit über tausend Leuten eine Diskussion zu führen. Auch die Übungen in kleineren Gruppen werden zunehmend standardisiert. Wo früher noch hin und wieder ein Praktiker mit der Schilderung eines selbst erlebten Beispiels begeisterte, müssen heute alle Studenten mit identischen Fällen möglichst gleichmässig auf die Prüfung vorbereitet werden. Dementsprechend ist eine sorgfältige Planung und Abstimmung aller Veranstaltungen durch die Beteiligten wichtig. «Zum Glück», sagt Professor Rüegg-Stürm, «bilden die Übungsleiter ein sehr gutes Team und kennen sich untereinander.»
Doch die Assessmentstufe bleibt ein Problem. Für die Qualität der Universität ist es unabdingbar, die stetig wachsende Zahl der Studierenden zu filtern. Da ein Numerus clausus bei den Wirtschaftswissenschaften aus rechtlichen und politischen Gründen nicht möglich ist, ist es müssig, über Vor- und Nachteile dieser Methode zu spekulieren. Vermutlich bleibt das Assessmentjahr die am wenigsten schlechte Methode. Laut Professor Mastronardi gehört das Assessment der HSG neben dem der ETH zu den härtesten der Schweiz. Die Qualität der Studierenden sollte demnach sehr hoch sein – zumindest theoretisch.
Und dann am Ende …
Allerdings ist die Planung und Durchführung eines Kurses nur ein Teil der Arbeit. Etwa noch einmal so viel Zeit wird auf die Prüfung verwendet. Da hier für manchen das Studium oder (vermeintlich) die ganze Karriere auf dem Spiel steht, ist dieser Aufwand gerechtfertigt. Welche Emotionen eine Prüfung auslösen kann, hat sich deutlich auch an der oben erwähnten BWL-Klausur gezeigt. Doch wie kommt eine Prüfung zustande? Und woran liegt es, dass so viele Prüfungen fehlerhaft sind oder von den Studierenden als unfair empfunden werden?
Schon Mitte des Semesters müssen die Professoren ihre Prüfungen an das Studiensekretariat einreichen. Jedes Institut versucht wohl sicherzustellen, dass die Prüfungen fair und ausgeglichen sind. Dazu wird zum Beispiel die Prüfung in Bundesstaatsrecht zuerst von einem Assistenten gelöst, welcher dann Feedback zur Verständlichkeit der Fragen gibt. In einer zweiten Runde wird die Prüfung noch vom Institut für Wirtschaftspädagogik überprüft. Diese Dienstleistung steht für alle Prüfungen zur Verfügung. Probleme scheint es immer dann zu geben, wenn etwas Überraschendes an der Prüfung abgefragt wird oder wenn ein Fach neu konzipiert ist.
Doch das wahre Theater fängt an, wenn die Studierenden auf eine schwierige Prüfung keine gute Note erhalten. Denn die Notengestaltung ist das Element, das im ganzen Prozess am wenigsten geregelt ist. Thomas Dyllick, Prorektor für Lehre, begründet dies mit der Lehr- und Forschungsfreiheit, die es der Uni nicht erlaube, in die Notengestaltung einzugreifen. Das ist einerseits lobenswert, denn viele Studenten fürchten sich vor vorgegebenen Durchfallquoten gerade bei Assessmentprüfungen. Die Nachteile dieser Einschränkungen sind jedoch offensichtlich. Die Professoren, welche – so Dyllick – oft «gute Menschen» sind, fürchten sich vor Rekursen und benoten insbesondere auf Masterstufe zu hoch. Dies führt zum Beispiel dazu, dass der Schnitt der Masterprüfungen im Herbstsemester 2008 eine ganze Note über dem des Assessments lag. Natürlich lässt sich das zum Teil mit den vielen Assessis begründen, die in Herbstsemester 2008 ihre ersten und letzten Prüfungen geschrieben haben. Trotzdem scheint der Unterschied sehr gross.
Dieses Problem der zu hohen Noten wäre halb so schlimm, wenn es alle Studierenden gleichermassen betreffen würde. In der Tat sind es jedoch vor allem die nicht quantitativen BWL-Studiengänge, in denen die Studierenden bereits bei einer fünf über eine schlechte Note klagen. Auch Professor Mastronardi bestätigt, dass bei den Juristen die Breite der Notenskala im Allgemeinen besser genutzt wird. Der Erklärungsversuch von Prorektor Dyllick, die Studierenden hätten in bestimmten Masterprogrammen höhere Ansprüche an sich selbst und müssten auch kritischeren Arbeitgebern genügen, überzeugt wenig.
Laut Mastronardi wären die Dozenten eigentlich gefordert, eine lineare Notenskala anzuwenden. Das heisst, der Unterschied zwischen einer Drei und einer Vier dürfte nicht grösser sein als der Unterschied zwischen einer Fünf und einer Sechs. Scheinbar halten sich viele nicht daran, sondern sorgen dafür, dass Durchfallen beinahe unmöglich wird.
Die Lösung ist – auch in den Augen von Mastronardi – klar: Die Universität muss Transparenz schaffen und zumindest für die jeweiligen Studienrichtungen den Notendurchschnitt öffentlich machen. Zudem muss den Dozenten der Rücken gestärkt werden, wenn sie sich mit Rekursen und Beschwerden konfrontiert sehen. Nach dem vorherrschenden System wird zudem der Mehraufwand, der beispielsweise durch das Korrigieren einer Arbeit entsteht, nicht honoriert. Dadurch werden simple Prüfungsformen begünstigt und eine differenzierte Bewertung der Studierenden wird erschwert.
Es wird nie möglich sein, mit einer Prüfung alle glücklich zu machen. Das Ziel ist aber auch, die Leistung der Studierenden zu überprüfen und zu bewerten. Die erwähnte BWL-Prüfung zeigt mit einem Schnitt von 3.84 eine untere Grenze auf. Die Durchschnittsnoten von über fünf auf Masterstufe sind aber auch keine Antwort. Wichtig ist letztlich, dass möglichst genau das Können der Geprüften reflektiert wird. Das ist ohnehin nur möglich, wenn die Uni einen Weg findet, die Eigenleistung der Studierenden zu vergleichen. Das bedingt, dass Letztere von den Professoren nicht gute Noten, sondern guten Inhalt fordern. Und dass diese wiederum Unterstützung für alternative Prüfungsformen erfahren, besonders auch in den stark gewichteten Hauptfächern.