Rausch auf Umwegen

Wir alle konsumieren Musik, ohne uns Gedanken über deren Einfluss zu machen. Ein Plädoyer für bewussten Drogengenuss.

Schon einmal von iDosing gehört? Wer bis jetzt davon gesprochen hat, Musik mache ihn süchtig, der sollte sich diese Entwicklung mal ansehen – vielleicht aber vorerst nur auf YouTube. Denn wohin iDosing seine Hörer bringt, sieht wirklich unangenehm aus. In einem Stereotrack werden links und rechts minimal versetzte Audiospuren abgespielt, die dem Hörer eine Dynamik und ein Eigenleben suggerieren. Das versetzt iDoser in Trance- und Angstzustände – oder bringt sie zu emotionalen Höhenflügen. Eine Datei, die kaum vorhersagbare, extreme Auswirkungen auf Hörer hat. Doch genau diese intensiven Gefühlsausbrüche – welcher Art auch immer – lassen iDoser immer wieder einschalten: iDosing macht abhängig.

Wolf im Schafspelz?

Treten wir mal einen Schritt zurück: iDosing möchte Hörer tief in ihrem Inneren bewegen und spielt mit der menschlichen Psyche. Das sollte mit «normaler» Musik doch eigentlich nicht möglich sein, oder? Weit gefehlt: Musik aktiviert die gleichen Gehirnregionen wie ein physischer Drogenrausch. Sie ändert zum Beispiel den Herz- und Atemrhythmus aufgrund von chemischen Reaktio-nen im Gehirn. Und wurde Musik nicht auch von Künstlern so geschrieben und produziert, dass wir emotionale Reaktionen zeigen?

Zum Glück beeinflusst uns die wenigste Musik im negativen Sinne. Tagtäglich lassen sich Millionen von Menschen von Musik beschallen – oft so konstant, dass schon ein kurzer Moment der Stille unangenehm auffällt. Ist Musik also eine Alltagsdroge, welche die Menschheit über die stillen und einsamen Momente des Lebens trägt? Dem würde ich keinesfalls widersprechen. Tut euch also einen Gefallen und stellt einmal eure Hörgewohnheiten auf die Probe. Versucht, einen Tag oder eine ganze Woche ohne iPod und Radio auszukommen. Ihr werdet dem Musikhören umso mehr Wert beimessen, je bewusster ihr Musik wahrnehmt! So bleibt ihr nicht unbewusst von Musik abhängig, deren einziger Zweck es ist, die Stille zu verdrängen.

Warnung vor dem Musiker!

Musiker sind nochmal eine eigene Spezies unter den Süchtigen. Sie beschäftigen sich oft stunden- und tagelang mit gleichen Songs oder Werken. Doch jeder einzelne Ton soll gleichermassen eine Emotion transportieren, jeder Song ein Gefühl beim Zuhörer erzeugen. Musiker erleben das oft in einer Ausprägung, die einem Drogenrausch sehr nahe kommt.

«Fühlt» man sich einmal richtig in ein Stück ein oder lässt sich von der kollektiven Euphorie eines Live-Konzertes mitreissen, kommt man diesem Rauschzustand auch als Zuhörer verdammt nahe. Dabei lässt sich aber nur erahnen, was der Musiker selber fühlt.

Alles Hormone

Der Grund liegt in der Neurologie – wir sind einer körperlichen Abhängigkeit wieder gefährlich nahe: Unser Gehirn belohnt den Körper mit Hormon-ausschüttungen, sobald eine bekannte Klangfolge wahrgenommen wird. Es mag wohl einerseits daran liegen, dass Musiker sich öfter bewusst mit Musik beschäftigen und so einen «volleren Musikspeicher» haben, andererseits sind sie aber meist auch offener dafür, sich von Musik emotional und körperlich bewegen zu lassen. Musikern ist in diesem Zusammenhang der Begriff des «musikalischen Orgasmus» vertraut – wohl das höchste der musikalischen Gefühle, der Hauptgewinn in der Musiker-Lotterie. Es ist diese Emotion, nach der Musiker suchen und die sie immer wieder ans Instrument zurückholt.

Verrückt aber wahr: Im Grunde funktioniert Musik wie eine klassische, chemische Droge aber auf Umwegen. Und genau das macht es viel zu schön, um aufzuhören. Statt auf iDosing sollte man sich einfach mehr auf die Musik einlassen, die durch die Kopfhörer kommt. Rausch garantiert!


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