Eine Studentin der HSG aus dem Alterssegment 50+ berichtet über die Rückkehr zu ihrer Alma Mater und die Hürden, die es dabei zu meistern gilt.
Als arbeitslose Frau im Segment 50+ bin ich mir bewusst, dass ich das Konzept des lebenslangen Lernens gerade jetzt ernst nehmen sollte. Obwohl, beschert mir eine Weiterbildung nicht noch mehr Bewerbungsabsagen mit dem Prädikat «überqualifiziert»? Ganz abgesehen davon, dass der rote Faden in meinem Lebenslauf dadurch noch schwieriger zu finden sein wird. Andererseits, auch wenn mich der Arbeitsmarkt im Moment offensichtlich nicht brauchen kann, soll mir keiner vorwerfen, dem Nichtstun zu frönen. So kommt mir meine Alma Mater gerade recht mit ihrem Lehrgang Wirtschaftsjournalismus.
Der Hürdenlauf zum Studienbeginn
Nichts wie hin, Bewerbung beim Professor einreichen, beim Studierendensekretariat Anmeldung einreichen und alles paletti, denke ich. Wäre da nicht die neue Website der HSG, die mich etwas verwirrt. Ganz offensichtlich soll der persönliche Kontakt zwischen den Studierenden und der Verwaltung verhindert werden, was ich irgendwie nachvollziehen kann. Habe ich doch kürzlich gelesen, dass die Studierendenzahlen explodieren. Wo kämen die denn hin in der Verwaltung, wenn jeder einfach so ins Sekretariat hereinplatzen würde? Man versprach mir, dass ich Zugang zu allen Features der Website bekommen würde, sobald die Semesterrechnung bezahlt wäre. OK, fair genug, doch schnell näherten wir uns dem Semesterbeginn und keine Rechnung in Sicht! Nach einigem Nachfragen erreichte mich dann eine Kopie der Rechnung. Über E-Banking sofort bezahlen und wieder abwarten. Jetzt würde ich mein HSG-Starter-Kit erhalten, freute ich mich, doch nichts geschah und dabei lief der Countdown für das Bidding!
Die Punkte solle ich im Serviceportal setzen, besagte eines dieser sehr ausführlichen Merkblätter, welche ebenfalls mit dem Zweck verfasst wurden, den persönlichen Kontakt zu unterbinden. Service Portal? Wieder muss ich zu Kreuze kriechen und das Sekretariat anmailen, was es nun damit auf sich hat. Verstanden, doch als ich mit dem Zocken beginnen will, kann ich mich nicht einloggen! Erneutes Mail und siehe da, einen Tag später erhalte ich von der Informatik ein Passwort. Endlich kann ich zocken und ich setze alles! Gleichzeitig nehme ich mir vor, wie eine Furie nach St. Gallen zu hetzen, sollte ich die Kurse nicht zugeteilt bekommen. Fehlalarm, nach Abschluss der ersten Biddingrunde erblicke ich die definitive Zuteilung der Kurse auf dem Serviceportal. Endlich kann ich mich inhaltlich auf mein lebenslanges Lernen vorbereiten. Plane Vorlesungen und Selbststudium in der Bibliothek. Apropos Bibliothek, da braucht man doch eine Legi! Wieder ein Mail an das Studierendensekretariat, was mir langsam peinlich wird. Nach Tagen dann die Antwort: Sie hätten noch kein Foto von mir erhalten, deshalb hätte ich noch keine Legi. Ich verdrücke mir den Kommentar, dass bisher auch noch keiner nach einem Foto von mir gefragt, geschweige denn das Wort Legi in den Mund genommen hat. Ich sende das Foto.
Eine Woche vor Semesterbeginn möchte ich dann die Dokumente herunterladen, die der Dozent für die erste Vorlesung hinterlegt hat. Mit beinahe kindlicher Freude rufe ich die Website auf und versuche, das StudyNet 2.0 zu entern. Zu früh gefreut, Benutzername und Passwort falsch, meldet das System. Langsam kommen mir Zweifel. Ist das Prozedere bei Studienbeginn ein Test um zu sehen, ob man es als Zugehörige des Segments 50+ noch drauf hat? Die Antwort auf die erneute Mailanfrage lässt längere Zeit auf sich warten. Wahrscheinlich bin ich im Studierendensekretariat in der Zwischenzeit auf der Blacklist. Dann die Offenbarung: Mein definitiver Benutze rname und meine Passwörter lägen schon seit längerer Zeit zum Abholen bereit! Woher hätte ich das wissen sollen, bitte schön? Aber auch hier verkneife ich mir den Kommentar. «Natürlich, gerne komme ich dann persönlich vorbei.»
Das Studierendensekretariat
Der erste Kontakt am Schalter war dann aber auch nicht gerade erbaulich für eine 50+. «Was wollen Sie?» Doch irgendwie auch wieder verständlich, die dachte sicher, ich hätte den falschen Schalter erwischt und eigentlich mein Dienstaltersgeschenk bei der Personalabteilung abholen wollen. Ich frage, ob das Foto angekommen und wann die Legi bereit sei. Das Foto sei angekommen, das sei im System vermerkt, aber die betreffende Sachbearbeiterin sei heute nicht da. Ich müsse nochmals ein Mail schreiben, um den Legi-Prozess auszulösen. An wen ich denn das Mail schicken müsse, fragte ich. «Na, an uns natürlich!» «Aber ich stehe ja hier und jetzt vor Ihnen. Ist das nicht genug, um den Legi-Prozess auszulösen?» Nein, ich müsse nochmals mailen. Ich frage nicht mehr, Widerstand ist zwecklos. Die Schilderung der folgenden zwei Wochen erspare ich euch. Unter anderem die zahlreichen persönlichen Besuche bei den IT-Tutoren. Diese empfangen mich mit riesigen Schaumstoffbierhumpen- Hüten auf den Köpfen, aus denen ein Zapfhahn herausragt, der etwas einem erigierten … – na ja, ihr wisst schon, was ich meine – ähnelt.
Doch eine 50+ ist hart im Nehmen. Die Tutoren residieren in einem abgeschiedenen Kellerraum und sprechen ein sehr charmantes, wenn auch ziemlich unverständliches Walliserdeutsch. Doch kein schlechtes Wort über die Tutoren: Ich liebe Geselligkeit, Sex und Dialekte. Oder die Beschreibung der leisen Unruhe, welche mich packte, als ich in den ersten zwei Wochen als einzige ohne Vorlesungsunterlagen, welche der Dozent auf dem StudyNet für uns hinterlegt hatte, in den Veranstaltungen aufkreuzte. Ich liess mir natürlich nichts anmerken, cool überspielte ich meine Unsicherheit. Als 50+ fällt man so oder so schon genügend auf. Kein Grund, hier eine Szene zu machen! Ich weiss ja, wie peinlich meine Kinder meine Auftritte finden.
Eintrittstest knapp bestanden
Viel wichtiger ist, dass ich euch heute mitteilen kann, dass ich als 50+Segment den Eintrittstest der Universität St. Gallen bestanden habe. Die Risiken und Nebenwirkungen des Prozesses waren für eine gestandene Berufsfrau ein Klacks. Nur ein paar ergraute Haare mehr, temporäre Überlastung des Zahnhalteapparates in Folge Zähneknirschens, ein paar verlorene Stunden Quality Time mit meinen Kindern, begleitet von etlichen, zugegeben unflätigen Schimpfwörtern, welche meinen Mann nervten und die mühsam antrainierten guten Umgangsformen meiner Kinder gefährdeten.
P.S.: Die Kurse sind super und meine Studienkolleginnen und -kollegen behandeln mich schon wie eine von ihnen. Was will man noch mehr?