Der Job eines Grenzwächters ist abwechslungsreicher als man denkt. Eine Reportage über Grenzgänger, gefälschte Pässe und Millionenbussen.
Grenzübergang Basel-Weil
Mittwochs, kurz nach 10 Uhr am Autobahnzoll Basel-Weil. Der Grenzwächter steht neben dem grauen Achtzigerjahre-Zollhäuschen in jener Pose, die jeder mit diesem Job assoziiert: breitschultrig, mit ernsthaft-kühler Miene und der wiederkehrenden Geste, welche die Erlaubnis zur Weiterfahrt symbolisiert. Sie lässt die Automobilisten beruhigt aufatmen. Nicht etwa, weil sie etwas zu verbergen hätten oder gar illegal einreisen wollten. Aber wer fühlt sich nicht einem ausführenden Organ der Staatsgewalt unterworfen, wenn dieses mit kritischem Blick die eigenen Ausweispapiere kontrolliert und detektivisch Fragen zum Woher, Wohin und Warum der Reise stellt?
Fleisch und Milch aus Deutschland
Zwei Hausfrauen Mitte fünfzig aus dem Baselland strecken gekonnt den Einkaufszettel aus dem Fenster und zeigen dem Grenzwächter Ivan Wallimann kooperativ die Milch und die Wurst im Kofferraum. Glücklich steigen sie rasch wieder ein, als der Zöllner dankend abnickt. Wallimann erklärt mir, dass er nicht nur überprüft, ob die Freimengen eingehalten werden. Vielmehr erfülle das Grenzwachkorps auch sicherheitspolitische und Migrationsaufgaben. Und wie entscheidet der Grenzwächter, wen er kontrolliert? «Mir hilft meine Berufserfahrung, Menschenkenntnisse und das Bauchgefühl», erzählt er. Das ermögliche natürlich nie und nimmer, den Schmuggel restlos zu unterdrücken.
Wallimann unterbricht und winkt einen schwarzen VW mit Freiburger Kennzeichen heraus. Nach den Standardfragen und einem Blick durch die Heckscheibe begleite ich ihn in das Grenzhäuschen. Hier überprüfe er im UV-Licht die Echtheit der Ausweise und sucht im Fahndungssystem und dem Ausländerregister nach verdächtigen Einträgen «Ein Grenzgänger, arbeitet in der Schweiz», informiert er mich und gibt die Papiere wieder zurück.
Tägliches Risiko
Der 23-jährige Obwaldner ist gelernter Zahntechniker. Seinen Militärdienst absolvierte er dann als Durchdiener beim Grenzwachtkorps und erhielt die Möglichkeit, die Ausbildung zum Grenzwächter auf privatem Weg weiterzuführen. Die Chance, einen beruflichen Wechsel einzuschlagen, wollte er sich nicht entgehen lassen und ist nun seit gut vier Jahren an der Front. «Hier geniesse ich vor allem die tägliche Herausforderung, meine Aufgaben an und mit den unterschiedlichsten Menschen zu erfüllen.» Und das Risiko, die Gefahren? Natürlich begleite einen jeden Tag ein Risiko, dies sei aber unvermeidbar. Darum durchlaufen Grenzwächter die gleiche Ausbildung wie Polizisten. «Bisher bin ich bei der Arbeit dreimal handgreiflich angegriffen worden», zählt Wallimann.
Das Brecheisen
Erneut tut sich etwas. Eine Kollegin winkt einen kleinen, leicht verbeulten blauen Peugeot heraus. Die Ausweiskontrolle zeigt, dass ein Insasse erst im Februar von einer mehrmonatigen Haftstrafe wegen Betrugs entlassen wurde. Der Jüngste der drei ist etwa 24-jährig, der Älteste gut 35. Sie tragen alle Trainingshosen, der eine eine Kappe, der andere ist fast glatzköpfig. Wallimann und seine Kollegin beginnen, mit ihren blauen Handschuhen das Auto zu untersuchen. Als im Kofferraum ein Brecheisen und im Handschuhfach Schraubenzieher diverser Grössen auftauchen, schüren die zwei Verdacht.
Es dauert eine gute halbe Stunde, bis die Fahrzeugspezialisten der Grenzwache Basel eintreffen, die das Gefährt mit Spezialgeräten nach verstecktem Diebesgut untersuchen. Derweil tastet Wallimann im Hinterzimmer der Grenzstation jeden der Verdächtigen einzeln ab. «Auch wenn wir heute kein Diebesgut finden, kann unser Rapport bei späteren polizeilichen Ermittlungen nützlich sein», erklärt mir derweil die Kollegin Blum. Nach guten vier Stunden durfte das Trio in die Schweiz einreisen. Das mutmassliche Einbruchwerkzeug wurde nach Artikel 104 des Zollgesetzes sichergestellt.
Grenzwachposten Zürich Flughafen
Szenenwechsel. Am Flughafen Zürich begleite ich während eines Tages die zwei erfahrenen Grenzwächter Hans Hofstetter (55) und Thomas Ammann (43). Sechs Teams mit insgesamt 80 Angestellten erfüllen von ihrer Zentrale im Operations Center 1 aus verschiedene Aufgaben: Neben den Zollaufgaben im und um den Flughafen Zürich sind sie für Zollaufgaben im Grenzgebiet, in internationalen Zügen und auf kleinen regionalen Flugplätzen verantwortlich. Weiter stellen sie Airmarshalls, betreuen den Grenzübergang Rafz-Solgen und kontrollieren nicht zuletzt auch internationale Sendungen aller Art im Briefzentrum Zürich-Mülligen.
Auch Angestellte schmuggeln
Den Tag beginnt das Team Hofstetter/Ammann mit einer Kontrolle an einem der vier Diensteingänge im Terminal 1. An diesen Schleusen können Angestellte und die Crews das zollfreie Airside Center nach Arbeitsschluss oder für Pausen verlassen. Der Weg zur Arbeit führe für Angestellte, Handwerker und Reinigungspersonal aber, wie die Herren ausführen, durch die Sicherheitskontrolle, deren auch die Flugpassagiere unterliegen. Sie dürfen hier nur passieren, wenn sie keine zu verzollenden oder illegalen Sachen mitführen. Die Grenzwächter machen an solchen Übergängen stichprobenartig Zollkontrollen. Eine gut gelaunte Duty-Free Verkäuferin zeigt auf Verlangen auch bereitwillig ihren Ausweis. Ammann prüft telefonisch allfällige Einträge im Fahndungssystem, während Hofstetter die Tasche inspiziert. Alles in Ordnung. Die Angestellten können im Airside Center Waren sehr günstig beziehen, weshalb bei einigen die Verlockung gross sein könnte, Ware unangemeldet durch die Schleusen zu bringen. Ebenfalls konnten sie einem Angestellten aufgrund von Hinweisen schon Drogenschmuggel durch diesen Ausgang nachweisen.
Illegale Einreisende aus Syrien
Der Einsatzleiter Hofstetter erklärt mir auf dem Weg zum Terminal 1, dass er den Dienst jeweils aufgrund von Risikoanalysen gestaltet. Heute wollen sie beispielsweise gezielt ankommende Passagiere einer Maschine aus Athen bei der Zollkontrolle überprüfen. In naher Vergangenheit hätte man als Folge der Konflikte in Syrien eine Zunahme von syrischen Staatsangehörigen ausmachen können, die mit gefälschten Papieren versuchten, via Griechenland in die Schweiz einzureisen. Und weil aus Athen Ankommende wegen des Schengen-Abkommens keiner Passkontrolle unterzogen werden, ist für Flüchtlinge die Chance, die Schweiz zu erreichen ohne je einen Ausweis gezeigt zu haben, sehr verlockend. Generell führe man verschärfte Ausweiskontrollen immer nur nach einer sorgfältigen Analyse der aktuellen Situation und im Zusammenhang mit der Zoll- und Warenkontrolle durch.
Flug 828 der Aegean Airlines wird um 10.20 Uhr erwartet. Einige Minuten früher bespricht Hofstetter mit den herbeigerufenen Kollegen den Ablauf. Jetzt verlassen sie sich auf ihre Menschenkenntnisse und suchen gezielt nach bestimmten Personengruppen. Kaum wollen die ersten Reisenden vom genannten Flug fluchtartig durch den Zoll marschieren, bitten die Grenzwächter und die zwei Kollegen vom zivilen Zoll selektiv einzelne Passagiere zur Zollkontrolle. Ammann prüft am Computer einen Ausweis nach dem anderen auf verdächtige Einträge. «Diese Frau hat eine französische ID, spricht aber kein Wort Französisch», meldet einer und legt das Dokument auf den Tisch. Ein Scanner liest die Daten ein, auf dem Bildschirm erscheinen eine Vielzahl Einträge. Ammann versucht, exakt diese ID im System auszumachen. Er wird stutzig. Es müsste sich um diesen Ausweis handeln, «aber das System zeigt Jahrgang 1992, der Ausweis jedoch 1982.» Deshalb prüfe er nun mit dem UV-Gerät die Echtheit des Ausweises. Prompt erkennt man unter dem richtigen Licht, dass die Neun zu einer Acht verwandelt wurde. Derweil wird ihr Gepäck durchsucht. «Normalerweise führen solche Leute ihren richtigen Pass versteckt mit sich mit», erklärt mir einer der Uniformierten. Im Gepäck und bei der Personendurchsuchung wird man aber nicht fündig. Die junge Frau ist sehr gelassen, versucht in wenigen undeutlichen englischen Wörtern zu erklären, dass ihre Kinder in Belgien warteten. Sie gibt sich offen als Syrerin zu erkennen. Ihren Pass hätte sie bei der Überfahrt von ihrer Heimat nach Athen im Meer verloren. Wie viel sie für die gefälschten Papiere bezahlt hätte, möchte Ammann wissen. Verschmitzt gibt sie zu verstehen, dass sie nichts bezahlt hätte. Ammann weiss, dass gestohlene Ausweise oft bis zu 3’000 Dollar kosten. Die Grenzwächter fanden noch heraus, dass auch die Angabe zur Körpergrösse und das Foto gefälscht wurden. Ihre Erkenntnisse stellen sie zu einem Dossier zusammen und übergeben es eine gute Stunde später der Kantonspolizei Zürich.
Privater Luftverkehr
Wir sind durch den Vorfall etwas aus dem Zeitplan gekommen und verlassen darum den Rot/Grün-Bereich. Ein Privatflugzeug ankommend aus Wien rollt mit zwei Passagieren zur Parkposition im Bereich für den privaten Flugverkehr. «Hier gehen wir schauen, ob die Passagiere etwas zum Verzollen mitführen», beginnt Hofstetter, «denn gerade aus Wien wird oft Kunst eingeführt..». Der überschaubare und menschenleere Ankunftsbereich hier verfügt ebenfalls über ein Zollbüro. Besetzt sei dies aber nur, wenn jemand im Voraus oder direkt hier telefonisch verlangt, Waren anzumelden. Oder eben bei Stichproben. Das österreichische Ehepaar möchte hier aber nur Freunde zum Weiterflug nach Venedig abholen.
Ansonsten läuft heute nicht mehr viel im Privatflugverkehr. Gegen 14.30 Uhr will Ammann bei einem auf der Isle of Man lizenzierten Privatjet prüfen, ob der Eigentümer nicht möglicherweise seinen Wohnsitz in der Schweiz hat. Wäre das der Fall, müsste die Maschine nämlich zur Zollveranlagung in der Schweiz angemeldet sein. Erst kürzlich meldete Hofstetter einen solchen Flieger der zuständigen Behörde. «Der bezahlt nun über drei Millionen Zollgebühren, Busse und Verzugszinsen», so Hofstetter. Aber was ist das schon für jemanden, der sich einen zwölfmal teureren Privatjet leisten kann.