Schwingen und Hornussen: Zwei Schweizer Nationalsportarten

Das Eidgenössische Schwing- und Älperfest, das jeweils Ende August stattfindet, lockt jedes Jahr mehr Zuschauer an. Während das Schwingen regelrecht boomt, kämpft das Hornussen ums Überleben. Doch was bedeutet Schwingen oder Hornussen eigentlich genau? Wir stellen zwei sehr unterschiedliche Schweizer Nationalsportarten vor.

Schwingen – Die Verbindung von Tradition und Moderne

Jeden Mittwoch findet in der alten Turnhalle Bruggen das Training des Schwingerverbands St. Gallen und Umgebung statt. «Trainieren die etwa auf Matten?», denke ich mir noch, als ich den mit gelben Polstern ausgekleideten Raum, den Schwingkeller, betrete. Weit gefehlt! Der ganze Boden ist bedeckt mit Sägemehl, mehr als knöchelhoch liegt es auf dem Kellerboden. «Wir haben es gerade letztes Jahr frisch gewechselt. Das Salz in der Mischung macht das Sägemehl länger haltbar», erklärt mir Andreas Rohrer, der technische Leiter des Vereins.

Sowohl Lidl als auch Migros werben mit bekannten Schwingern, Filme wie «Hoselupf» mit Beat Schlatter und diverse Dokumentationen, auch im ausländischen Fernsehen, und nicht zuletzt das diesjährige Eidgenössische Schwing- und Älplerfest tragen zur neu erweckten Bekanntheit des «Urschweizersports» Schwingen bei. Der Sport, bei dem man sich zu zweit in den Ring begibt, sich an den Hosen festhält und durch gezieltes Werfen, Ringen und Festhalten versucht, den Gegner innerhalb des Sägemehlkreises auf den Rücken zu legen und dort festzuhalten, gehört zum Schweizer Kulturgut wie die Löcher im Emmentaler und die Bären im Bärengraben. Für mich wirkte dieses Treiben immer sehr archaisch und undiszipliniert – doch hinter solchen Kämpfen und besonders hinter den Siegen an einem Schwingfest steht hartes Training und Technik.

Nach dem Aufwärmen geht’s ans Schwingen: «Im Winter üben wir vor allem Schulschwünge und die Technik. Da im Sommer die Wettkämpfe statt- finden, sind die Trainings dann auch mehr auf Freigänge, also auf ‹freie Kämpfe› ausgerichtet», erklärt mir Rohrer weiter. Gerade erklärt der Trainer Peter Oertig, der selbst einmal einen Kranz an einem Eidgenössischen gewonnen hat, dass Technik nichts ist, wenn sie nicht intuitiv erfolgt. Man muss den Gegner sofort einschätzen können und quasi blind und ohne Nachzudenken seine Chance – oder besser gesagt – die Schwachstelle des Gegners erkennen; es ist mehr als blinde Raserei und unkoordiniertes Miteinanderringen. So ist denn auch die Punktevergabe beim Schwingen sehr differenziert – es gibt nicht nur Sieg, Niederlage und Unentschieden. Es wird zum Beispiel unterschieden, ob man verloren, sich aber gewehrt und gekämpft hat, statt sich einfach zu ergeben. Wer kämpfend verliert, wird mit einer höheren Punktzahl belohnt als ein freiwilliger Verlierer. Die Geste, dass am Ende eines Kampfes (Ganges) der Gewinner dem Verlierer das Sägemehl vom Rücken klopft, zeigt, dass es hier vor allem um gegenseitigen Respekt geht.

Am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest, welches Anfang September in Burgdorf stattfand, nahmen auch drei Schwinger des Schwingerverbands St. Gallen teil: Geisser Lars, Rang 38a nach vier Gängen mit 35.50 Punkte, Vestner Roman, Rang 33a nach sechs Gängen mit 53.00 Punkten und Oertig Marcel, der sich leider im vierten Gang verletzte und frühzeitig den Wettkampf beenden musste. Dabei bietet das Eidgenössische alle drei Jahre nicht nur eine Plattform für Schwinger, sondern auch für die Schweizer Sportarten Hornussen und Steinstossen. Der Schwingerkönig 2013 heisst übrigens Sempach Matthias. Im Schlussgang siegte er gegen Stucki Christian – bekannt aus der Lidl-Werbung. Die rund 300’000 Besucher am diesjährigen Eidgenössischen zeigten, dass diese Sportart die Bezeichnung «Schweizer» verdient.

Und wer sich jetzt fragt: Schwingen denn nur Männer? Nein, auch Frauen schwingen, allerdings in einem eigenen Verband, der bei Weitem nicht die Mitgliederzahlen des männlichen Pendants zählt.

Hornussen – von Kirchenschwänzern zu Leistungsportlern

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Während Schwingerkönige regelmässig Migros- Plakate zieren und die Titelblätter der Blick- Zeitung füllen, schafft es das Hornussen nicht mal in die Kurzmeldungen von Tageszeitungen, und das obwohl ihm als eine der drei Schweizer Nationalsportarten eigentlich eine grosse Bedeutung zukommen müsste. Der Sport, bei dem ein Schläger den Nouss jeweils so weit wie möglich ins gegnerische Spielfeld schlägt und die abtuende Mannschaft den Nouss mit Schindeln so früh wie möglich abzufangen versucht, weist durchaus Ähnlichkeiten zu Baseball oder Cricket auf. Im Gegensatz zu diesen Sportarten kämpft das Hornussen jedoch mit mangelndem Nachwuchs und lückenhaft besetzten Mannschaften. Die Anzahl registrierter Vereine sei seit Jahren rückläufig, so Walter Moser, Vorstandsmitglied des eidgenössischen Hornusserverbandes und aktiver Spieler der Hornussergesellschaft Gossau.

Die Herkunft der Sportart ist aber trotz oder gerade wegen der langjährigen Tradition sehr umstritten. Das Emmental ist zwar zweifelsohne eine Heimat des Hornussens, jedoch wurde die Sportart im 17. und 18. Jahrhundert durchaus schon in anderen Regionen der Schweiz gespielt. Da Hornussen jeweils an Sonntagen ausgeübt wurde und so in direkter Konkurrenz zum sonntäglichen Kirchenbesuch stand, wurde zeitweise sogar versucht, die Sportart zu verbieten.

Bei der seit 1917 bestehenden Hornussergesellschaft Gossau haben die meisten der älteren Spieler die Nähe zur Sportart von Zuhause mitbekommen. Häufig sei es der Vater, der den Sohn ans Hornussen führt, sagt Moser. Diese Vater-Sohn-Tradition führt möglicherweise dazu, dass man die aktiven Hornusserinnen an einer Hand abzählen kann.

Abgesehen von mangelnder Gender-Diversity kann man aber wenigstens alterstechnisch grosse Unterschiede feststellen. So spielt der Vereinsälteste mit 74 Jahren an der Seite von 18-Jährigen. Auch die bäuerliche Herkunft, die dem Hornussen angehaftet wird, lässt sich in Gossau nicht bestätigen. «Da spielt der Schreiner neben dem Banker», sagt Moser, der selbst gelernter Metzger ist.

Das gesellige Beisammensein steht für die Hornusser in Gossau zweifelsohne im Vordergrund. Das zweimal wöchentlich stattfindende Training verläuft gemächlich. Manche Spieler treffen ein, während andere schon mehrfach abgeschlagen haben. Andere wiederum gönnen sich als erstes ein Bier im Clubhaus. Man hüte sich aber davor, zu nahe an den Abschlagsring zu stehen, wenn der Schläger den Stecken durch die Luft fegt, um den Nouss mit bis zu 300 km/h vom Bock zu katapultieren. Moser zeigt auf dem etwa zwei Meter langen Stecken eine nur etwa vier Zentimeter lange Fläche, die für einen erfolgreichen Abschlag exakt auf den Nouss treffen muss.

Beim Hornussen kommen also sehr viele typisch schweizerische Eigenschaften zum Zug. Sei es das kameradschaftliche Zusammensein von Jung bis Alt, die demokratische Spielweise, die eine gleichwertige Beteiligung aller Spieler erfordert, oder die ausschlaggebenden Fähigkeiten von Konzentration, Präzision und Technik, die es zu beherrschen gilt. In dem Sinne ist das Hornussen die wohl schweizerischste Sportart überhaupt. Und wer weiss, vielleicht erlebt das Swiss Golf, wie Hornussen im Ausland genannt wird, schon bald auch einen Hype, wie ihn zurzeit das Schwingen erlebt.


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