prisma stürzt sich in das St. Galler Nachtleben, um dieses gegen die schändliche Systempropaganda der Lügenpresse zu verteidigen. Eine nicht ganz ernst gemeinte Gegendarstellung.
Die Hintergrundgeschichte: Im Juli dieses Jahres veröffentlichte Spiegel Online (SPON) einen hässlichen Schmähbrief über das St. Galler Nachtleben in gewohnter Establishmentpresse-Manier – dagegen ist die fälschliche akademische Auszeichnung eines SVP-Politikers eine Kleinigkeit! Ein typischer postfaktischer Fauxpas, der voll im Zeitgeist liegt. Echt in Ordnung. Jetzt wirklich… Durch die Charakterisierung St. Gallens als «Finanzstadt» entzieht sich der Autor jedenfalls früh selbst die Glaubwürdigkeit und irgendwie wird man als langjähriger HSG-Student (Regelstudienzeit wird überbewertet), das Gefühl nicht los, dass in diesem Erfahrungsbericht von einer anderen Stadt die Rede ist. St. Gallen hat «nur etwa 80.000 Einwohner, darunter viele wohlhabende» heisst es weiter im Artikel. Das ist keine Überraschung, St. Gallen liegt in der Schweiz und nicht im nördlichen Nachbarland (mit der Geiz-ist-Geil-Mentalität). Hier sind viele wohlhabend, eben wie in jeder Schweizer Stadt. Die Schweiz ist nun einmal eines der reichsten Länder der Welt. In dem Artikel wird das Bild einer Wall-Street-Umwelt gezeichnet, das der Realität wenig entspricht. Wir sind eine kleine Studentenstadt in einer ländlichen Gegend – und das ist gut so. prisma versucht nun den Ruf des Nachtlebens wiederherzustellen und offeriert ein alternatives Erlebnisprotokoll – in gewohnter studentischer Qualität. So please, curb your enthusiasm.
21:00 Der Abend beginnt. Hinter uns liegt ein typischer HSG-Tag (es folgt eine kurze Zusammenfassung, um den Alkoholkonsum zu kontextualiseren, beim Leser wenigstens etwas Verständnis hervorzurufen und zu erklären, warum dieser sogenannte Spritwoch durchaus nötig ist): Um sechs Uhr klingelt der Wecker, da um acht Uhr die Gruppenkonferenz (natürlich mit Praxispartner) beginnt, die selbstredend noch vorbereitet werden muss. Der Kopf dröhnt noch etwas von dem gestern eskalierten «ein Bier im adhoc geht schon noch.»
Um neun Uhr beginnt der gefühlte 16-stündige Blockkurs zum Thema Soziologie der Zierfische (oder so ähnlich); der aber eine Stunde später besucht wird, da, seien wir ehrlich, ein nahrhaftes Frühstück den Kater vertreibt. Bei der Ankunft freut man sich sogleich, dass der einzig verbleibende Platz direkt zwischen dem Dozenten und seiner wissenschaftlichen Hilfskraft liegt. Nach dem Kurs, der sich wie eine Ewigkeit anfühlt (die Uhr zeigt aber nur vier an), geht’s dann weiter mit Gruppentelefonat, Email, Gruppentreffen und Paper schreiben für die morgige Abgabe. Irgendwann, etwa sieben Kaffees nach dem Aufstehen, nimmt die Frustration überhand. Der Arbeitstag wird beendet und das eigentliche Nachtleben startet. Endlich mal was ohne Koffein trinken – soll ja auch gar nicht so gesund sein. Das erste Bier jedenfalls schmeckt köstlich. Das zweite auch. Das dritte sowieso.
22.00 Ab geht’s zur ersten WG-Party. Die Stimmung ist gut. Maximilian aus München ist auch da, wir grüssen uns überschwänglich und machen gemeinsame Insider-Jokes über unsere Zeit im Internat. Ach, war das noch schön. Eines ist eine Konstante bei jeder HSG-WG-Party: Für Getränke ist gesorgt. Und so stürzen wir uns ins Epizentrum der Feierlichkeiten, die Küche, und füllen unsere leeren Gläser und Mägen auf.
22:05 Wir verlassen die erste WG-Party. Die Polizei kommt an; es gibt eine Ordnungsbusse, da zu laut gefeiert wurde. Ausserdem wird der Mieter ermahnt, dass sein Fahrrad im Treppenhaus gegen die Brandschutzbestimmung verstösst; es gibt eine zweite Ordnungsbusse. In der Schweiz herrscht halt noch Recht und Ordnung.
22:10 Gott sei Dank hatte der SPON-Artikel in einem wirklich recht: Die Laufwege sind extrem kurz. Schon erreicht man die nächste WG-Party. Irgendwie hat es hier jedoch kein einziges bekanntes Gesicht und innerhalb unserer Gruppe stellt sich die Frage, wer den Gastgeber kennt. Niemand.
Nach einem kurzen Gang durch das Apartment trifft man nur wieder Maximilian in der Küche (man begrüsst sich nochmal überschwänglich) und stellt dann fest, dass man auf einer Assessi-Party gelandet ist, als man einem Typ zuhört, wie er lallend einer andächtig lauschenden Menge erklärt, was man machen muss, um zu bestehen, und was nicht. Er muss es ja wissen: Er macht das Assessment zum zweiten Mal. Die Zuhörerschaft ist hin und weg von seiner Weisheit. Auf der anderen Seite des Raums hört man Beschwerden, wie nervig dieses EWS doch ist. Wir verlassen genervt die Party und gehen weiter.
22:15 Weiter geht’s in den Meeting Point. Wir begrüssen Maximilian am Eingang und etwa noch 20 andere Leute, die man aus Kursen, von WG-Partys, vom Sehen, von Konferenzen und von was-weiss-ich kennt.
24:00 Auf einen Umtrunk im Blumenplatz. Man kann so schön rausschauen und es ist nett. Hier gefällt’s mir. Das Bermuda Dreieck wird gemieden, weil … ach, wir sind ein Studentenmagazin, ihr wisst warum.
01:00 Schlussendlich verschlägt es einen doch noch ins Trischli, die erste Anlaufstelle für Studenten, die Party machen wollen. Obwohl die Wahrnehmung schon leicht getrübt ist vom moderaten Alkoholkonsum, erstaunt es, wie vielfältig doch die Musik in solchen Clubs sein kann. Es vergehen keine fünf Minuten und schon läuft man Maximilian über den Weg. Trotz limitierter Koordination wird getanzt bis die Beine wehtun, was leider sehr schnell gehen kann. Man hatte vor lauter Kursen mal wieder keine Zeit zu trainieren.
3:10 Was wäre der Heimweg ohne Döner? Danke Kränzlin. Retrospektiv stellen wir fest, dass der SPON Artikel doch gar nicht so Unrecht hatte.
Bilder Livia Eichenberger