Intime Kontakte und Geld: vereinbar? Ein Versuch, in das Gedankenkonstrukt von Professionellen im Studentenalter Einblick zu gewinnen.
Der folgende Text beruht auf zwei Gesprächen mit Escorts zum Thema Beziehung. Beide Gespräche waren ernüchternd ruhig. Darüber zu schreiben, war nicht einfach, und zwar nicht deshalb, weil es sich um ein Tabuthema handelt, sondern weil für mich die Abgeklärtheit der Befragten in dieser Form überraschend war.
In vielen Ländern Europas steht Prostitution unter Strafe beziehungsweise wird nur geduldet. Das Wort selbst kommt aus dem Lateinischen und bedeutet «preisgeben». Wenn man Wikipedia zu Rate zieht, liest man, dass die gesellschaftliche Bewertung des ältesten Gewerbes der Welt «einem starken Wandel» unterliegt. So korrigierten mich beide Interviewpartner bei der Benutzung des Wortes Prostitution und wiesen mich höflich, aber bestimmt darauf hin, dass sie sich als Escorts bezeichnen. Der österreichische Begriff der Begleitdame kommt mir in den Sinn. Soweit ich es verstanden habe, handelt es sich um Edelprostitution. Dort spielen auch Gespräche und intimes Zusammensein eine wichtige Rolle; zum Sexualverkehr muss es nicht zwangsläufig kommen. Die geführten Gespräche waren recht ähnlich in den Aussagen.
Die Anbieter
Das Callgirl will ich hier Martina nennen. Sie studiert nicht «International Affairs», wie sie mir gleich zu Beginn, mit einem Lächeln im Gesicht, sagte. Sie ist Mitte zwanzig, klein gebaut, zart in den Bewegungen, dezent bis unauffällig im Erscheinen. Sie ist ein hübsches Mädchen, wirkt zwar nicht unerfahren im Umgang mit Männern, aber eine gewisse Unschuld werden ihr die meisten unterstellen. Bald wird sie ihr VWL-Studium abschliessen. Eine Kollegin hatte den Kontakt für das Gespräch vermittelt. – Der Callboy heisst Jack. Er ist etwas jünger als Martina, wohnt in Paris und bereist wegen seines Jobs ganz Europa; nur die Schweiz nicht, weil er ein Visum bräuchte. Er sieht südländisch aus, also kleine Statur, braune Haut, schwarzes Haar und dunkle Augen. Woher er genau kommt, wollte er mir nicht sagen. Er jedenfalls hat International Affairs studiert. Jack mischte sich in ein lauteres Gespräch über Prostitution ein, das ich mit einem Kollegen beim Warten vor einer Elektro-Disco in Berlin führte.
Das Geschäftsmodell
Wahrscheinlich können sich die meisten Leser vorstellen, was es mit sexueller Befriedigung auf sich hat und dass man dazu tendiert, dabei nicht alleine sein zu wollen. Martina reizt die Abwechslung, so hat sie auf Anzeigen geantwortet und fing an, abends offensiver aufzutreten. Sie merkte, dass sie auch Geld verlangen kann. Meistens verlangt sie 300 Franken pro Stunde. Sie meint zu mir, dass sie einen Fetisch hat, aber diesen nur mit ihrem Freund ausleben möchte, denn Arbeit sei Arbeit. Wie lange und wie oft sie anschaffen geht, variiert zu stark, um eine Aussage treffen zu können. Preislich ist es bei Jack ähnlich, also 200 Euro. Er finanziert damit seinen Lebensunterhalt und es macht ihm Spass, viel Sex zu haben. Er führt ein lockeres Leben, wie er meint, denn Arbeit sei es für ihn nicht.
Die Kunden
Was Martina überrascht, ist, dass die meisten Männer einfach etwas Zeit mit Reden verbringen möchten und dass der Sex fast schon in den Hintergrund gerät. Zwar betont sie, dass Sex nicht fest eingeplant ist, aber auf Nachfrage stellt sie fest, dass sie bisher doch nie nein sagte. Die Kunden waren bisher immer sehr einfühlsame Männer um die vierzig Jahre alt, gebildet und eher gut aussehend. Meistens, so sagt sie, fehlt ihnen einfach die Zeit für eine Freundin oder Frau, dafür haben sie viel Geld, mit dem sie wenig anfangen können. Mittlerweile hat sie nur noch Stammkunden, die sich immer sehr auf die Semesterferien freuen. Jack scheint da liberaler: Er mag seine festen Kontakte, kann sich aber Sex mit weniger Abwechslung dann doch nicht vorstellen. Neben der Abwechslung ist bei Jack auch die Preisgestaltung unterschiedlich: «Eintagsfliegen ausnehmen und Stammkunden über einen günstigen Preis binden.» Weiteres Nachbohren, wer die Kunden sind, ist schwierig. Beide meinen, sie hatten schon alle möglichen Männer im Bett, und mit der Zeit ist es ihnen egal geworden ob Politiker, Familienvater, Prominenter, Wirtschaftsboss oder einfacher Mann. Wie vielen Freiern sie ihren Service schon offeriert haben, wissen beide nicht mehr. Martina meint: «Man fängt an, in Schubladen zu denken. Anfangs bin ich erschrocken, aber je mehr Männer man so intim kennt, desto mehr wird man im Schubladendenken bestätigt. Mittlerweile finde ich es nicht mehr schlimm, jemanden vorzuverurteilen, denn vieles ist einfach so, wie es ist, und das sollte man dann auch nicht bewerten … Ich finde, es zeigt mehr Mannesstärke, eine Frau zu bezahlen und sie damit wertzuschätzen, als ihr hinterherzuspannen und sie mit ständigen Anspielungen zu belästigen.»
Das Gefühl
Jacks Freunde wissen, was er macht. Tatsächlich sind viele seiner Freunde ähnlich tätig. Seine Familie weiss von alledem nichts, aber sie fangen schon an zu fragen, wann er heiraten möchte. Nur so viel kann ich ihm entlocken, denn danach werden meine Fragen abgeblockt. Nein, er sei eben kein Typ für Beziehungen und er werde wohl nie einer werden. Er hat gerne Sex und bekommt dafür dann auch gerne Geld. Aber es gibt noch Privates: So darf ich ihn nicht nach seiner letzten Beziehung fragen und ich darf keine Fragen zu seiner Familie und Herkunft oder nach seinen Hobbys stellen. Der gerade noch so locker plaudernde Jack zieht in Windeseile eine Mauer hoch. Martina verhält sich ähnlich. Sie meint, wenn ich schreibe: «Geld schafft auch Abstand», wissen die meisten Leser, wie sie mit dem Spannungsfeld Intimität versus Fremdheit umgeht. Keine Antwort auf Fragen über Familie und Freunde. Topic closed. – Auf diesem Weg komme ich nicht mehr weiter mit meinen Fragen. Also frage ich, wie es zu dieser strikten Trennung von Privatem und Escortservice kam. Als sie anfingen, regelmässig Zeit mit Kunden zu verbringen und manche näher kennen lernten, verliebten sich Martina und Jack jeweils in die Kunden. Es gab doch eine Beziehung, die aber nur auf Bedürfnisbefriedigung und Geld beruhte. Sich das klarzumachen, dass es nichts Emotionales ist, was bindet, war ungewohnt. So machte es Martina nur unglücklich, zu wissen, dass ihr Freier glücklich verheiratet ist und er nur zu ihr kommt, weil sie so ist, wie seine Frau war, bevor Letztere krank wurde.
Die Zukunft
Hier unterscheiden sich Martina und Jack stark. Jack lebt in den Tag hinein und geniesst das Leben. Im Winter ist er gerne im warmen Süden und fliegt nur hoch in den Norden, um Geld zu verdienen. Er hat seinen Hochschulabschluss und findet nicht, dass er mal richtig arbeiten sollte. Wenn, dann wird er nur freiberuflich tätig sein wollen. Und das ist er ja jetzt schon, nur kommt das Geld ohne Arbeit. Er liebt internationale Affären. – Martina möchte sich nach dem Studium ihre eigene kleine Firma aufbauen. Und da sie nicht von Banken abhängig sein möchte, wird sie vorerst so weitermachen. Sie meint: «Klar kann ich nicht immer Geld verlangen, aber vorerst ist es ganz praktisch. Vielleicht möchte ich später Kinder. Ich brauche sexuelle Freiheiten, aber ich bin so romantisch, dass ich an den Mann glaube, für den ich all das Erreichte aufgebe.»
Mein Urteil
Es dauerte seine Zeit, bis ich grob wusste, was ich schreiben soll und vor allem wie. Denn beide vermittelten mir das Ganze so, als ob ihre Beschäftigung nichts Besonderes wäre, und dabei erinnerten sie mich an einen Film in der Schule, in dem verschiedene Leute ihren Arbeitsplatz beschrieben. Nach den Gesprächen schien mir das Thema nur noch wenig verrucht. Ich habe keine schrägen Menschen angetroffen, wie ich es eigentlich erwartet hatte. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass ihnen beiden bewusst ist, dass es eine dauerhafte emotionale Belastung ist, Beziehungen verwehren oder ein Doppelleben führen zu müssen. Ich vermute, sie sind sehr gute Schauspieler und haben sich deswegen fast nichts von ihren inneren Konflikten anmerken lassen. Sie sind alt genug, um zu wissen, was sie machen, aber wir sollten Menschen nicht einfach aufgrund ihrer Tätigkeit verurteilen, das wäre hier zu kurz gegriffen.