«Solange ich mich rasiere, habe ich keine grauen Haare»

Der vierfache Olympiasieger und Skispringer der Nation Simon Ammann studiert seit letztem Herbst an der HSG. Der 37-Jährige über Studenten-Partys, die Reduktion auf Lernhilfen sowie die Frage des Rücktritts.

Welche Assessment-Prüfungen hast du im Winter geschrieben?

Im Winter schrieb ich BWL und VWL. Ausserdem gab ich die EWS sowie Reko ab. Da ich das Assessment über zwei Jahre erstrecken konnte, werde ich Recht erst im nächsten Jahr schreiben. Die Mathe-Prüfung habe ich aufgrund von Wettkämpfen verschoben.

Warst du vor den Prüfungen nervös?

Ich gehe gerne an Prüfungen, hätte mich aber gerne besser vorbereitet. Mich reizen Wettkämpfe, ich stehe auf das Adrenalin vor den Prüfungen. Natürlich habe ich vor einer dreistündigen Prüfung Respekt. Zudem finde ich es etwas komisch, dass man bei den Prüfungen keine anderen Hilfsmittel als Stift und Papier verwenden darf, um sein Wissen schneller abliefern zu können. Man sollte die Wahl zwischen Computer und Handschriftlichkeit haben.

Wie zufrieden bist du mit deinen Prüfungsresultaten?

Ich bin nicht ganz zufrieden, wie es ausging. Es ist zu gut, um aufzuhören aber gleichzeitig anspruchsvoll, weiterzumachen. Deshalb heisst es jetzt Vollgas geben.

Auf welche Gründe führst du das zurück?

Das Sportliche war ziemlich herausfordernd, da ich anfangs Winter im Materialbereich ein grösseres Problem hatte. Deswegen stand ich etwas unter Strom. Die Vorlesungen besuchte ich trotzdem regelmässig und ich ging deshalb davon aus, einen grossen Teil des Prüfungsstoffs bereits intus zu haben. Ich musste dann jedoch erfahren, dass an der HSG Organisation und die Reduktion auf Lernhilfen alles ist. In diesem Bereich habe ich mich zu wenig orientiert, und es wurde mir auch nicht mitgegeben.

Wie viel Zeit hast du in die Vorbereitung der beiden Prüfungen investiert?

Für BWL habe ich sehr viel gelernt, da es mein Hauptfokus ist. Mit VWL bekundete ich Schwierigkeiten und ich legte es dann für eine ganze Weile auf die Seite. Nachher griff ich es wieder auf und versuchte, es mit den Lernhilfen zu sortieren und das Grobe zu überblicken. Viel gelernt habe ich für VWL jedoch nicht. Schlussendlich erhielt ich bei beiden Prüfungen dieselbe Note. Das erstaunte mich doch sehr.

Was hast du hinblicklich des zweiten Semesters geändert?

Ich holte mir die Lernhilfen viel früher und versuche nun, die Sommerprüfungen gut zu meistern. Das heisst, dass es bisher keine Ferien gab. Nach einer langen Saison wäre es gut, etwas umschalten zu können. Hierfür ist der Lernstoff schon gut, da ich damit wirklich abschalten kann.

Wie ist der Kontakt mit anderen Studenten?

Die BWL-Übungsgruppe war jene Gruppe, mit der ich in Kontakt stand und mich austauschte. Nach dem ersten Break war ich freitags stets an Wettkämpfen. Ich war sodann auf mich alleine gestellt und dadurch stets einen Schritt zurück.

Wie nimmst du den krassen Altersunterschied wahr?

Mich nahm es stets Wunder, wie die jungen Studenten lernen. Meine Matura war 2003 – ich habe bereits alles wieder vergessen. Aber solange ich mich rasiere, habe ich keine grauen Haare, sonst sieht man den Unterschied. Als älterer Student bin ich zudem in einem anderen Rahmen, ich suche weniger den Anschluss in Vereinen. Und als Sportler kann man sich auch nicht jeden Abend ein fettes Abendessen oder einen Drink gönnen. Auch an Studentenpartys bin ich nicht anzutreffen.

Inwiefern stört dich dein Bekanntheitsgrad?

Ich bin gerne der Sportler, der bekannt ist, aber gerne auch die Person, die anderes macht und weniger bekannt ist. Natürlich werde ich hier erkannt. Die HSG ist jedoch recht international, weshalb sich das in einem guten Rahmen bewegt.

Wie stehst du zum SGMM?

In den Grundzügen finde ich das Modell sehr nützlich und es hilft mir insbesondere, gewisse Dinge besser in ein Wortgebäude einzusetzen. Der innere Schweinehund nervt einen zwar ständig, aber schlussendlich ist dieser Lernstoff tatsächlich eine Bereicherung für mich.

Woher stammt dein Interesse für BWL?

Die Überlegung war, dass ich in der Praxis schon viel Wirtschaft gemacht habe: Bei Toggenburg Bergbahnen AG, bei ASP Sports, unserer Sportmarketing-Agentur und in einem lokalen Dachdeckergeschäft, das ich vor drei Jahren mit meinem Bruder übernommen habe. Ich will anhand eines Studiums lernen, noch besser entscheiden zu können.

Und wieso hast du dir hierfür die HSG ausgesucht?

Wohin gehst du in der Schweiz, um Wirtschaft zu studieren? Natürlich an die beste Schule, denkt sich der Sportler. Man versucht es zuerst zuoberst und etwas anderes kann man dann später immer noch machen. Ich machte mir das Leben so nicht einfacher.

Bereust du deinen Entscheid?

Es war ein guter Entscheid, auch wenn es schwer war bis hierhin. Man findet nur heraus, ob einem etwas passt, wenn man es auch wirklich macht. Ich hätte schon in die Studienberatung gehen können, aber ich zog es vor, es tatsächlich zu erleben.

Wie bringst du Studium, Spitzensport und Familie unter einen Hut?

Eigentlich ist es nicht möglich, das alles unter einen Hut zu bringen. Von aussen kann man den Zeitaufwand nicht einschätzen. Was ist beispielsweise der Zeitaufwand als Verwaltungsrat der Bergbahnen Toggenburg? Man muss zwar jeden Tag die Augen offenhalten, aber wir haben nur drei oder vier Sitzungen im Jahr. Die Schwierigkeit ist, das Tagesgeschäft mit dem Training gut abzustimmen. Und kleine Kinder geben stets viel zu tun. Unter dem Strich heisst das, dass nicht alles perfekt läuft. Man muss schauen, dass man es mit allen Beteiligten gut organisieren kann und dass man stets dran ist.

Hättest du nicht gerne mehr Zeit für deine Kinder?

Als Sportler hat man sehr viel Zeit. Im Sommer, wenn wir lange zuhause trainieren, habe ich Zeit für Dinge wie ein Mittagsschlaf, die Kinder aus der Krippe abzuholen, auf den Spielplatz zu gehen und «Guetnachtgschichtli» zu erzählen. Ich habe nicht sehr viele Hobbies, aber ich gehe regelmässig Skifahren mit meinem Sohn, das finde ich wirklich toll.

Erzieht ihr eure Kinder zweisprachig?

Ja, wir haben wirklich das Ziel, dass sie Russisch und Deutsch lernen. Ich spreche Schweizerdeutsch mit ihnen, meine Frau Russisch. Im Russisch werden sie mich wohl schon sehr bald überholen.

Was macht die Faszination Skispringen aus?

Beim Skispringen lernte ich vorerst die schönen Seiten kennen: Es ging lediglich ums Runterspringen, nicht um Froschhüpfen oder den Konditionstest. Später ist eine physische Topform unabdingbar, da ich in meiner Sportart bei 100km/h die Kante am Schanzentisch genau treffen muss. Nachher zeigt dir die Aerodynamik gnadenlos, ob du recht hast oder nicht. Skispringen ist teilweise die Formel 1 des Winters. Aber wir haben kein Monitoring für alles – beispielsweise die ganze Aerodynamik. Schliesslich ist es eine reine Gefühlsfrage, wann wir den Tisch verlassen.

Ist es nicht anstrengend, stets das gleiche Körpergewicht halten zu müssen?

Als Student muss man bestimmt lernen, sich nicht durch den Griff in den Kühlschrank vom Lernen abzulenken. Im Sport hat man es einfacher. Man steht auf die Waage und weiss ganz genau, wo die Grenzen liegen. Meine aus Russland stammende Frau kocht sehr gut, aber sie ist mir als Sportler stets entgegengekommen. Wenn ich dann mal aufgehört habe, werde ich dann aber auch mal ein Sandwich mehr essen oder den Kaffee mit Milch und Zucker trinken.

Du bist ausserdem Botschafter der Special Olympics in der Schweiz.

Als Botschafter vertrete ich die Interessen der Organisation und bin an Events mit dabei. Für mich ist es einfach genial, weil die Sportler so aufgeweckt sind, den Sport lieben und wahnsinnig dankbar dafür sind, eine solche Plattform zu haben. Bis Personen mit geistiger Behinderung auch zu einem Club gehören können, braucht es jedoch noch sehr viel Arbeit. Ich stehe dafür ein, dass Clubs wirklich die Türen aufmachen und diese Personen auch ins Training integrieren.

In deinem Alter haben sehr viele andere schon längst mit Spitzensport aufgehört.

Wenn ich mit Skispringen aufhöre, dann ist es für immer vorbei. Mit diesem Schritt der Endgültigkeit tue ich mich schwer. Auf den Punkt gebracht bin ich auch in meinem Alter noch bei 100 Prozent. Das ist ein sehr grosser Fortschritt in der Trainingslehre. Solange ich gesund bin und dieses Level hinkriegen kann, fällt es mir schwer loszulassen. Ich habe eine wahnsinni- ge Freude am Sport, am Springen, am Fliegen und an der Überraschung nach dem Losfahren.

Wie lange machst du noch weiter?

Das Leben als Sportler ist ein Krampf. Man hat stets die Vorstellung «ich schaffe es», das ist ein positiver Ansatz, den ich für mein Leben – auch bei anderen Projekten – habe. Ich muss mich fragen, wie viel ich trainieren will und kann, oder ob ich mich doch voll und ganz aufs Studium konzentrieren will. Ich bin noch nicht ganz entschlossen. Am Schluss des Winters hatte ich eine sehr gute Phase. Ich machte den weitesten Sprung, den ein Schweizer je gemacht hat (243m). Das passiert nicht einfach so. Die Auslegeordnung ist entsprechend kompliziert.

Hast du Mühe damit, dass dir immer wieder vorgeworfen wird, du hättest den richtigen Moment für deinen Rücktritt verpasst?

Im Skispringen sind die wenigsten besser als ich, auch jene, die so etwas kommentieren. Deswegen muss ich mich auch nicht auf die Diskussion dafür oder dagegen einlassen, sondern wirklich für mich entscheiden, ob es weiterhin sicher ist, was ich mache und ob ich wirklich fit dafür bin.

Mit welchen Gefühlen blickst du auf deine sehr lange Karriere zurück?

Ich glaube, dass ich später viel zufriedener auf das zurückblicken kann als jetzt, wo ich noch aktiv bin. Jetzt bin ich immer irgendwie unzufrieden und habe das Gefühl, dass andere besser sind. Was mir in diesem Zusammenhang schwer fällt, ist, dass ich keinen einzigen Pokal bei uns in der Wohnung stehen habe. Der Sport findet bei mir zuhause praktisch nicht statt. Später will ich mehr in Erinnerungen von meiner Karriere schwelgen können.

Mit deinen zwei Doppel-Olympiasiegen wird stets auch der Silbermantel in Verbindung gebracht, den du 2002 an der Siegerehrung in Salt Lake City getragen hast. Hast du diesen ausgefallenen Mantel noch in deinem Schrank hängen?

Wir haben das Original versteigert, aber immerhin ein Substitut habe ich noch zuhause. Ich habe unbedingt einen haben wollen. Die Siege waren so unglaublich überraschend – typisch amerikanisch. Alle diskutierten über mich und meinen Mantel und ja, am Mantel hat es auch nicht wenig negative Kritik gegeben.

Wo möchtest du in zehn Jahren stehen?

Das Studium führt mich in die Zukunft. Die Chance, dass man in einem Unternehmen einen einflussreichen Posten übernimmt, sah ich ohne Ausbildung nicht. Geschäftlich muss ich mich noch orientieren, und ich glaube das Studium kann mir dabei helfen, zu sagen «ja, jetzt bist du im Sportmarketing und wir bringen unsere Agentur weiter». Zudem sind Projekte denkbar, die sich mit Sport und Skispringen überkreuzen. Es ist aber nicht mein Ziel, Trainer zu werden – in diesem Falle würde ich anstatt des Assessments eine Trainerausbildung durchlaufen.

Ist Olympia 2022 in Peking definitiv keine Option mehr?

Nein, jetzt muss ich erst einmal schauen, wie das nächste Jahr läuft. Es wird einem nichts geschenkt. Ganz vorne ist der Wettbewerb hart, wie in der Wirtschaft…

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