«The Future of the Ordinary City»

Paris, New York, Barcelona. Weltstädte, die jeder einmal gerne be- und erleben möchte. Doch was passiert mit einer «durchschnittlichen» Stadt wie St. Gallen? Eine Podiumsdiskussion hat sich den Chancen und Perspektiven der mittelgrossen Stadt gewidmet.

Haben moderne Hektik und Ansprüche das Leben in einer mittelgrossen Stadt unattraktiv gemacht? Gibt es in St. Gallen nicht alles, was die moderne Welt bietet – nur mit noch mehr räumlicher Qualität statt grossstädtischer Hektik?

Wird sich die Stadt St. Gallen in Zukunft als eigenständiges starkes Gravitationszentrum dem wachsenden Einfluss Zürichs entgegenstellen, oder wird St. Gallen mit den umliegenden Orten in eine uniform geprägte Bodenseeregion verschmelzen? Auf lange Sicht, so war man sich einig, wird die Stadt im Status quo keine selbstprägende Zukunft haben – dafür muss sie sich (neu) positionieren. Ob als Wissensstadt oder Kreativstadt, St. Gallen muss auf der Weltkarte genauso um einen leuchtenden Punkt kämpfen wie Städte von Weltrang.

Ein zahlreiches, lebhaftes Publikum fand sich am 31. Oktober 2008 zur Podiumsdiskussion in der Kunst Halle St. Gallen ein, um solche Fragen unter die Lupe zu nehmen und sich inspirieren zu lassen. In welcher Atmosphäre hätte dies besser geschehen können als in der eines Herbstabends, der die Ausstellung studentischer Stadtforschungsprojekte – entstanden während der Haniel Seminare – mit einer interaktiven Diskussion unter internationalen Podiumsgästen verband: Maria Nordmann (Künstlerin, LA/Bonn), Edward W. Soja (Professor für Soziologie & Urban Planning, UCLA/LSE), Philipp Oswalt (Professor für Architekturtheorie und Entwerfen, Universität Kassel) und Klauspeter Nüesch (Stadtentwickler, St. Gallen) diskutierten mit Timon Beyes (Programmleiter Handlungskompetenz, Universität St. Gallen) im Rahmen der Haniel Seminare, die sich 2008/09 dem viel diskutierten und immer wichtigeren Themenfeld «Stadt und Raum» widmen.

St. Gallen als Aushängeschild der Bodenseeregion

Kommt es auf die Grösse an? Das kommt auf den Rest an. «Ich bin Regionalist, kein Urbanist», meint Prof. Edward W. Soja. Die Stadt St. Gallen ist hier besonders interessant, da sie sich nicht im unmittelbaren Umfeld einer Metropolitregion befindet. Sie könnte also noch die Bodenseeregion prägend für sich erfinden. Es wird wohl zu einer Verschmelzung kommen, die Gretchenfrage scheint nur zu sein, wer wie schnell wie umfangreich mit seinem Kern fusionieren wird. Kann St. Gallen ein Gravitationsfeld erzeugen, stark genug, um auch Zürich entgegenkommen zu lassen und nicht nur selbst entgegengehen zu müssen? Grösse spielt keine Rolle, denn Regionalismus belebt und stärkt die Stadt. «Tagtäglich», so Klauspeter Nüesch, «war ich in einer weiteren Stadt Chinas mit über zehn Millionen Einwohnern, von der ich zuvor nie gehört hatte.»

Doch für Philipp Oswalt spielt Grösse eine Rolle. Städte sind keine abgeschlossenen Entitäten, sondern räumliche Regionen. Was eine Stadt oder Region ausmacht, sind deren Schauplätze – und da spielt Grösse, vor allem bei der Vermarktung, oft doch eine entscheidende Rolle. Beispielsweise sind etwa 80 % des Universitätspersonals zweier mittelgrosser deutscher Städte Pendler, die am Stadtleben und der Region nur flüchtig teilnehmen, wodurch sich die Wissenseinspeisung enorm verändert. Das kursgebende Umfeld ist jedoch lokal und relativ konstant. Der menschliche Körper ist Maria Nordmanns umfangreiche Metapher dieser Stadt. Jede Zelle – die Einwohner – kommuniziert mit anderen Zellen und pendelt im ganzen Körper – der Region – kreislaufartig zu Herz und Gehirn – den Schauplätzen.

St. Gallen auf der Weltbühne

St. Gallen als Schauplatz der Region Bodensee. Doch wie soll sich die Stadt auf der Weltbühne präsentieren? Zunehmender Wettbewerb treibt Städte dazu, ihre Seele gegen Touristengeld zu verkaufen. Beispielsweise vermag das Guggenheimmuseum in Bilbao solches Geld zwar anzuziehen, doch geht ein Teil der Identität der Stadt verloren – eben der Teil, für den das «Wahrzeichen» eine neue Identität vorschlägt. Es will der Stadt und ihrer Region eine neue Identität geben und nimmt damit diejenige, die sich kultur- und regionalauthentisch entwickelt hat. Das Stück wird berühmt, das Allerweltspublikum applaudiert und das Lokalpublikum verliert.

Doch Wettbewerb ist etwas Andauerndes. Was also bleibt (von) der Seele einer Stadt? «Es gibt auch andere Wege, um das Interesse für Städte zu wecken, als nur den Verkauf der Seele», so Edward W. Soja. Möglicherweise nicht ganz so glanzvolle, doch solche, die Authentizität bewahren in Zeiten, in denen Authentizität nicht nur verloren geht, sondern oft regelrecht für etwas geopfert wird, das den Tausch nicht wert ist. Welch Glück, dass St. Gallen ein Kloster zum Wahrzeichen hat – und das schon seit über einem Jahrtausend.

Haniel Seminare

Die Haniel Seminare werden von der Haniel Stiftung des gleichnamigen deutschen Unternehmens ermöglicht. Sie setzten sich mit Themenfeldern auseinander, die bislang im deutschsprachigen akademischen Diskurs unterrepräsentiert waren. Die Seminare sind seit 2003/04 Teil des Kontextstudiums der Universität St. Gallen, stehen aber zusätzlich auch allen Stipendiaten der Haniel Stiftung offen. Im Rahmen der Haniel Seminare werden auch öffentliche Podiumsdiskussionen veranstaltet


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