«Where has the future gone?» – Die sozialen Auswirkungen der neuen Technologien
Unter dem diesjährigen Motto «Where has the future gone?» trafen sich Ende Februar Macherinnen und Denker aus 40 Nationen in Genf zur Lift09-Konferenz und diskutierten über die sozialen Auswirkungen der neuen Technologien. Anlässlich der ersten Liftkonferenz im Jahr 2006 noch ein Nebenaspekt, waren die sozialen Netzwerke im diesjährigen Programm nicht mehr zu übersehen. Bereits bei der Registrierung konnten die Teilnehmer mittels «Tags» ihre Interessen bekanntgeben und auf dem am Konferenzbadge angebrachten «Poken» auf ihre Netzwerkprofile verweisen. Anstatt Visitenkarten auszutauschen, reichte nunmehr ein kurzes Badge-Reiben mit dem Gesprächspartner aus, um persönliche Kontaktinformationen weiterzugeben.
Der Aufstieg der sozialen Netzwerke
Nachdem sich soziale Netzwerke wie Myspace und Facebook zum festen Bestandteil von Freizeitkulturen etabliert haben und geschäftliche Kontakte auf Plattformen wie Linkedin oder Xing gepflegt werden, integrieren auch profitorientierte Organisationen diese Instrumente zunehmend in ihre Betriebe.
Dass soziale Netzwerke noch längst nicht die Reifephase im Produktelebenszyklus erreicht haben, zeigte sich unlängst im Interface-Redesign von Facebook, welches nach einem gescheiterten Übernahmeversuch von Twitter dessen Kernangebot des «Zwitscherns von Informationen» zur zentralen Profilfunktion gemacht hat. Twitter, das weiterhin ohne ein eigentliches Ertragsmodell operiert, wird zudem seit September 2008 von Yammer, das sich auf unternehmensinternen Wissensaustausch – indem nur Kommunikation innerhalb der Firmendomäne möglich ist – fokussiert, herausgefordert. Zwischen den vermeintlich ähnlichen Ansätzen von Twitter und Yammer liegen jedoch Welten, deren Differenzierung starke Implikationen auf Geschäftsprozesse ausübt und in Zukunft verstärkt ausüben wird.
Die sich ändernden Innovationsprozesse
Von Daniel Demel, Interaction Designer beim Hörgerätehersteller Phonak, erfuhr ich an der Lift09 zwischen einem Schluck Kaffee und dem standesgemässen Badge-Reiben, dass er bei Phonak jüngst Yammer installiert und Instrumente konzeptioniert hat, um die Bedürfnisse der Kunden besser zu verstehen und sie verstärkt in die Produkteentwicklung einzubinden. Einige Kaffeepausen später treffe ich den HSG-Alumnus Adrian Locher von Zimtkorn AG, der mir über ein gemeinsam mit der Berner Innovationsplattform Atizo realisiertes Projekt berichtet, mit dem das Vorschlagswesen der Schweizerischen Post ins digitale Zeitalter überführt wurde. Indem Postangestellte an der Verfeinerung der Ideen ihrer Arbeitskollegen beteiligt wurden, konnten im nachgelagerten Ideenmanagement 1’500 Stellenprozente eingespart werden, da dezentrales Unternehmenswissen nicht mehr länger von zentraler Stelle abgerufen werden muss, sondern proaktiv von engagierten Mitarbeitern eingebracht wird. Während der Pilotphase dieses «Ideenbrutkastens» wurde zudem die Anzahl neuer Ideen um fast 30 % gesteigert.
Yammer und auch der Ideenbrutkasten der Post bedienen sich des Crowdsourcing-Ansatzes, beschränken sich jedoch auf unternehmensinternes Wissenspotenzial. Einen wesentlichen Schritt weiter gehen Unternehmen wie Procter & Gamble, das den Entschluss gefasst hat, 50 % der Produkteinnovationen von ausserhalb der Unternehmung einzukaufen, und das seine Innovationsbedürfnisse auf Plattformen wie Innocentive, wo über 90’000 freie Wissenschaftler verkehren, offenlegt.
Die Implikationen auf Geschäftsprozesse
Soziale Medien basieren auf netzwerkartigen Informationsflüssen und machen die meist hermetisch geschlossenen Aussengrenzen zentralistischer Organisationen vermehrt porös. Zugleich verlangt eine zunehmende Wettbewerbsdynamik den Unternehmen eine gesteigerte Innovationsgeschwindigkeit ab, was die aktive Beteiligung am Markt der Ideen – innerhalb und ausserhalb der Unternehmung – unerlässlich macht. Da das Zwitschern von Gedanken menschlich ist und zunehmend durch Technologie katalysiert wird, lässt sich der «Abfluss» von Ideen kaum mehr stoppen, weshalb der strategische Fokus auf den «Einfluss» benötigter und passender Ideen gelegt werden sollte. Wie Unternehmen mit dieser Herausforderung umgehen, welcher Grad an Offenheit angestrebt werden soll und welche strategischen Anlagen unter Verschluss gehalten werden müssen, muss jede Organisation für sich entscheiden. Zur Auswahl stehen das auf einen begrenzten Benutzerkreis ausgelegte Yammer-Modell sowie das gänzlich offene Twitter-Modell. Der Markt wird entscheiden, welcher Ansatz sich durchsetzen wird. In diesem Sinne hat die Zukunft erst gerade begonnen.
PS: Die nächste Liftveranstaltung findet im Juni 2009 in Marseille statt. Weitere Infos: www.liftconference.com
Seit März baut der HSGler Philip Urech die Hub.india Community auf, lernt mit Hindi seine siebte Fremdsprache und bereitet sich auf das HSG-MIA Programm vor.