Unscheinbare Revolution

Die meisten öffentlichen Kundgebungen und Revolutionen sind geografisch weit von der Schweiz entfernt. Sind wir uns oder unser System zu gut um zu demonstrieren?

Es vergeht kaum ein Tag, an welchem man keine Berichte über die Ausschreitungen der «Black Lives Matter» Gruppierung in den USA liest. Begonnen hat dieser Aufstand im Jahr 2014 am Labor-Day Wochenende, als sich über 500 Afroamerikaner in Ferguson (USA) versammelten und gegen das Zutodekommen eines schwarzen Jugendlichen durch die Polizei demonstrierten. Ihr Anliegen ist es, Gerechtigkeit und Gleichbehandlung für Afroamerikaner im Rechtssystem der USA zu erwirken. Seit diesem Wochenende wächst die Anhängerschaft der «Black Lives Matter» Bewegung stetig an. Dabei geht die Sozialisierung und Anteilnahme auch über die Landesgrenzen hinaus und hat jetzt auch Europa erreicht. Kürzlich musste in London gar der City Airport vorübergehend geschlossen werden, da neun Demonstranten von «Black Lives Matter» die Landebahn besetzt hatten. Wie ihre amerikanischen Vorbilder prangern auch sie die unfaire Behandlung und Benachteiligung der schwarzen Bevölkerung durch den Staat an.

Revolutionen in der Schweiz
Es ist nicht überraschend, dass diese Bewegung nicht in der Schweiz angekommen ist. Denn auch bei der globalen Finanzkrise 2008, welche die Wirtschaft in eine so tiefe Repression geführt hatte, wie seit den 30er Jahren nicht mehr, gab es nur geringe Aufstände oder Ausschreitungen seitens der Schweizer Bürger. Darüber hinaus steht Europa mit der Flüchtlingskrise einer neuen humanitären Herausforderung gegenüber und trotzdem verläuft diese Entwicklung meist ohne grösseres öffentliches Aufsehen in der Schweiz. Dies zumindest grösstenteils bei der jüngeren Generation.
Sind diese Zeiten, in denen junge Menschen auf die Strasse gehen, vorbei? Ist die Generation Y der Schweiz wirklich träge und nimmt alles hin? Anlass zu diesen Fragen ergeben sich auch aus den Schweizer Volksabstimmungen, an welchen die durchschnittliche Stimmbeteiligung der 18- bis 29-jährigen bei 20 Prozent liegt, obwohl gerade sie am meisten von den Abstimmungsresultaten betroffen sein werden.
Dies war jedoch nicht immer so. Am 30. Mai 1980 demonstrierten hunderte Jugendliche vor dem Opernhaus in Zürich. Anlass dafür war die Bewilligung eines 60 Millionen Franken Kredites für den Bau des Opernhauses. Diese Demonstration artete in Strassenschlachten und grossen Sachschäden aus. Solche Unruhen gibt es heutzutage bei uns höchstens noch bei den jährlichen Demonstrationen zum 1. Mai in Zürich.

So tönt es an der HSG
prisma hat sich am Campus umgehört und nachgefragt, wie engagiert die Studierenden heute wirklich sind und für was wir, die Generation Y, auf die Strassen gehen würden. Dabei ist bei einer nicht repräsentativen Befragung von 50 HSG-Studenten herausgekommen, dass die Generation Y weder träge noch faul ist und sich sehr wohl für das Geschehen interessiert. Über 40 Prozent der zugegebenermassen eher kleinen Stichprobe haben bereits an einer Demonstration teilgenommen. Jedoch hat nur ein sehr geringer Teil, nämlich gerade mal 6 Prozent, schon einmal eine Demonstration selbstständig organisiert. Dennoch gab die Mehrzahl der Befragten an, dass mit einer Demonstration die gewünschte Wirkung erzielt werden kann und somit das Ziel erreicht werden kann.
Natürlich haben wir auch nach konkreten Gründen gefragt, für welche die HSG-Studenten auf die Strasse gehen würden. Über 90 Prozent der Befragten würden demnach bei der Verletzung ihrer politischen Rechte demonstrieren und ihre Rechte auf der Strasse zurückfordern. Zusätzlich würden über 70 Prozent der Befragten HSG-Studenten bei Zensur der Medien an einer öffentlichen Kundgebung teilnehmen und eine Änderung verlangen. Jedoch würden nur etwas über 30 Prozent der Befragten bei Einbussen des Sozialstaates auf die Strasse gehen. Was erstaunlich war, ist die Meinung, welche die Befragten HSG Studenten von Demonstranten im Allgemeinen haben. Denn ungefähr ein Viertel der Befragten gaben an, eine negative Meinung von Leuten zu haben, welche auf die Strasse gehen. Ungefähr die Hälfte steht ihnen neutral gegenüber und nur etwas weniger als einen Viertel sehen sie positiv an. Eine Erklärung für die negative Einstellung gegenüber Demonstranten liefert die Möglichkeit sich anderweitig Gehör zu verschaffen, beispielsweise in Jugendparlamenten, mit Initiativen, etc.

Schweizer Naturell
Schweizer Bürger sind selten Schock-Ereignissen aus der Politik oder der Wirtschaft ausgesetzt. Viele Entscheide beruhen auf langen Prozeduren und werden bei kritischem Inhalt bereits vor der Durchsetzung in den Medien kontrovers diskutiert. Deshalb entstehen wenige Situationen, bei welchen die Resultate den Schweizer Bürger direkt und unvorbereitet treffen. Dennoch zeigt der klassische Schweizer Bürger eine gewisse Unzufriedenheit mit Angelegenheiten rund um Wirtschaft und Politik. Öffentliche Ausschreitung gibt es aber trotzdem kaum. Aber was braucht es, dass sich die Schweizerinnen und Schweizer aus der Komfortzone wagen und sich in die Lage der empörten Aufständischen versetzen?
Die Schwelle, auf die Strasse zu gehen und seine Meinung kund zu tun, scheint, beim durch den Wohlfahrtsstaat verwöhnten Schweizer, gross zu sein. Denn Einbussen werden hingenommen, solange sie nicht eine einschneidende Wirkung auf den Alltag haben. Bleibt der gewohnte Lebensstandard erhalten, können Demonstrationen und revolutionäre Aktionen gemieden werden.
Es bleibt die Frage, ob wir Schweizer uns über unsere Zurückhaltung und das fehlende Engagement ärgern sollten oder aber gelassen auf unser stabiles System blicken können.

Bild Livia Eichenbergerzvg


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