Unterwegs in Krisengebieten – ein Reisebericht der anderen Art

Alljährlich führt mich der Weg in Richtung Osten, das krisengeplagte Gebiet zwischen Israel und Palästina. Trotz der angespannten Lage ziehen mich enge Freundschaften und die schönen Landschaften immer wieder an.

Nach einem vierstündigen Flug, einigen Security-Checks bei der Einreise am Flughafen in Tel Aviv und anschliessender Autofahrt kann ich meine in Jerusalem lebenden Freunde endlich wieder in die Arme schliessen. Die Freudentränen kullern auf beiden Seiten nur so herunter. Doch während dieses Aufenthaltes begleiten mich neben Freude auch immer wieder Ängste, Wut und Schreckmomente. Grund dafür ist der seit Jahrzehnten ungelöste israelisch-palästinensische Konflikt, welcher das alltägliche Leben weiterhin stark prägt.

Reisen mit Hindernissen

Eine Fahrt von Jerusalem nach Ramallah, welche unter normalen Umständen eine halbe Stunde dauern würde, kann sich so beispielsweise über mehrere Stunden hinziehen. Denn das nahegelegene Ramallah liegt in der Westbank. Bei der Westbank handelt es sich um palästinensisches Territorium, um welches die Besatzungsmacht Israel eine 700 Kilometer lange Mauer gebaut hat. Diese Mauer und somit auch der Weg nach Ramallah ist nur über Checkpoints zu erreichen, welche von israelischen Soldaten bewacht werden. Meist herrscht um diese Checkpoints ein Verkehrschaos und hin und wieder sind Schüsse zu hören. Wenn man  den Übergang endlich erreicht hat, kann es vorkommen, dass dieser plötzlich geschlossen wird. Deshalb werden vor einer solchen Fahrt erst Bekannte angerufen, um die aktuelle Lage an den Checkpoints zu erfragen und herauszufinden, welches die optimalste Route ist. 

Der Rückweg ist vergleichsweise noch mühsamer: Der Pass jedes einzelnen Fahrgastes wird geprüft und unter Umständen auch das Auto durchsucht. Dabei setzen die israelischen Soldaten nicht auf Schnelligkeit, sondern verlangsamen den Prozess, indem sie nur eine von drei möglichen Kontrollstellen öffnen und diese mit rund zehn Soldaten besetzen, wobei meist nur einer oder zwei die Kontrolle der Fahrgäste übernehmen. Zudem scheint es eine Gewohnheit der Soldaten zu sein, sich mehr Zeit für die Kontrollen zu nehmen, je ungeduldiger die wartenden Leute werden und je lauter das Hupen ertönt. Ist man endlich an der Reihe, ist kein «Guten Tag» oder «Ihre Pässe bitte» zu erwarten. Alles läuft nur über Zeichensprache ab, es sei denn, es kommt zu einer Befragung. Im Glücksfall wird man einfach durchgewunken. Über die Jahre hinweg haben sich die PalästinenserInnen dazu einige Strategien angeeignet. So nimmt beispielsweise eine meiner Freundinnen vor der Überquerung des Checkpoints jeweils das Kopftuch ab und bindet es sich so um, wie es eine Jüdin beziehungsweise Israelin trägt. 

Mit Schrecken davongekommen

Zurück in Jerusalem bleibt die Atmosphäre angespannt. Momentan ist die Situation zwar ruhig, aber es kommt immer wieder zu Anschlägen (meist von palästinensischer Seite aus) oder Gewalteskalationen zwischen Israeli und Palästinensern. Deshalb kommt es während meines Besuches immer wieder zu Planänderungen, da an gewissen Tagen ein Besuch der Jerusalemer Altstadt oder die Fahrt in eine Stadt der besetzten Gebiete zu gefährlich wäre. Aufgrund dieser unsicheren Lage bin ich bis diesen Sommer nie alleine in Jerusalem unterwegs gewesen. Kein Tag verstrich, ohne dass mich jemand begleitete oder aus dem Fenster beobachtete, bis ich die nächste Haustür erreicht hatte. So hatte ich dieses Jahr ein mulmiges Gefühl bei meinen «ersten» Schritten alleine durch die Stadt. Dabei ertappte ich mich, wie ich jeden, der mir entgegenkam, kritisch musterte. Nervös machte mich besonders, wenn jemand in seiner Tasche herumkramte, da diejenige Person ein Messer zücken könnte, wie es dort öfters vorkommt. Diese Wachsamkeit kenne ich beim Gehen durch die Städte hier in der Schweiz nicht. 

Trotz aller Aufmerksamkeit spielt auch Glück in den entscheidenden Momenten eine wichtige Rolle. So hatten meine Freunde und ich den Tempelberg, wo sich der Felsendom sowie die Al-Aqsa-Moschee befinden, nach dem Freitagsgebet eben verlassen, als es zu Zusammenstössen zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitskräften kam und kurz darauf die Aqsa-Moschee gestürmt wurde. Ein weiterer Schreckmoment ereignete sich am Tag meiner Abreise vor einem Jahr. Unmittelbar nachdem eine Freundin angekommen war, um sich von mir zu verabschieden, gingen Sirenen los und wir hörten, wie aus mehreren Maschinengewehren gefeuert wurde. Über Facebook und die Nachrichten im Fernsehen erfuhren wir, dass ein Palästinenser auf die örtliche Polizeistation geschossen hatte, in seinem Auto geflüchtet war und keine 100 Meter von unserem Haus entfernt, inmitten von anderen fahrenden Autos, erschossen wurde. Der Täter ist dieselbe Strecke gefahren, wie die Freundin, die soeben gekommen war, um sich von mir zu verabschieden. Nachdem der erste Schock verdaut war, konnte ich mich im Taxi vom Hinterausgang des Hauses auf den Weg zum Flughafen machen, da die vom Attentat betroffenen Strassen abgeriegelt worden waren. Der zweite Ausgang wurde gebaut, da es auf den Strassen vor dem Haus immer wieder zu Demonstrationen kommt. Die Zufahrtsstrassen zu den Wohnquartieren werden in diesen Fällen abgeriegelt und von Soldaten bewacht. Passkontrollen vor der Haustür stehen an der Tagesordnung, aber durch diesen Zweitausgang kann dieser Krisenherd umfahren werden, so wie ich es an diesem Tag tat.

Die Abreise

Kurz vor dem Flughafen erwarteten mich die nächsten Strapazen. Da es sich bei meinem Taxifahrer um einen Palästinenser handelte, wurden wir am Checkpoint vor dem Flughafen gestoppt und einzeln befragt. Die Mobiltelefone wurden uns abgenommen, das Taxi durchsucht und ich von bewaffneten Soldaten zur Durchleuchtung meines Gepäcks eskortiert. Anschliessend wurde jedes einzelne meiner Gepäckstücke mitsamt meines Schweizer Passes mit einer Nummer versehen und wir durften weiterfahren. Vor dem Flughafeneingang versuchte ich möglichst locker und unauffällig am Sicherheitspersonal vorbeizugehen, um nicht gestoppt und weitere Male befragt zu werden. Im Flughafengebäude angekommen, führt der Weg nicht wie in anderen Ländern zuerst zum Check-In, sondern zur Befragung. Die Fragen reichten vom Hotelnamen, in welchem ich in Dubai in den Ferien gewesen bin, über den Namen meines Grossvaters, bis hin zur Frage ob ich bewaffnet oder ob mein Henna-Tattoo echt sei. Zusätzlich wird in der Regel ein Vorgesetzter hinzugerufen, der nochmals dieselben Fragen stellt. Auch die Personenkontrolle verläuft ähnlich. Bei mir gehören immer ein Body-Scan, das Abtasten der Beine und Füsse und der Sprengstofftest an jedem einzelnen Gegenstand meiner Handtasche dazu. Dieses langwierige Prozedere führt schlussendlich dazu, dass beim Abschluss aller Sicherheitschecks meist schon das Boarding für den Flug begonnen hat. Der Grund für diesen Prozess, welchen ich jedes Mal über mich ergehen lassen muss, sind mein palästinensischer Taxifahrer und mein orientalisch klingender Name. Diese Ungleichbehandlung begrenzt sich leider nicht nur auf den Flughafen.

Die Reise nach Israel ist jedes Mal durchzogen von unschönen Erfahrungen. Mit der Zeit habe ich eine Art und Weise gefunden, wie ich mit dem Erlebten umgehen kann und lasse nicht die Schattenseiten die schöne Zeit mit Freunden überwiegen, weshalb der Weg für mich trotz allem immer wieder in diese Gebiete führen wird.


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