Patriarch Beverly begeht Selbstmord – und lässt eine Familie zurück, die zerrütteter nicht sein könnte: Eine pillensüchtige Mutter, drei in sich zerstrittene Töchter und eine Tante, die vor allem ihren unfähigen Sohn schilt. Das ist «Eine Familie», die neueste Aufführung des Studententheaters.
Nach dem Tod von Familienoberhaupt Beverly passiert etwas, das ihm zu Lebzeiten sicherlich ungewöhnlich vorgekommen wäre: Seine seit Jahren getrennt voneinander lebende Familie kommt endlich wieder zu einem gemeinsamen Treffen zusammen, sei es auch aus einem so traurigen Anlass. Und scheinbar geht es den meisten wunderbar: Die karriereorientierte Barbara reist mit ihrem Ehemann Bill aus dem fernen Colorado an und scheint von Erfolg geradezu überschüttet zu sein; auch ihre Schwester, die etwas naive Caren, hat mit Steve endlich jemanden gefunden, der ihre kühnsten Vorstellungen übertrifft. Und selbst Mauerblümchen Ivy, immer noch in ihrer Heimatstadt lebend, lässt hervorblicken, dass das Glück der Liebe sie getroffen hat.
Also Friede, Freude, Eierkuchen? Man könnte es denken, wäre da nicht die pillensüchtige Mutter Violet, die mithilfe ihres Spürsinnes den Finger genüsslich in jede erdenkliche Wunde ihrer Töchter legt. Denn Leichen im Keller haben sie alle: Zwischen Barbara und Bill kriselt es hinter der schicken Fassade schon länger, bei Ivy beginnt sich eine unaufhaltsame Liebes-Tragödie zu entwickeln und auch Caren muss feststellen, dass im Falle von Steven nicht alles Gold ist, was glänzt. Und so merkt der aufmerksame Zuschauer bereits früh, dass es allen reichhaltig vorhandenen Angriffen auf das Zwerchfell und den Aufheiterungsversuchen des Schwagers zum Trotz nur ein Szenario gibt, in dem eine (solche) Zusammenkunft enden kann: In einer Katastrophe.
Indes liegt gerade in dieser Ambiguität des Stücks seine grösste Stärke: Wenn Violet beginnt, mithilfe ihrer Stimme, einem einzigartigen Mix aus Highness, Selbstgefälligkeit und Verachtung, darüber herzuziehen, wie ihre Tochter Ivy doch nie einen Mann finden wird; wenn sie die Zerwürfnisse zwischen Barbara und Bill vor versammelter Trauergemeinde aufdeckt und sich dabei köstlich amüsiert, dann bleibt kein Auge trocken und der Zuschauer vergisst schon einmal, um was für ein ernstes Problem es sich handelt: Eine akute Sucht nach Tabletten gepaart mit einem unwahrscheinlich tiefen (Selbst-)hass. In solchen Momenten zeigt der für das Stück mit dem Pulitzer-Preis gekrönte Autor Tracy Letts das ganze Spektrum seiner Fähigkeiten. Denn kaum hat sich die Familienversammlung kurzzeitig aufgelöst, lässt er Violet von der vorigen Manie in eine tiefe Depression fallen – und erregt damit auch beim Zuschauer eine Gänsehaut. Die Einzige, die ihr in Teilen des Stücks überhaupt ein wenig zur Seite steht, ist Tochter Barbara. Aber auch ihr wird es schliesslich zu bunt und sie beschliesst, das Ruder in die Hand zu nehmen: Die Mutter wird nach einer Hausdurchsuchung auf Entzug gesetzt und zwischen den Schwestern beginnen erste Versöhnungsversuche. Doch schnell muss Barbara feststellen: Ihre Familie ist bereits unumkehrbar auf den Pfad des Wahnsinns geraten und es geht nur noch darum, sich selbst so gut wie möglich aus der Sache herauszuhalten. Denn was am Ende bleibt, ist eine gewaltige Katastrophe – und man beginnt, bei allem Mitleid mit den Charakteren, zu verstehen, warum Vater Beverly diesem Leben entfliehen wollte.
«Eine Familie»
Aufführungen am 10., 11. und 12. Dezember. Karten können an der HSG oder online unter www.studententheater.ch bestellt werden.