Hartz-4-Fernsehen, Assi-Glotze und Unterschichten-TV: Die abwertenden Namen für das vermeintlich an Qualität verlierende Programm sind vielfältig. prisma geht den Behauptungen auf den Grund und ist dabei natürlich völlig vorurteilsfrei an das Experiment herangegangen.
Topmotiviert und sehr konzentriert starten wir unseren Praxistest um akzeptable 9 Uhr mittwochs in der Früh. Ein angemessenes Frühstück bestehend aus Fastfood, Chips, Pombären und fakultativem Billig-Dosenbier stehen bereit. Die intuitive Zapperei führt uns auf den Sender unserer ersten Wahl: RTL2.
9 bis 12 Uhr
RTL2 scheint tatsächlich die richtige Entscheidung gewesen zu sein, denn wir haben gerade noch rechtzeitig zu «Frauentausch» eingeschaltet: Rosi, die brave und aufopfernde Hausfrau, tauscht mit Bernd, dem schwulen Hellseher, für eine Woche das Eheleben. Bernds Ehemann Michael ist Zoofachverkäufer und bunkert 120 Kobras im Keller. Was für ein Zufall, dass ausgerechnet Rosi panische Angst vor Schlangen hat. Wer will denn da noch behaupten, RTL2 würde die Kandidatenwahl an obskuren Personen ausrichten und zugunsten von auftretenden Konflikten treffen? Doch nachdem das scheinbar obligatorische Ausflippen und die Heulattacken beidseits vorbei sind, präsentiert sich ein Bild der Harmonie: Rosi traut sich endlich in den Keller und nimmt es mit den 120 Kobras auf, während Hellseher Bernd ihrer Familie einerseits aufzeigt, wie wichtig doch die Mama ist, und andererseits in seinen Karten ein baldiges Ende der Beziehung prophezeit. Wie schade. Leider bricht er an dieser Stelle seine Zukunftsvorhersage ab; er müsse Kräfte schonen.
Voller Bedauern holen wir uns dann eben die Zukunft auf einem anderen Sender: Mike Shiva ist gerade dabei, der verzweifelten Rebi mit ihren Liebesproblemen weiterzuhelfen: Ihr Arzt hat sie neulich nach der Untersuchung noch angefasst und sie fragt sich nun, was denn daraus noch werden könne – das sei nämlich schon ein ganz Lieber, dieser Arzt. Während Mike die Karten sprechen lässt, fallen uns die zwei verschiedenen Gläser auf seinem Tisch auf. Das Wasserglas wird nicht angerührt, das andere mit der dunklen Flüssigkeit leert sich hingegen immer mehr. Die zunehmende Qualität der Beratung lässt uns zum Schluss kommen, dass der Inhalt wohl Whiskey-Cola sein muss. Unalkoholisiert ertragen wir diese Beratung auch nicht und schalten um auf RTL. Dort kommt gerade «Unsere erste gemeinsame Wohnung», diese wunderbar stumpfe Sendung, in der unheimlich verliebte Pärchen oder asoziale Patchworkfamilien in die ersten gemeinsamen vier Wände ziehen. Besondere Vorkommnisse: In jeder Folge wird irgendeine Wand der Wohnung orange gestrichen, besonders bei dem Wohnzimmer scheint es voll die Trendfarbe zu sein. Einzig der leicht annormale Sohn Alex (10) wünscht sein Zimmer in rosa gestrichen. Dabei hätte das Orange doch so schön zu seinen Haaren gepasst. Wir haben fürs Erste genug und kochen Pasta.
12 bis 17 Uhr
Am frühen Nachmittag bestaunen wir unsere Herzdame mit der sauberen Aussprache: Katja Burkard präsentiert alles, was keiner wissen wollte, bei «Punkt 12».
Ein bisschen über Drittklass-Sternchen gelästert, dann der grosse Punkt-12-Test: Haargel, Pomade und Wachs werden in einem ewig langen Beitrag miteinander verglichen. Die Gelfrisur schmiert aber im Test total ab – überrascht? Dann doch lieber Alexander Hold. Wir wundern uns doch sehr, denn es geht nur um einen Versicherungsbetrug – wo bleiben die obligatorischen Prostituierten als Zeugen und warum wurde keiner ermordet? Zu unserer vollsten Zufriedenheit spitzt sich die Sache dann aber doch zu, denn es stellt sich heraus, dass die Betrügerin auch noch ihren Mann im Garten verscharrt hat. Dieser hatte sie vor kurzem verlassen, wie sie die ganze Zeit behauptet, und, da er das Pflanzen eines Apfelbaumes nicht vollendet hatte, ein grosses Loch im Garten hinterlassen. Zu unserer grossen Enttäuschung hat sie ihn aber doch nicht umgebracht, sondern nur seinen natürlichen Tod vertuschen und eben das Loch im Garten auffüllen wollen. Schade.
Anschliessend kommt Britt mit ihrem Topthema «Seelenstrip – heute sag ich dir alles!» Justin gesteht der Mandy wirklich seine Liebe und sie hat ihn auch wirklich mit seiner Schwester betrogen und das Kind könnte auch zehn Väter haben. Bei der bestechenden Logik und vor allem Rhetorik der Streitparteien kommen wir nicht mehr mit, aber das Publikum ist begeistert und der überaus zuverlässige Lügendetektor als Ultima Ratio deckt mal wieder alles auf.
Einen Sender weiter reisst uns der Satz «Das ist das Tollste seit der Erfindung der Gänseblume» aus den Tagträumen. Wir befinden uns bei HSE 24, wo gerade die neue Schlankstützkollektion für Frauen mit Problemzonen präsentiert wird. «Auch ein tolles Geschenk für die Festtage: Weihnachten wird nie wieder das gleiche sein», heisst es von Seiten der Moderatorin. Ja, das befürchten wir ebenfalls. Auch auf den anderen Kanälen läuft gerade Werbung: Katy Perry hält ihr Gesicht in die Kamera: «Wer braucht schon Pickel? Du nicht!», und auch «Avril Lavigne lässt nicht zu, dass Pickel sie fertig machen». Na dann.
17 bis 21 Uhr
Bevor wir noch tiefer in die asoziale Fernsehlandschaft abdriften, suchen wir etwas Kulturelles. Wir werden dankbar fündig: eine Dokumentation über die Quitte, die gerade ihre Renaissance in der Gourmetgastronomie erlebt. Sie passt zu Schwein und sonstigen starken Geschmäcken. Wenigstens mal was gelernt heute. Danach endlich die Erlösung seitens des ORF: Wir geniessen die Doppelfolge «Scrubs» als einen ganz besonderen Leckerbissen. Dr. Cox mal wieder in Höchstform.
Um 19 Uhr kommen wir nicht umhin, «X-Diaries» einzuschalten. Die adipöse und grenzdebile Jenny (17) aus Erfurt in Ostdeutschland lässt sich auf Ibiza von einem notgeilen Clubbesitzer (41) befummeln und fotografieren, doch in einer dramatischen Szene, gedreht mit wackelnder Handkamera, schreitet glücklicherweise Vater Klaus ein. Denn: «so Nacktfotos» gehen schliesslich mal gar nicht. Als Wiedergutmachung darf Jenny sich aber, wieder zuhause, ein echtes Fotoshooting gönnen, mit Studio und allem Drum und Dran. Da freut sich das dicke Mädchen aber.
21 bis 23 Uhr
Die Kräfte schwinden. Die Diskussionen darüber, ob man einen Film schaut oder lieber die Supernanny, enden in einem Hin-und-Her-Zappkrieg, der schliesslich auf Peter Zwegat, den ketterauchenden Schuldnerberater, hinausläuft. Mittels verschiedenfarbiger Sparschweinen, die er mehrmals über den Tisch wandern lässt, verbildlicht er die verschiedenen Schuldner des Klienten. Jetzt haben sogar wir begriffen, dass sein Klient echt krass viele Schulden hat!
Nach den etlichen gespielten und gescripteten Sendereihen lassen wir den Rest des Abends intellektuell-geschichtlich mit Kevin Costners «Thirteen Days» ausklingen und sind uns einig: Den Fernseher am Ende abzuschalten, war die klügste Entscheidung des Tages.