Es ist ein ewiges Streitthema: Trash TV. Beschwörst du auch schon den kulturellen Niedergang oder stehen bei dir Frauentausch, Bachelor und Co. auf dem Tagesprogramm?
Pro (Simone Steiner)Eine Ode an das Trash TV …
… geschrieben während einer Folge Frauentausch, wennschon, dennschon, meine Lieben!
Trash TV sind Sendungen, die Gewalt, Obszönes und Vulgäres thematisieren, so die Definition. Hier gilt es zwischen Reality Shows wie zum Beispiel «Big Brother» und zwischen Scripted Reality-Formaten, zum Beispiel «Verdachtsfälle», zu unterscheiden. Dazwischen findet sich eine ganze Kaskade von Abstufungen – jeweils mehr oder weniger gescripted, ganz nach dem Geschmack des Zuschauers.
Dicke Menschen, die die grosse Liebe suchen, Bauern, die die grosse Liebe suchen, eklige Männer, die die Traumfrau suchen, der Bachelor, der die grosse Liebe sucht und verzweifelte Mütter, die ihre mittlerweile pensionierten Söhne noch an die Frau bringen wollen – Trash TV verbindet. Und tut der eigenen, gequälten Seele gut – schliesslich ist man mit 22 Jahren noch lange nicht an dem Torschlusspanikpunkt der 55-jährigen Angelika angekommen und kleidergrössentechnisch genauso weit von der jungen Judith entfernt, wie diese davon, ihre strenge Diät bei Kaffee und Käsekuchen mit der Schwiegermama in spe einzuhalten. Wer ein Fan von Alliterationen ist, wird diese Kuppelformate lieben – da ist der Bruno nämlich per se brummig und Franziska immer fesch – oder fertil oder vielleicht noch feucht. Aber die Sendungen unterhalten nicht nur während ihrer Ausstrahlung, sondern auch später – ausserhalb der eigenen vier Wände – und liefern in praktisch jeder Runde Gesprächsstoff. Wer fängt nicht an zu grinsen, wenn einem Pasta mit einer Sauce «nach altem Familienrezept» serviert wird? Und wer hat nicht schon mal mitten in einem Gespräch «Halt! Stopp! Jetzt rede ich!» eingebaut oder die Diskussion über das Lifestyle-Menü mit «Bio ist für mich Abfall – Wurst hat auch Vitamine.» beendet?
All diese Sendungen, die vornehmlich von Privatsendern ausgestrahlt werden, haben intellektuell gesehen ein tiefes Niveau. Aber genau dies ist ja auch der Sinn der Sache! Ich will, wenn ich nach Hause komme, gar nicht unbedingt geistig gefordert werden. Ich will mich durch eine einfältige, immer gleiche Geräuschkulisse berieseln lassen. Dazu ist Trash TV perfekt. Wo man Telenovelas noch eine gewisse Komplexität zusprechen muss, sind Formate wie «Berlin – Tag und Nacht» auf ein Minimum an Anspruch gegenüber dem Zuschauer zurückgeschraubt. Selbst nach mehrtägigem Nichtkonsum kann man dank repetitiven Wiederkauens seitens der Macher und einer relativ langsam voranschreitenden Handlung – zumindest im Wesentlichen – ohne Probleme wieder einsteigen und sich mit den Problemen und Sorgen der Berliner WG identifizieren oder ihnen ihr Schicksal «is Födli ufe gönne».
Man mag diese Formate als geistige Verarmung abstempeln, als Zeichen dafür, wie weit beziehungsweise wie wenig weit es mit uns gekommen ist und sich grausen, ob der dargestellten Geschehnisse, gescripted oder nicht. Dabei sollte man sich aber immer vor Augen führen – die Darsteller werden nicht dazu gezwungen. Gut, vielleicht haben sich dazu in einem Moment geistiger Umnachtung entschieden, aber freiwillig ist es trotzdem. Die bekannten warhol’schen 15 Minuten Ruhm wiegen für manche das Blossgestelltsein auf. Ausserdem sollte man nicht vergessen, dass Sendungen wie «Ich bin ein Star – holt mich hier raus!» armen, in die Bedeutungslosigkeit verstossenen C- bis Z-Promis ein neues Zuhause bietet, inklusive Delikatessen und Schlammpackungen.
Die Trash TV-Darsteller sind die Gladiatoren unserer heutigen Zeit – die Römer wussten schon, gib dem Pöbel Brot und Spiele – gib mir fettige Pizza und «Frauentausch»!
Contra (Roman Schister)Von wegen Ode: Die Öde des Trash TVs
Trash TV abstrakt zu umschreiben, ist gar nicht mal so einfach. Was dazu gehört und was nicht, hängt wohl auch vom subjektiven Empfinden ab. Aber man muss ja auch nicht immer alles definieren können. Halten wir es doch einfach und begnügen uns mit einem «I cannot defi ne it but I know it when I see it.» Und das ist bei Trash TV gar nicht mal so weit hin. Man braucht eigentlich nur am Nachmittag den Fernseher einzuschalten und bei RTL, VOX, Sat.1 oder ProSieben reinzuzappen (am Morgen klappt es leider nicht, da gibt es nur Abnehmen-ohne-Anstrengung-Produkte und Tipps von Mike Shiva). Ansonsten ist RTL 2 sehr empfehlenswert. Die haben es irgendwie hingekriegt, 24/7 einfach nur Müll in die Welt hinauszuschleudern.
Auch ohne eine eigentliche Definition zu liefern ist aber eines klar: Nämlich, dass der Plot der Trash TV-Sendungen unabhängig davon, ob es sich nun um Scripted Reality-Formate oder Reality-Shows handelt, genauso viel mit der Realität zu tun hat, wie Heidi Klums Zwischenstopps in der Dönerbude. Die wenigen Dinge, die wirklich real sind, dürften die langen Denkpausen der Laienschauspieler, die Musikstücke aus den aktuellen Charts, an denen sich nachher ausmachen lässt, wann die Sendung zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, und die Geräusche des Regisseur-Drehbuchautor-Kameramanns in Personalunion sein; oder zusammengefasst: das leere Portemonnaie des auftraggebenden Senders.
Man mag einwenden, dass man abends nach der Arbeit keine grosse Lust mehr verspürt, sich ein anspruchsvolles Programm anzutun. Ob man dann aber unbedingt zu «Berlin – Tag und Nacht» oder irgendwelchen anderen, geradezu verstörend einfältigen Programmen, die eine Postleitzahl oder das Wort «Schicksal» im Titel tragen, schalten muss, erscheint fraglich. Der Grund, dass man diese Sendungen als angenehm leicht zu konsumieren wahrnimmt, ist doch eigentlich, dass immer dasselbe passiert: Tim macht mit Anna Schluss, diese verliebt sich in Paul, der aber gerade festgestellt hat, dass er eigentlich lieber eine Beziehung zu Tim aufbauen möchte, und schliesslich entsteht eine hübsche Dreiecksbeziehung. Mal ganz ehrlich: Solche Geschichten interessieren doch im realen Leben auch niemanden. Klar, je nach der eigenen Sozialverträglichkeit gibt es unter Freunden vielleicht ein «Das wird schon», vielleicht aber auch nur ein «Das ist dein Problem». Wie dem auch sei, wenn das Ganze dann noch aus der Feder eines viertklassigen Drehbuchautors stammt, kann sich doch niemand mehr ernstlich für das auswendig gelernte Gelaber interessieren …
Wenn aber kein tatsächliches Interesse an den sogenannten Schicksalsschlägen der «Schauspieler» besteht, kristallisiert sich irgendwann der einzige Grund heraus, weshalb man sich solche Programme überhaupt antut. Geht es letztlich nicht bloss darum, sich an den Irrungen und Wirrungen im Leben anderer, deren Gewichtsproblemen, den Falten im Gesicht, den modischen Fehlgriff en etc. zu ergötzen? Bedenklich, wenn sich ein Zuschauer, oder aber auch einer der besagten Schauspieler, in letzter Konsequenz bloss für eine Sendung entscheidet, weil er einen Vergleich sucht, um sein eigenes Leben doch noch als ziemlich passabel einstufen zu können. Man muss sich ja nicht ausschliesslich hochstehende Sendungen ansehen. Ein gesteigertes Bewusstsein darüber, welchem Müll-Bombardement man sich da aussetzt, wäre jedoch wünschenswert. Ist Trash TV wirklich nötig, nur um ein Hintergrundgeräusch zu haben? Alternativen gäbe es nämlich zuhauf!