Der Burkini, eine im Grunde ganz praktische Erfindung, ist dem Glaubenskonflikt in Europa zum Opfer gefallen. Dabei zeigen Erfahrungsberichte, dass es eigentlich nicht drauf ankommt.
Freiheit ist spätestens seit der Französischen Revolution ein europäisches Ideal. Nur sind die Auslegungen von Freiheit verschieden, vor allem wenn es um den Grad der weiblichen Bekleidung geht. Der Burkini hat diese Diskussion im Sommer neu entfacht. Die Burkini-Gegner sehen die Verhüllung der Frau als Einschränkung ihrer Freiheit und Symbol des Extremismus an. Die Befürworter des ganzkörperlichen Badeanzugs glauben hingegen, dass der Burkini eben diesen Frauen ein Stück Freiheit gibt. Das der Burkini einmal solche Wellen schlagen würde, hätte sich die Gründerin Aheda Zanetti nie träumen lassen. In der Hitze der australischen Strände erlebte die gebürtige Libanesin das Leiden der muslimischen Frauen unter Unmengen an Stoff. Aufgrund fehlender Funktionskleidung musste sie sich selbst als Kind zwischen ihrer Religion und Sport entscheiden. 2004 entwickelte sie den Burkini, einen zweiteiligen, ganzkörperlichen Badeanzug. Mit ihm wollte Zanetti den muslimischen Frauen ein Stück Freiheit geben und mit den gängigen Vorurteilen abrechnen. Ihr erster Sprung kopfüber in einen öffentlichen Pool mit dem Burkini beschreibt sie als ein Gefühl unermesslichen Freiheit und Ermächtigung. Der Burkini wurde schnell zum Erfolg und verkaufte sich auch ausserhalb der muslimischen Gemeinschaft. Zanetti hat bereits über 700’000 Burkinis auf der ganzen Welt verkauft und auch ein spezielles Design für muslimische Rettungsschwimmerinnen in Australien entwickelt.
Fortsatz der Unterdrückung
Trotz der Motivation der Gründerin sorgte der Burkini diesen Sommer in Frankreich für heftige Kontroversen. Viele Franzosen sehen im Burkini genau das Gegenteil der Freiheit: eine Unterdrückung der Frauen durch den Islam. Als solches sei der Burkini nicht mit den französischen Werten vereinbar. Das Verbrechen des Burkinis ist nicht etwa, dass er diejenigen Frauen, die eigentlich frei im Bikini herumspringen würden, zur Ganzkörperbedenkung zwingt. Viel eher ist er ein Fortsatz der Verhüllungsvorschriften für muslimische Frauen und Symbol der Unterdrückung, zumindest in westlichen Augen. Faktisch gesehen, ermöglicht der Burkini einer Gruppe von Frauen einiges mehr an Freiheit, als sie ohne geniessen würden. In Zeiten von Terroranschlägen verwischt aber die Trennung zwischen Islam und Islamismus zunehmend für viele Europäer, und offensichtliche, muslimische Symbole werden vermehrt als Extremismus wahrgenommen. Dies führte sogar zu Burkini-Verboten und Bussen in mehreren Küstenstädten Frankreichs bis sich der Oberste Gerichtshof Frankreichs, gegen das Burkini-Verbot aussprach.
Es ist ganz egal
Die Burkini-Diskussion beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Frankreich oder muslimische Frauen. Gut 40 Prozent der Burkinis werden von Nicht-Muslimen gekauft. Ein Teil davon gehört anderen Religionen mit ähnlichen Kleidungsvorschriften für Frauen an. Andere Frauen wollen sich vor Hautkrankheiten oder lästigen Männerblicken schützen. Viele Frauen fühlen sich auch einfach nicht wohl in einem verschwindenden Dreieck-Bikini und wünschen sich mehr Stoff für den Strand.
Aufgrund der Debatte wagten einige Journalistinnen diesen Sommer den Selbstversuch, darunter auch Viktoria Morasch von Der Zeitung Die Zeit. Ihr Fazit: Das Ding ist genial, aber die Kapuze juckt. Ironischerweise wird sie dann doch trotz Vollverhüllung von einem Mann, dessen Avancen sie abwehren muss, als «Schlampe» bezeichnet. Diese Anekdote geht in die gleiche Richtung wie die Meinung vieler Frauen, die sich in dieser Diskussion involvieren. Ist man eine Frau, ist es sowieso ganz egal. Ob nackt oder verhüllt: Es ist sowieso falsch.
Illustration Annatina Kaufmann