«Wenn Italien spielt, sperre ich mich ein»

In einem spannenden Gespräch lernten wir den Familienmenschen, Fussballfan und Akademiker Daniele Caramani näher kennen.

Daniele Caramani ist Vollblutakademiker. «Ich könnte mir nie vorstellen, woanders zu arbeiten. Die vorherrschende lebendige Atmosphäre, die neugierigen und interessanten Menschen, die man trifft, das Klima des Lehrens und Lernens – das alles macht die Uni zu einem unvergleichlichen Arbeitsplatz. In St. Gallen sind vor allem die Lage und die Architektur super.»

Ihm gefällt aber nicht nur die HSG; auch jede andere Uni, an der er zuvor war, hat ihn beeindruckt. Generell faszinieren ihn die europäischen Städte, wo man die Geschichte der Musik, Literatur und Kunst noch so richtig spürt. «Wenn wir in den Ferien wegfahren, dann am liebsten in eine Stadt – auch wenn’s schwierig ist mit den Kindern. Ansonsten bleiben wir gerne auch daheim.» Daheim, das ist Zürich, das Seefeldquartier, von wo er täglich nach St. Gallen pendelt. Warum gerade die Limmatstadt? «Zu Zürich habe ich dank den Eltern meiner Mutter – einer Schweizerin, die mit meinem Bruder und mir immer Schweizerdeutsch sprach – einen Bezug. Wir verbrachten jedes Jahr unsere Sommerferien im Seefeld – früher, als es noch bescheiden war.» Und heute hat er dort, trotz der «Exklusivität», die er weder im Seefeld noch als Attribut der HSG mag, eine Wohnung für sich und seine Familie gefunden und will sich nicht vorstellen, woanders zu leben.

Mailand, Paris, Genf, Florenz, Mannheim, Zürich, St. Gallen

Caramanis starkes Heimatgefühl gegenüber Zürich erstaunt eigentlich, denn er ist in seinem Leben schon ziemlich viel herumgekommen. Er wuchs in Mailand auf, wo er auch die Schule besuchte. Als er 15 war, zog seine Familie jedoch nach Paris, wo er das Gymnasium absolvierte. Danach studierte er erst International Relations, dann Politikwissenschaften in Genf – einer Stadt, die von den internationalen Organisationen erstickt würde und abends mausetot sei, findet Caramani. Seine Promotion erledigte er in Florenz am Europäischen Hochschul Institut (EUI), danach hatte er eine Post-Doc-Anstellung in Mannheim inne, einer fantastischen Uni für Sozialwissenschaften, wie er meint. Und heute ist er glücklich mit seiner Professur in St. Gallen.

«Ich finde schon, dass wir sehr privilegiert sind in diesem Beruf. Man lernt ständig dazu und schon das ist wunderschön. Dazu kommt das Lehren und das Forschen.» Beides gefällt Caramani, vor allem auch, weil man damit etwas an die nächste Generation weitergibt. Aber es sei auch schwierig und brauche Opferbereitschaft, zum Beispiel wenn Freunde mit 25 Jahren bereits grosse Karriere machen und viel verdienen, während man die Professur erst sehr viel später erhält – Caramani selbst war 37.

«Politik hat die Macht, alles zu zerstören»

Trotzdem war es für Caramani von Anfang an klar, dass er sich der Akademia widmen würde. Auch die Politik hätte ihn nie angezogen. «Als Politiker braucht man sehr starke Überzeugungen und grundlegendes Vertrauen in die Menschheit. Ich selbst bin eher ein Zweifler und Pessimist.» Ihn interessieren vielmehr die Prozesse hinter der eigentlichen Politik sowie deren statistische und grafische Aufarbeitung. «Statistik ist wortwörtlich die Lehre des Staates» . In den Zahlen findet man das Skelett des politischen Geschehens.» In Wahldaten könne man eindeutig die Geburt des Nationalstaates und der Massendemokratie erkennen – die radikalste Veränderung der Politik. «Demokratie ist immer das beste System, das man haben kann. Auch in der modernen Epoche der Globalisierung wird der Nationalstaat noch nicht obsolet.» Trotz Massendemokratie und Wohlfahrtsstaat ist Politik für Caramani am Ende aber vor allem durch Konflikt definiert. «Es geht um Macht und deren Gebrauch. Die Politik hat die Macht, alles zu zerstören.»

Dieser reflektorische Gehalt seiner Arbeit – vor allem im Vergleich zur aktionsorientierten Tätigkeit in der Politik an sich – zieht Caramani noch immer in seinen Bann. Zwei seiner momentanen Tätigkeiten sind die Chefredaktion der Swiss Political Science Review, die er noch bis Ende dieses Jahres innehat, und die Organisation an der HSG des europäischen Jahreskongresses für Politikwissenschaft 2011. Das Ziel ist der Aufbau des Fachbereichs der Politikwissenschaften an der HSG. «Wir wollen damit unsere Sichtbarkeit verbessern, uns vernetzen und die Forschungsqualität steigern.» Das sei bisher auch sehr gut gelungen, auch wenn die Forschung aufgrund der fehlenden zeitlichen Ressourcen bei ihm etwas gelitten habe. Mittelfristig hofft Caramani, die Politikwissenschaften auf die eine oder andere Art auf der Assessmentstufe zu etablieren.

Lesen, Fussball – und die Familie

Daniele Caramani scheint aber nicht der Akademiker zu sein, der in seinem Privatleben völlig in seinem Fachbereich versinkt. Zur Entspannung liest er gerne – meist abends und mehrere Bücher parallel. Momentan liegen auf seinem Nachttisch Roberto Bolaño, Amos Oz und Stefan Zweig – «der hat einen wunderschönen Schreibstil!»

Die Familie – er hat fünf Kinder, wovon ein bereits fast erwachsener Sohn in Italien lebt – ist ihm sehr wichtig. «Die Kleinen sind eine gute Bande, alles kleine Torino-Fans!» Beim Fussball müssen aber sogar Frau und Kinder zurücktreten. «Wenn Italien spielt, schliesse ich mich ein. Costa Rica gegen Argentinien kann ich auch in einer Bar schauen, aber mit gli azzurri leide ich alleine vor dem Fernseher.» Als erneute Weltmeister sieht er die Italiener jedoch nicht. «Wenn’s Maradona nicht verdirbt, gewinnt Argentinien.» Aber auch England unter Capello, wie immer Brasilien und vielleicht sogar Spanien schätzt er stark ein. «Als Fan der Titelverteidiger kann ich aber ein wenig relaxter an die Sache rangehen», sagt Caramani und lacht.

«Wenn Italien spielt, sperre ich mich ein»

Archivierter Artikel von Ausgabe «prisma 328 – Geld» (24.05.2010)

In einem spannenden Gespräch lernten wir den Familienmenschen, Fussballfan und Akademiker Daniele Caramani näher kennen.

Von Raffael Hirt.

Daniele Caramani ist Vollblutakademiker. «Ich könnte mir nie vorstellen, woanders zu arbeiten. Die vorherrschende lebendige Atmosphäre, die neugierigen und interessanten Menschen, die man trifft, das Klima des Lehrens und Lernens – das alles macht die Uni zu einem unvergleichlichen Arbeitsplatz. In St. Gallen sind vor allem die Lage und die Architektur super.»

Ihm gefällt aber nicht nur die HSG; auch jede andere Uni, an der er zuvor war, hat ihn beeindruckt. Generell faszinieren ihn die europäischen Städte, wo man die Geschichte der Musik, Literatur und Kunst noch so richtig spürt. «Wenn wir in den Ferien wegfahren, dann am liebsten in eine Stadt – auch wenn’s schwierig ist mit den Kindern. Ansonsten bleiben wir gerne auch daheim.» Daheim, das ist Zürich, das Seefeldquartier, von wo er täglich nach St. Gallen pendelt. Warum gerade die Limmatstadt? «Zu Zürich habe ich dank den Eltern meiner Mutter – einer Schweizerin, die mit meinem Bruder und mir immer Schweizerdeutsch sprach – einen Bezug. Wir verbrachten jedes Jahr unsere Sommerferien im Seefeld – früher, als es noch bescheiden war.» Und heute hat er dort, trotz der «Exklusivität», die er weder im Seefeld noch als Attribut der HSG mag, eine Wohnung für sich und seine Familie gefunden und will sich nicht vorstellen, woanders zu leben.

Mailand, Paris, Genf, Florenz, Mannheim, Zürich, St. Gallen

Caramanis starkes Heimatgefühl gegenüber Zürich erstaunt eigentlich, denn er ist in seinem Leben schon ziemlich viel herumgekommen. Er wuchs in Mailand auf, wo er auch die Schule besuchte. Als er 15 war, zog seine Familie jedoch nach Paris, wo er das Gymnasium absolvierte. Danach studierte er erst International Relations, dann Politikwissenschaften in Genf – einer Stadt, die von den internationalen Organisationen erstickt würde und abends mausetot sei, findet Caramani. Seine Promotion erledigte er in Florenz am Europäischen Hochschul Institut (EUI), danach hatte er eine Post-Doc-Anstellung in Mannheim inne, einer fantastischen Uni für Sozialwissenschaften, wie er meint. Und heute ist er glücklich mit seiner Professur in St. Gallen.

«Ich finde schon, dass wir sehr privilegiert sind in diesem Beruf. Man lernt ständig dazu und schon das ist wunderschön. Dazu kommt das Lehren und das Forschen.» Beides gefällt Caramani, vor allem auch, weil man damit etwas an die nächste Generation weitergibt. Aber es sei auch schwierig und brauche Opferbereitschaft, zum Beispiel wenn Freunde mit 25 Jahren bereits grosse Karriere machen und viel verdienen, während man die Professur erst sehr viel später erhält – Caramani selbst war 37.

«Politik hat die Macht, alles zu zerstören»

Trotzdem war es für Caramani von Anfang an klar, dass er sich der Akademia widmen würde. Auch die Politik hätte ihn nie angezogen. «Als Politiker braucht man sehr starke Überzeugungen und grundlegendes Vertrauen in die Menschheit. Ich selbst bin eher ein Zweifler und Pessimist.» Ihn interessieren vielmehr die Prozesse hinter der eigentlichen Politik sowie deren statistische und grafische Aufarbeitung. «Statistik ist wortwörtlich die Lehre des Staates» . In den Zahlen findet man das Skelett des politischen Geschehens.» In Wahldaten könne man eindeutig die Geburt des Nationalstaates und der Massendemokratie erkennen – die radikalste Veränderung der Politik. «Demokratie ist immer das beste System, das man haben kann. Auch in der modernen Epoche der Globalisierung wird der Nationalstaat noch nicht obsolet.» Trotz Massendemokratie und Wohlfahrtsstaat ist Politik für Caramani am Ende aber vor allem durch Konflikt definiert. «Es geht um Macht und deren Gebrauch. Die Politik hat die Macht, alles zu zerstören.»

Dieser reflektorische Gehalt seiner Arbeit – vor allem im Vergleich zur aktionsorientierten Tätigkeit in der Politik an sich – zieht Caramani noch immer in seinen Bann. Zwei seiner momentanen Tätigkeiten sind die Chefredaktion der Swiss Political Science Review, die er noch bis Ende dieses Jahres innehat, und die Organisation an der HSG des europäischen Jahreskongresses für Politikwissenschaft 2011. Das Ziel ist der Aufbau des Fachbereichs der Politikwissenschaften an der HSG. «Wir wollen damit unsere Sichtbarkeit verbessern, uns vernetzen und die Forschungsqualität steigern.» Das sei bisher auch sehr gut gelungen, auch wenn die Forschung aufgrund der fehlenden zeitlichen Ressourcen bei ihm etwas gelitten habe. Mittelfristig hofft Caramani, die Politikwissenschaften auf die eine oder andere Art auf der Assessmentstufe zu etablieren.

Lesen, Fussball – und die Familie

Daniele Caramani scheint aber nicht der Akademiker zu sein, der in seinem Privatleben völlig in seinem Fachbereich versinkt. Zur Entspannung liest er gerne – meist abends und mehrere Bücher parallel. Momentan liegen auf seinem Nachttisch Roberto Bolaño, Amos Oz und Stefan Zweig – «der hat einen wunderschönen Schreibstil!»

Die Familie – er hat fünf Kinder, wovon ein bereits fast erwachsener Sohn in Italien lebt – ist ihm sehr wichtig. «Die Kleinen sind eine gute Bande, alles kleine Torino-Fans!» Beim Fussball müssen aber sogar Frau und Kinder zurücktreten. «Wenn Italien spielt, schliesse ich mich ein. Costa Rica gegen Argentinien kann ich auch in einer Bar schauen, aber mit gli azzurri leide ich alleine vor dem Fernseher.» Als erneute Weltmeister sieht er die Italiener jedoch nicht. «Wenn’s Maradona nicht verdirbt, gewinnt Argentinien.» Aber auch England unter Capello, wie immer Brasilien und vielleicht sogar Spanien schätzt er stark ein. «Als Fan der Titelverteidiger kann ich aber ein wenig relaxter an die Sache rangehen», sagt Caramani und lacht.

Zur Person

Geboren am 26. Juni 1968 in Mailand.

Lieblingsspeise: Safranrisotto, auch mal selbst gekocht

Lieblingswein: Santa Cristina – im Coop für unter zehn Franken zu haben

Lieblingslektüre: europäische Literatur und Romane

Lieblingsmusik: klassisch (über allem die Streichquartette von Beethoven), aber auch rockig (z.B. Rolling Stones und U2)

Lieblingskünstler: Picasso – ein modernes Genie, der alle klassischen Elemente vereint

Lieblingsort in St. Gallen, der Schweiz und weltweit: die Uni; der Morteratschgletscher im Engadin; Fiesole bei Florenz

Lieblingsfussballclub: FC Torino – nicht Juventus!


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