Wer bezahlt, wenn der Storch nicht willkommen ist?

Am 9. Februar 2014 stimmen wir über das Volksbegehren «Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache» ab. Das Initiativkomitee möchte, dass Abtreibungen künftig nicht mehr von der obligatorischen Krankenversicherung bezahlt werden. Das Plädoyer zweier prisma-Autoren für beziehungsweise gegen die Initiative.

Pro (von Kevin Kohler)

Wann beginnt das Leben?

Szenario 1: Ein 95-jähriger Greis wird von einem Auto überfahren und stirbt. Szenario 2: Ein 5-jähriges Kind wird von einem Auto überfahren und stirbt. Frage: Welchen Tod empfindest du als schlimmer?

Den zweiten? Wieso? Im Tod sind doch alle gleich. Der 5-Jährige ist nicht «toter» als der 95-Jährige. Da ein 5-Jähriger aber scheinbar noch eine längere Lebensspanne als der 95-jährige «zu erwarten» hat, nimmt ihm der Tod mehr potenzielles Leben weg und deshalb erscheint uns dieser Tod als schlimmer. Doch ab wann soll ein Ungeborenes den rechtlichen Schutz eines Menschen geniessen? Sobald es ein Bewusstsein hat?  Sobald es eine Seele hat? Können wir dafür überhaupt einen festen Zeitpunkt definieren?

Die heutige, rechtliche Definition ist eine künstliche. Ihr zwölf Wochen altes, ungeborenes Baby darf eine Frau abtreiben lassen. Bei einem 13 Wochen alten Ungeborenen macht sie sich strafbar.

Menschwerden kann nur als Prozess verstanden werden, der im Übrigen mit der Geburt noch längst nicht abgeschlossen ist. Mit der Vereinigung von Spermium und Eizelle, wo aus zwei eins wird, wird eine Kausalkette ausgelöst, welche ohne künstlichen Eingriff zu einem Baby führt. Ein Fussballspieler erhält für ein Foul, ohne welches eine eindeutige Torchance entstanden wäre, die rote Karte. Eine Abtreibung, welche die Entstehung eines Menschen verhindert, bleibt jedoch ungestraft.

Keine Frage der Religion

Mainstream-Medien vermitteln den Eindruck, die Gegner von Abtreibungen seien ausschliesslich religiös motiviert. Tatsächlich ist die Frage der Abtreibung jedoch eine Frage des Lebens und keine Frage der Religion.

Eine Mutter sollte sehr wohl die Entscheidungsfreiheit haben, ob sie in der Lage ist, ihr eigenes Kind aufzuziehen, oder ob sie es zur Adoption freigeben möchte. Ein Todesurteil betrifft allerdings nicht nur die potenzielle Mutter, sondern auch den Vater und vor allem das Ungeborene.

Für die Befürworter ist das Abtreiben nur das fachgerechte Entsorgen eines menschenähnlichen Klumpens. Für Abtreibungs-Gegner ist es die institutionalisierte Tötung von weltweit 44 Millionen unschuldigen Ungeborenen – jedes Jahr. Der leichtfertige Umgang mit Abtreibungen, als würde man dabei nur eine «Cancel»-Taste drücken, hinterlässt zudem bei den Überlebenden tiefe seelische Spuren. Frauen haben nach einer Abtreibung eine um 155 Prozent gesteigerte Wahrscheinlichkeit von Selbsttötungsgedanken und ein 220 Prozent höheres Risiko für  Selbstbetäubung durch Drogen.

Gratis-Abtreibung

Die Finanzierung von Abtreibungen durch die Krankenkasse macht in vielerlei Hinsicht keinen Sinn. Eine Abtreibung ist sicherlich keine medizinische Notwendigkeit. Zudem sollte eine Krankenkasse das übergeordnete Ziel verfolgen, Leben zu retten und nicht Leben zu verhindern!

Menschen sollten nicht zu ungewollten Komplizen gemacht werden, indem sie mit ihren Prämien Abtreibungen finanzieren. Gratisabtreibungen verleiten Frauen zudem zu vorschnellen Entscheiden. Durch die private Finanzierung von Abtreibungen werden Mütter gezwungen, ihren  Entscheid gründlicher zu überdenken, was die Abtreibungsrate nach amerikanischen Studien um etwa 25 Prozent senkt. Hinter diesen Zahlen stecken unzählige Leben, die gerettet werden können.

Selbst bei persönlicher Befürwortung von Abtreibungen sollten die Stimmbürger wenigstens respektieren, dass es Menschen gibt, die in der  Abtreibung das Töten eines Menschen sehen, und die Finanzierung davon deshalb privatisiert werden sollte. Ich jedenfalls weigere mich, mit  meiner Krankenkassenprämie das Töten von ungeborenen Babys mitzutragen und lege deshalb ein entschlossenes Ja in die Urne.

Contra (von Philine Frei)

Irreführender Titel

Egal wie sehr der Titel dies kundtun möchte, die Initiative ist nicht finanziell motiviert. Der nationale Verband der Krankenversicherer spricht von 8 Millionen Franken Abtreibungskosten pro Jahr, das sind nur 0.03 Prozent der gesamten Gesundheitskosten – also nichts  Prämienrelevantes. Ganz abgesehen davon würden bei einer Annahme der Initiative die Folgekosten wohl höher ausfallen, wenn Verzweifelte aus finanziellen Gründen unsachgemässe «Pfuschangebote» in Anspruch nehmen würden, die zu Genesungskosten führen, welche dann wiederum von den Prämienzahlern übernommen werden müssten.

Dass die wahren Motive des christlich-konservativen Initiativkomitees nicht ökonomischer Natur sind, zeigte auch die parlamentarische Debatte: Die Herren Bortoluzzi und Freysinger oder Frau Estermann und ihre Gesinnungsgenossen argumentierten auf der moralischen und ethischen Ebene. Unlängst hat die Co-Präsidentin des Initiativkomitees zugegeben, dass man «einfach weniger Abtreibungen in der Schweiz» wolle.

Abtreibung als Verhütungsersatz?

Laut dem Komitee werden rund 50 Prozent der Abtreibungen in der Schweiz bei hier wohnhaften Ausländerinnen vorgenommen. Dass dies die Vermutung nahelegen soll, Abtreibung werde «als kostenloses Verhütungsmittel missbraucht», ist nicht nur ein voreigenommener, sondern auch ziemlich abenteuerlicher Schluss. In eine ähnliche Richtung geht das Argument, die Initiative stoppe den finanziellen Anreiz, Schwangerschaften abzubrechen. Dies impliziert eine Leichtfertigkeit im Umgang mit Abtreibungen, welche die Initianten gleich selbst verneinen, wenn sie betonen, wie psychisch belastend eine Abtreibung sei. Weshalb also Frauen, die eine Abtreibung in Anspruch nehmen, durch den Ausschluss dieser Leistung von der obligatorischen Krankenversicherung auch noch stigmatisieren?

Solidarität nach dem persönlichen Gusto

Dass eine Schwangerschaft meistens freiwillig in Kauf genommen werde und die Kosten daher selbst übernommen werden müssten, ist im Hinblick auf den Grundgedanken der solidarischen Finanzierung heikel. Diverse medizinische Probleme sind selbst (mit-)verschuldet durch eine Lebensführung, die andere nicht gutheissen mögen.

Wenn sich jemand durch ungeschützten Sex mit dem HI-Virus ansteckt, soll er dann auch alle daraus folgenden Kosten selbst bezahlen? Was passiert, wenn er diese gar nicht stemmen kann? Die gleiche Frage lässt sich für den wohlgenährten, rauchenden Mittfünfziger mit Herzinfarkt stellen: Bezahlt er alles selbst oder darf er, da nicht jeder übergewichtige Raucher einen Herzinfarkt erleidet, wegen des Einflusses der genetischen Veranlagung auf die Allgemeinheit zählen?

Selbstverständlich soll eine unvoreingenommene öffentliche Diskussion darüber stattfinden, was solidarisch finanziert wird, gerade in Anbetracht zunehmender Gesundheitskosten. Wichtig ist jedoch, dass die Solidarität nicht isoliert für einzelne «fehlbare» Gruppen gekürzt wird. Zudem würde eine  solidarische Krankenversicherung – generell eine Sozialversicherung – absurd, wenn sich jeder aussuchen könnte, mit wem er sich solidarisch zeigen möchte und mit wem nicht. Darüber hinaus gilt es zu verhindern, dass die finanzielle Verantwortung für eine ungewollte Schwangerschaft gänzlich an die Frauen abgegeben wird – schwanger wird niemand alleine! Aber das Problem ist ohnehin eigentlich keines: Die schweizerische Abbruchrate ist im europäischen Vergleich die niedrigste. Hoffen wir also, dass das Elektorat an der bewährten  Lösung festhält und ein klares Nein einlegt.


1 Comment

  • j

    falsche Dichotomie am Anfang. Welchen Tod empfinden wir als schlimmer? schlimm nach welchem Standard? für das Kind, für den alten Mann? kann ja nicht sein, die sind tot, da gibt’s kein schlimm mehr.
    also für die, die der verstorbene Mensch zurücklässt? nun dann ist ja kaum zu unterscheiden in den beiden Fällen. deshalb führt der Artikel eine falsche Dichotomie an. Menschlicher Tod ist menschlicher Tod. Ansonsten öffnet die Autorin Türen zu Fragen wie, was wenn der Verstorbene behindert, krank, böse, etc war?

    Weiter, ein Fötus ist potentielles Leben, die Personen im Leben haben nicht “potentielles” sonder aktuelles Leben, unabhängig von ihrem Alter.

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