Wirkungsloses Herumsitzen oder effizienter Protest?

Über die Occupy-Bewegung, welche an der Wall Street ihren Anfang nahm, wurde schon viel geschrieben. Die Ziele und Motive der Bewegung mögen wertvoll sein, doch wird die angewendete Protestform diesen gerecht?

Pro

Was möchte Occupy erreichen? Es scheint, dass die Ziele der Occupy-Bewegung oft missverstanden werden. Den meisten Aktivisten geht es nicht um einen Systemwechsel. Viele der Demonstranten gehören zur typischen Mittelschicht und sind mit dem Kapitalismus grundsätzlich zufrieden. Auch geht es ihnen nicht um konkrete Ziele wie die Einführung von Steuern auf Finanztransaktionen oder Verstaatlichung von Unternehmen. Nein, vielmehr beharren die Demonstranten auf einer Meinung, die sich etwa so ausdrücken lässt: «Wir sind nicht für etwas, wir sind gegen etwas.» Dadurch machen sie sich weder durch unausgegorene Konzepte angreifbar noch lassen sie sich von Alt-68ern oder politischen Parteien instrumentalisieren. Man kann darüber urteilen, wie man möchte. Aber zumindest hat da jemand den Mut und das Wissen um die eigene Fehlbarkeit, um zu sagen: «Ich weiss nicht, wie es besser geht. Ich weiss nur, dass es so nicht weitergehen darf!» Dieser Haltung gebührt Respekt – auch in Ländern, wo demokratische Beteiligung einfacher wahrzunehmen ist wie in den USA. Dennoch, so notwendig manche Meinungen für die Weiterentwicklung der Zivilgesellschaft sind, die reine Äusserung bringt nichts ohne die Verbreitung der Idee und ohne Auswirkungen auf die Politik. Auch hier hat die Occupy- Bewegung geschickt gehandelt: Durch die klare Festlegung auf friedlichen Protest, die starke Nutzung von neuen Medien und die Wahl eines griffigen Namens sind die Occupy-Aktivisten weltbekannt geworden. Nicht umsonst zeigt die Verfünfzehnfachung der Teilnehmerzahl innerhalb von knapp drei Wochen nach dem ersten Protest, wie erfolgreich die Bewegung ist. Die starke Medienberichterstattung spricht Bände, und die Politik reagiert. Wirkungsvoller kann ein Protest kaum sein!

Contra

Im Mittelpunkt der New Yorker Occupy- Bewegung steht eine reizvolle Idee: Mit der Besetzung öffentlicher Plätze soll der Protest auch symbolisch in die Mitte der Öffentlichkeit gerückt werden. Ihr Anspruch: Die Bewegung steht für die Anliegen der ungehörten 99 Prozent der Bevölkerung. Leider scheint es diese Idee nicht über den Atlantik geschafft zu haben. Weder konnten hier bislang die Massen mobilisiert werden, noch hat Occupy hierzulande Inhaltliches zur öffentlichen Debatte um die Konsequenzen aus der Finanzkrise beigetragen. Woran liegt das? Ein Grund ist wohl, dass der amerikanische Occupy-Gedanke hier nicht auf fruchtbaren Boden stösst. In den USA, wo ein Zweiparteiensystem die Vielfalt an politisch vertretenen Interessen stark einschränkt, bleiben tatsächlich viele «ungehört». Die Vorstellung von «Ungehörten» in Amerika zieht jedoch in einem System wie der Schweiz oder Deutschland mit diversen Möglichkeiten für politische Partizipation nicht. Dass Occupy wenig Inhalt in die öffentliche Debatte einbringt, liegt jedoch auch daran, dass die Bewegung keine gemeinsamen Ziele formuliert, ja formulieren kann, ohne sich die eigene Grundlage zu entziehen. Denn kennzeichnend für die Occupy-Bewegung ist, dass die Menschen eher für ein Gefühl der Empörung oder Wut auf die Strasse gehen als mit klaren Forderungen. Hinter einem diffusen «Dagegen» vereinigt sich eine heterogene Gruppe von Protestlern. Aber ob sich diejenigen Menschen, die diese Bewegung bislang einzigartig machten, weil sie ungewohnte Gesichter im Protestzug waren und diesen so aussergewöhnlich bunt machten, sich mit mehr fassbaren «Dafürs» weiterhin mitnehmen lassen, ist zweifelhaft.


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