Von den wenigen HSGlern, die Jus studieren, interessiert sich ein noch geringerer Anteil für eine spätere Karriere in der Strafrechtspflege. Corinne Avanzino hat diesen Weg eingeschlagen und arbeitet heute als Auditorin bei der Staatsanwaltschaft St. Gallen.
Was ist deine Aufgabe bei der Staatsanwaltschaft?Bei der Staatsanwaltschaft gibt es einerseits die eigentlichen Staatsanwälte und andererseits juristische Mitarbeiter. Praktikanten haben grundsätzlich dieselben Aufgaben wie Letztere und unterstützen die Staatsanwälte bei sämtlichen Verfahrenshandlungen wie beispielsweise bei Einvernahmen, Erstellung von Anklageschriften sowie Plädoyers. Wir dürfen ziemlich viel eigenständig erledigen und geniessen ein grosses Vertrauen.
Wie bist du zu diesem Praktikum gekommen?Mich hat Strafrecht schon immer interessiert, deshalb habe ich mich hier beworben. Es war eigentlich ziemlich einfach. Ich muss aber dazu sagen, dass ich an der Uni auch schon am Lehrstuhl für Strafrecht gearbeitet habe. Das war sicherlich ein Vorteil.
Warum hast du dich für die HSG entschieden?Für mich standen nur die Uni St. Gallen oder die Uni Zürich zur Debatte, weil ich im Thurgau lebte und pendeln wollte. Ausschlaggebend war schliesslich, dass Zürich damals noch nicht auf das Bologna-Modell umgestellt hatte und ich nach diesem studieren wollte.
Die HSG ist nicht die typische Strafrechtsuni. Hat man da gute Chancen, als Staatsanwalt zu arbeiten?HSGler sind dafür wahrscheinlich nicht unbedingt prädestiniert. Als ich noch beim Gericht arbeitete, meinte ein Richter einmal scherzhaft: «Ah, Sie sind von der HSG. Wissen Sie denn, was Strafrecht ist?» Letzten Endes lernt man aber so vieles erst im Praktikum, dass der Studienort aus meiner Sicht nicht entscheidend ist.
Wäre es für dich eine Möglichkeit, als Strafverteidigerin zu arbeiten?Eher weniger. Ich weiss, es klingt etwas idealistisch, aber als Staatsanwalt vertritt man grundsätzlich den Staat, wohingegen man als Verteidiger unter Umständen auch Positionen einnehmen muss, hinter denen man selbst nicht stehen kann, da man primär die Interessen des Mandanten zu vertreten hat und nicht die Durchsetzung des Rechts an erster Stelle steht.
Was war dein bisher grösster Fall?Das ist schwierig zu sagen. Beim kantonalen Untersuchungsamt bekommen wir eigentlich nur die grösseren Fälle. Speziell war sicherlich ein Raubüberfall mit vier Tatbeteiligten. Da kann die Arbeit auch einmal etwas stressig werden, da wir dann die Tatverdächtigen unverzüglich befragen und ihnen Gelegenheit geben müssen, sich zum Tatverdacht und zu den Haftgründen zu äussern. Bestätigen sich Tatverdacht und Haftgründe, muss spätestens innert 48 Stunden nach der Festnahme Antrag auf Anordnung von U-Haft beim Zwangsmassnahmengericht gestellt werden.
Wird man als Staatsanwältin nicht ständig belogen?Das ist ganz unterschiedlich. Das Aussageverhalten hängt meines Erachtens von vielen Faktoren ab. Ausschlaggebend für die Kooperationsbereitschaft ist sicherlich auch die persönliche Komponente zwischen Staatsanwalt und beschuldigter Person.
Worin besteht die grösste Herausforderung in deinem Job?Die grösste Herausforderung ist es, eine gute Mischung zwischen Anteilnahme und Abgrenzung zu finden. Warum sollte man sich für ein Auditoriat bei der Staatsanwaltschaft entscheiden? Zunächst einmal geniesst man ein grosses Vertrauen und darf viele Dinge eigenständig vorbereiten. Man wird hier als Praktikant ernst genommen, so dass man sicherlich enorm viel lernen kann. Und schliesslich kann man bei Überwachungen und Einvernahmen immer wieder den eigenen Spürsinn trainieren, was grossen Spass macht.