Die Wahnsinnigen sind unter uns: in der Vorlesung, in der Bibliothek, in der Mensa oder auch in der Sporthalle. Die einen brauchen Aufmerksamkeit um jeden Preis, die anderen Kaffee und Dritte einfach immer mehr Lernstoff. Der HSG-Student scheint den Wahnsinn in sich aufzusaugen, sobald er das erste Mal einen Fuss in das Uni-Gebäude setzt. Je nachdem unter welchen Einflüssen er die Zeit an der Uni erlebt, entwickelt sich sein Wahntyp so oder anders. Häufige Erscheinungsbilder von Wahnsinn an der Uni werden weiter unten dargestellt. An dieser Stelle nun eine Warnung: Der Wahnsinn greift leicht um sich! Die Merkmale der jeweiligen Wahnsinnigen sollten daher besonders sorgfältig gelesen werden. Für bereits Betroffene ist die Selbstdiagnose häufig schwierig. Um seinen individuellen Wahnsinn zu identifizieren, sollte man sich daher unbedingt dem Selbsttest auf der nächsten Doppelseite unterziehen. Ihr findet euch selbst und eure Kollegen eigentlich völlig normal? Hier ist Vorsicht geboten: In seinem Wahn umgibt sich der HSG-Student mit Kommilitonen, die dem Wahnsinn ebenso verfallen sind, wie er selbst.
Beim Fitnesswahnsinnigen steht der Körper an erster Stelle. Sein Lebensraum ist die Sporthalle, der Ort, wo er seine aufgepumpten Muskeln zeigen, sein Sixpack trainieren und das Resultat all seiner Bemühungen mit den vielen Konkurrenten vergleichen kann. Bei den Frauen ist der Körperfettanteil das Mass aller Dinge, während bei den Männern Bizeps-Umfang und das Maximalgewicht beim Bankdrücken relevante Messzahlen darstellen. Gewichte stemmen, Push-ups, Klimmzüge, aufs Laufband und dann noch zum Fussball: Das erfordert Planung. Der Fitnesswahnsinnige wählt deshalb seine Uni-Kurse je nach Trainingsplan aus. Gruppentreffen finden grundsätzlich in der Sporthalle statt, damit er gleichzeitig auf dem Laufband trainieren kann. Mittags isst er am liebsten Reis mit Pouletbrust und gönnt sich dazu einen Proteinshake. In harten Zeiten gibt es nur Reis und in Dampf gekochte grüne Bohnen. Oder Salat, natürlich ohne Dressing. Ausserhalb der Arena verbringt er nicht viel Zeit, denn ohne konstanten Schweissgeruch in der Nase fühlt er sich schnell unwohl. In der Mensa oder in der Bibliothek lässt sich auch schlecht eine Möglichkeit finden, jemanden mit der eigenen Muskelkunst zu beeindrucken. Bücher stemmen hat er schon einmal versucht, jedoch gefiel das den Bibliothekaren nicht so sehr. Frauen haben es da leichter: Sie bücken sich einfach in einem strategisch günstigen Moment.
Wer kennt ihn nicht: den Schönsten, Tollsten, Stärksten, Schlausten der ganzen Uni? Die Geltungswahnsinnigen sind überall. Man kann aber auch mit allem angeben: mit dem neusten Auto, den besten Saufgeschichten, damit, Präsident vom gefühlten 300. Verein an der HSG zu sein, damit, ohne jegliche Anstrengung gute Noten zu schreiben und noch mit vielem mehr. Der Geltungswahnsinnige pflegt sein Angeber-Image mit Hingabe. Da muss das Aussehen einfach passen. Von der Frisur (gegelter Seitenscheitel oder tägliches Brushing von Jean-Louis David) über die Kleidung (selbstverständlich nur hochwertigste Marken) bis hin zu den Accessoires (Uhr, Sonnenbrille, teuerste Handtasche auf dem Markt), alles muss aufeinander abgestimmt sein. Häufig ist der Geltungswahnsinnige von seinen Bewunderern umgeben. Hier läuft er zur Höchstform auf und erzählt allen, was für ein toller Kerl er ist. Die echten Geltungswahnsinnigen sind die, die es dann auch noch schaffen, sich bei allem bescheiden zu geben. Während der Geltungswahnsinnige vor allem durch sein lautes Angeben auffällt, setzt die Geltungswahnsinnige noch mehr auf ihr Styling. Aber generell gilt: Auch Männer qualifizieren sich für die Bezeichnung «attention whores», besonders an der HSG.
Beim Technikwahnsinnigen spielt natürlich die technische Grundausstattung eine wichtige Rolle. Der Tablet-PC darf nicht fehlen, der ultradünne Laptop ebenso wenig wie das neueste Smartphone. Wer extra ansteht, um das neueste iPhone zu ergattern, der kann sich seines Platzes unter den Technikwahnsinnigen sicher sein. Bei technischen Fragen erscheint er hilfsbereit, regt sich im Stillen jedoch über den Unwissenden auf. Fragen über Word und Excel hält er zunächst für Witze. Er versteht nicht, warum «Programmieren für Anfänger» kein Pflichtkurs ist, bei so viel offensichtlicher Unwissenheit. Bei Gruppenarbeiten übernimmt er das Layout der Folien und der schriftlichen Arbeit, anderen traut er diese Aufgabe nicht zu. Selbstverständlich kennt er die neuesten Internetplattformen und weiss für jedes Problem eine kostenlose App-Lösung. Den (zumeist männlichen) Technikwahnsinnigen trifft man an der Uni vor allem in der Nähe von Steckdosen an, eine Schwäche der totalen technischen Abhängigkeit.
Sein Leben ist die Nacht. Das St. Galler Nightlife kennt er in- und auswendig, im Ele und im Trischli ist er Stammgast. Mit der Zeit wird das aber auch ein bisschen eintönig, deswegen geht es ab und zu nach Zürich in den Ausgang, und während des Breaks fliegt er sowieso nach Ibiza. Diesen Wahntypus erkennt man an den müden Augen, die von wilden Nächten zeugen. Es kann auch passieren, dass der Partyfreak mal eine Vorlesung verpasst, die früh, viel zu früh stattfindet. Donnerstags und freitags ist er grundsätzlich kaum an der Uni zu erblicken, dagegen kann man ihn im Ausgang nicht verfehlen: ein unglaubliches Partytier, das alle Blicke auf sich zieht. Sein Sozialleben ist top, über 2’000 Partyfreunde auf Facebook und seine WG-Partys sind berühmt und berüchtigt. Wer es schafft, einen Fuss in seine meist überfüllte und laute Wohnung zu setzen, wird viele Fotos von ereignisvollen Nächten und verschiedene Auszeichnungen, wie zum Beispiel, den Beerpong Award bewundern können. Da er weder zuverlässig noch sehr fleissig ist, taugt er als Teammitglied nicht viel. Wenn man aber einmal etwas schlecht gelaunt ist und wirklich feiern gehen will, ist er auf jeden Fall dabei.
Der wohl verbreitetste Typ an der Universität… Er ist jeden Tag um 7.30 Uhr an der Uni, um einen Platz in der ersten Reihe des Audimax zu ergattern, verpasst nie eine Vorlesung, vergisst nie seine Unterlagen und jede freie Minute verbringt er in der Bibliothek. Es ist auch derjenige, der dich böse anschaut und zischt, wenn du mit deinen Blättern ein wenig raschelst. Streber kann man ihn auch nennen, denn eigentlich geht es ihm nur darum, dass er das Jahr besteht, und dies, wenn möglich, mit einem guten Notendurchschnitt. Dafür verzichtet er gerne auf Sport, Ausgang, Hobbys und manchmal auch auf sein Sozialleben. Ob sich die ganze Mühe lohnt, ist nicht erwiesen. Trotzdem bedeutet Lernwahn nicht, dass man egoistisch ist und sich rein an studentischem Erfolg orientiert. Ein solcher «Streber» kann ein sehr gutes Teammitglied sein, da er hohe Ansprüche an seine persönliche Leistung stellt. Weil er viel arbeitet und immer sicherstellt, dass er das, was er nicht ganz verstanden hat, noch einmal durchliest, ist er auch die richtige Bezugsperson, wenn man einmal eine Frage zur Materie hat. Asozial ist er auch nicht unbedingt, denn er kann ein sehr guter Kollege sein. Nur müssen seine Freunde entweder auch lernwahnsinnig sein oder Verständnis für seinen Wahn aufbringen. Wenn sich allerdings der Lernwahn mit dem «Bad Luck Brian»-Look kombiniert, bleiben als Gesellschaft wohl nur der Taschenrechner und der Glücksbringer von Mama für die schwierigen Prüfungen.
Der West Coast Trail – das ist eine Woche Wildnis und Wagnis. Mehrere Autostunden von Victoria, der Hauptstadt von British Columbia, entfernt windet sich hier einer der schwierigsten Wanderwege Nordamerikas am «Graveyard of the Pacific» entlang. Der Küstenstreifen verdiente sich seinen traurigen Beinamen im 19. Jahrhundert, als Hunderte von Schiffen hier ihr nasses Grab fanden. Eine tragische Geschichte, welcher der West Coast Trail seine Entstehung verdankt.
Jetzt muss man sich fragen, wie ein Wanderweg Schiffbrüchigen helfen sollte. Nun, den armen Gestalten, die den Untergang selbst gar nicht erst überlebten, überhaupt nichts. Aber die Überlebenschancen von denjenigen, die es glücklich bis auf festen Boden schafften, stiegen in der Tat drastisch. Vor der Eröffnung des West Coast Trail war eine Rettung eigentlich Illusion. Einmal an Land angekommen, erwarteten sie nämlich keinesfalls warme Rettungsdecken, tränenselige Angehörige und die Möglichkeit, die Geschichte eines haarsträubenden Überlebenskampfes zu Geld zu machen. Stattdessen wurden sie von Meilen an undurchdringlichem, von Bären und Pumas bewohntem Wald erwartet. Kaum jemand überlebte. Der West Coast Trail sollte das ändern. Entlang der bereits bestehenden Telegrafenmasten legte man einen Pfad frei. Pumas und Bären gab es immer noch, aber jetzt warteten alle paar Kilometer kleine Camps mit Notvorräten und Werkzeugen auf die Schiffbrüchigen. Mit der Erfindung moderner Navigationsgeräte wurde das Drama des Graveyard des Pazifik zu den Akten gelegt. Der West Coast Trail aber avancierte zu einem der beliebtesten Ziele von Naturliebhabern, Adrenalinjunkies und passionierten Wanderern Kanadas. Er ist jedoch keineswegs ein Spaziergang. Zwar nur 75 Kilometer lang, ist er in keinster Weise mit den Wanderwegen in den Alpen zu vergleichen, auf die sich Otto Normalverbraucher in unseren Breiten am Wochenende verirren.
Das gefährlichste Tier, das einem hier so begegnen kann, ist wahrscheinlich ein wildgewordenes Murmeltier. Auf dem West Coast Trail steht man hinter der nächsten Kurve auch schon mal einem Bären oder einem Puma gegenüber. Nichts für schwache Nerven. Benutzerfreundliche Treppen und Brücken gibt es auch nicht. Stattdessen erwarten gischt- und regenglitschige Leitern sowie Self-Service-Seilbahnen den Wanderer. Im Klartext heisst das, man schwankt eine zehn oder zwanzig Meter hohe Leiter hinauf, nur um dann sich und seinen überdimensionalen, bleischweren Rucksack in ein viel zu kleines «Metallkörbchen» zu befördern und sich selbst an einem Stahlseil entlang zur anderen Seite einer Schlucht zu ziehen, über deren Tiefe man besser nicht nachdenken sollte, buchstäblich ein Drahtseilakt. Für den gesamten Weg braucht man ungefähr eine Woche – wenn man Pech hat, aber auch mal um einiges länger. An mehreren Stellen müssen Wasserzuläufe an der Küste durchquert werden. Im Normalfall bedeutet das nur ein bisschen nasse Füsse. Wenn Petrus sich aber entscheidet, unvernünftige Mengen an Wasser vom Himmel zu schütten – und Vancouver Island ist bei ihm sehr beliebt, bleibt man auch schon mal zwei bis drei Tage an so einer Wasserüberquerung hängen, weil der kleine Fluss plötzlich zum reissenden Strom geworden ist.
Aufgeben ist auch keine Option. Jedenfalls sollte man sich den Ort sorgfältig aussuchen. Eine halbwegs zuverlässige Rettung ist eigentlich nur an zwei sehr kurzen Küstenabschnitten möglich. Also lieber nicht von einem Bären angefressen werden oder von der Leiter fallen. Für die kulinarische Versorgung gilt grundsätzlich die Direktive «selbst mitnehmen». Das bedeutet, eine Woche von Platz sparender Astronautennahrung zu leben, deren Erfinder eindeutig noch nie von der Existenz von Geschmacksnerven gehört haben.
West-Coast-Trail-Wandern bedeutet also eine Woche schwindelnde Höhen, nasse Füsse, schlechtes Essen und ein ganzes Arsenal an Tieren, die einen schon mal zum Abendessen verspeisen könnten. Trotzdem beschreiten jedes Jahr 6’000 Menschen den West Coast Trail.
Es ist schwer, den Charme und die Unvergesslichkeit dieser Woche in der Wildnis in Worte zu fassen. Selbst Fotos helfen nicht viel. Am ersten Tag knipst man noch eifrig hinter jeder Biegung Fotos, aber spätestens wenn man bei im Sonnenaufgang spielenden Seerobbenbabys am Strand aufwacht, erkennt man, dass manche Erinnerungen niemals in einem Foto festgehalten werden können. «Memories for the heart» nennen die Kanadier das. Und davon gibt es viele auf dem West Coast Trail – Erinnerungen, die man im Herzen mit sich trägt, anstatt sie schön säuberlich in ein Fotoalbum zu kleben.
Das Adrenalin-High, wenn man an einem dünnen Drahtseil über einer Schlucht baumelt, unter einem die tosenden Wellen des Pazifiks, die sich an den Felswänden brechen, die fast bizarre Schönheit der Überbleibsel eines Schiffwracks, noch halb im Morgennebel verborgen, oder die Euphorie, einen weiteren Tag in einer völlig anderen Welt überlebt zu haben: All das ist fantastisch und jede Mühe wert.
Am meisten Aufmerksamkeit ziehen sicherlich die diversen Video-arbeiten des Appenzellers Roman Signer auf sich, die im Untergeschoss des Hauptgebäudes vor dem Raum 01-U126 gezeigt werden: Das vom Ehepaar Dirrheimer und Bruno Widmer gestiftete Werk kombiniert 14 verschiedene Videos aus den Jahren 1988 bis 2011 und vereint dabei «Leid und Freude, Komik und Tragik, Anspannung und Spiel», so Professor Yvette Sánchez, Präsidentin der Kunstkommission der HSG und in dieser Rolle verantwortlich für die Auswahl an Kunstwerken. Dem Autor indes erschienen die Videos insgesamt eher destruktiv: So wird etwa durch das Aufheben einer Wassersperre ein Mühlrad in Gang gesetzt, dass in seiner Drehbewegung ein Seil verzwirbelt, an dessen Ende ein Stuhl befestigt ist. Dadurch wird dieser zwangsläufig immer näher an die Übersetzung des Mühlrads gezogen und erliegt dort dem Spiel zwischen dem Zug des Seils und dem Widerstand der Wand. Die restlichen Videos beinhalten ebenfalls oft zerstörerische Elemente, wie zum Beispiel im Falle des Kanus, das von einem Auto einige Kilometer über einen steinigen Weg geschleppt wird. Solange, bis der Boden des Kanus komplett durchscheuert ist und der Ruderer anhalten möchte. Abgesehen davon kehren auch diverse Leitmotive, wie die Verwendung von Sprengstoff aller Arten und Lehm, in den Videos wieder. Letzterer kann dabei stellvertretend für die Regieführung des Filmes gesehen werden: So wie der Lehm in einem der 14 Videos den schnellen Fall einer Kugel abbremst, wirkt auch der Film verlangsamend auf die eigentlich «wilden» Vorgänge: Die neutral gehaltene Kameraführung (teilweise bleibt die Kamera sogar fixiert) wird in ihrer stoischen Ruhe durch keinen Kommentar, durch keinen Schriftzug unterbrochen – einzig zwischen den Videos erscheinen kurz vor einem schwarzen Hintergrund Titel, Zeitpunkt und Ort der Aufnahme. Ihren komischen Höhepunkt erreicht diese Behäbigkeit in einer Szene, in der ein Mann auf seinem Weg mit jedem Schritt eine Sprengfalle auslöst. Unterstützt wird diese Behäbigkeit zudem dadurch, dass auf Schnitte weitestgehend verzichtet wird.
Den vollen Film dürften bisher nur wenige Menschen gesehen haben – die meisten stolpern eher auf dem Weg zur oder von der Mensa über das gerade laufende Video. Denn mag die Konstruktion in der ersten Woche noch bei vielen Verblüffung ausgelöst haben, so achtet der durchschnittliche Studierende mittlerweile nur noch selten auf die Clips. Den Charakter des Films, nur im Vorbeilaufen betrachtet zu werden, bekam denn auch der Autor dieses Artikels während seiner «Recherche» zu spüren, als er zur Mittagszeit von einigen Leuten zwei- oder mehrmals angetroffen und von diesen mit verwunderten Blicken gemustert wurde.
Hat man sich denn schliesslich an den verschiedenen visuellen Köstlichkeiten Roman Signers geistig satt gesehen und versucht nun auch den körperlichen Hunger zu stillen, trifft man sogleich auf das nächste neue Kunstwerk, das, kaum weniger prominent platziert, ungleich provokanter ist: Der Neon-Schriftzug «Happiness is expensive» des mexikanischen Künstlers Alejandro Díaz (ein Geschenk von Frau Yong-Suc Hungerbühler-Chyun) hat bereits diverse Gemüter erregt. Den einen kommt es wie Hohn vor, bestätigt es aus ihrer Sicht doch alle Klischees der HSG. Andere hingegen stimmen der Aussage zu einem Grossteil zu und wundern sich über die bösen Blicke, die ihre Kommilitonen dem Werk schenken. Einige schliesslich fassen die Aussage des Schriftzugs ironisch auf und sehen darin ein kritisches Hinterfragen des Leitgedankens einiger HSGler. Über die Interpretation seines Kunstwerks an der HSG hat sich Díaz, der bereits diverse Leuchtschriftzüge erstellt hat, bei der Erschaffung indes vermutlich wenig Gedanken gemacht. Einen Einfluss könnte gemäss Professor Sánchez vielmehr Díaz Umfeld, bestehend vor allem aus eingewanderten Latinos, die den American Dream leben wollten, gehabt haben. Die Relevanz für die HSG sieht sie unter anderem bei der Frage, ob eine der Hauptaussagen der Nationalökonomie, nämlich dass man Glück mithilfe des BIP messen kann, überhaupt noch zeitgemäss ist – die HSG habe hier in den letzten Jahren intensiv geforscht.
Doch selbst kontroverse Aussagen wie «Happiness is expensive» können einen HSGler wohl nicht von seinem Mittagessen abhalten – also weiter im Kreislauf: Viele zieht es danach in die Sporthalle, um eventuell überzählige Kilos wieder abzutrainieren. Hier bietet sich die Gelegenheit, das letzte Kunstwerk, ein Selbstportrait des Künstlers Yan Pei-Ming, zu sehen – zumindest in naher Zukunft. Da das Kunstwerk zu seinem Schutz vor Bällen hinter einer dicken Glasscheibe aufgehängt werden soll, verzögert sich das Befestigen des Bildes (leider) noch. In Rottönen gehalten, greift es der Interpretation von Professorin Sánchez zufolge provokativ das vielen bekannte Konterfei Maos auf.
Insgesamt ist die Resonanz der Studierenden auf die neuen Kunstwerke recht neutral – die meisten nehmen sie, wie oben angedeutet, nach einer Weile nur noch passiv wahr. Einige negative Stimmen gab es zu Video und Neonschriftzug: Obwohl es sich in allen Fällen um Schenkungen oder Leihgaben handelt, wurde der Stromverbrauch insbesondere des täglich 15 Stunden laufenden Beamers bei geringem Gegenwert für den Durchschnittsstudenten bemängelt. Zudem wird gelegentlich kritisiert, dass im Gegensatz zu den Werken von Giacometti, Richter und Mirò, bei denen die Gebäude-Umgebung spezifisch für diese Kunstwerke geschaffen wurde, keine besondere Bindung zwischen Standort und Kunstwerk vorliegt. Nichtsdestotrotz führen auch die «Neuen» die Tradition Professor Nägelis, der einst die Kunstsammlung der HSG durch sein Engagement begründete, fort und erstaunen insbesondere neue Besucher der Universität, mit der stetig wachsenden Kunstsammlung unserer Alma Mater.
Den beiden besten Freunden und englischen Soldaten James und Bryan bleibt nach dem Flugzeugabsturz über feindlichem Gebiet in Süddeutschland nichts anderes übrig, als sich in eine psychiatrische Klinik einzuschleusen und sich als geisteskranke Patienten auszugeben, um zu überleben. Als getarnte SS-Offiziere verweilen sie Wochen und Monate in einer Anstalt im Schwarzwald bei Breisgau. Doch welche Auswirkungen haben Elektroschocks und Medikamente auf die beiden kerngesunden Simulanten?
«Das Alphabethaus» erzählt von den Grenzen, die einer Freundschaft durch den Krieg gesetzt werden, ohne sich aber thematisch auf den Krieg zu beschränken. Vielmehr handelt es sich um eine Auseinandersetzung mit dem Gefühl der Schuld, menschlichem Versagen und dem niemals enden wollenden Schmerz, seinen besten Freund im Stich gelassen zu haben.
Jussi Adler-Olsens Roman ist die Geschichte einer grossen Freundschaft, eines schrecklichen Krieges, aber vor allem die Geschichte zweier Männer, die um jeden Preis überleben wollen – jeder auf seine Art. Eine packende, erschütternde, entsetzliche Geschichte, die gleichzeitig aber auch herzerwärmend, wenn nicht -zerreissend ist und vom Autor mit einem unglaublichen Tiefgang verfasst wurde.
Die grosse Frage bleibt bis zur letzten Seite ungeklärt: Was kann eine Freundschaft wie die der beiden englischen Soldaten James und Bryan aushalten?
Das Alphabethaus
589 Seiten
Erscheinen bei:
DTV (München), 2012
Es gab mal eine Zeit, in der Männer ganz selbstverständlich Anzug trugen. Sie trugen ihn zur Arbeit, zum sonntäglichen Spaziergang und zum Kaffee mit Freunden.
Der Mann trug ihn selbstbewusst mit 25 und noch selbstbewusster mit 50; vorzugsweise in schwarz oder grau. Bedauerlicherweise liegt die gepflegte Uniformität der 60er-Jahre weit hinter uns und ist dem Wunsch des Mannes nach optischer Selbstverwirklichung gewichen. Der Mann nutzte die neu gewonnene Freiheit, um anstatt in einen Anzug, der jedem formale Haltung verleiht, in Jeans und Pullover zu schlüpfen. Um dem Ganzen noch etwas Nachdruck zu verleihen: Wir bedauern diesen Trend. Denn der ungepflegte freie Mann ist längst nicht so anziehend wie manche Männer glauben. Verwaschene Jeans und ein Shirt, das wohl seit zehn Jahren getragen wird, wirken schlampig und machen nicht wirklich einen guten Eindruck.
Doch wir können glücklicherweise einen Hoffnungsschimmer am Horizont erkennen. Denn Barney Stinson oder auch die Serie Mad Men haben längst bewiesen, dass Anzüge toll sind, jedem Manne Haltung und Selbstvertrauen verleihen und einfach gut aussehen. Also, lieber Männer der HSG, es wird Zeit, dass ihr jeden Tag zu einem Suit-up-Day macht.
Erstmals fand am 10. Oktober 2012 der HSG Industrial Career Day statt. Dieser entstand nach ungefähr einem Jahr Vorbereitungsphase in Zusammenarbeit mit dem Industrial Club und dem Career Services Center. Bisher gehörten die Banking und die Consulting Days zum gewohnten Bild der Universität. Das Interesse jener Studierenden, die ihre Zukunft im Industriesektor sehen, blieb dabei auf der Strecke. Überhaupt war der Industriesektor an der HSG bis vor Kurzem eher schwach vertreten. Vor zwei Jahren schliesslich wurde durch eine Gruppe von engagierten Studenten der Industrial Club gegründet. Dem Club ist es ein Anliegen, dem Interesse der Studierenden an der Industriebranche entgegenzukommen und all jenen, die noch nicht wissen, in welche Richtung sie später gehen wollen, die Branche schmackhaft zu machen. «Viele Absolventen gehen anfänglich in Richtung Consulting oder Banking, landen aber früher oder später in der Industriebranche», so Veranstalter Fredrik Isler. «Wir möchten diesen Prozess mit unserem Engagement beschleunigen.»
Bisher veranstaltete der Industrial Club nur Events und Workshops für Vereinsmitglieder. Für die Workshops des HSG Industrial Career Days konnten sich hingegen erstmals Studierende aus allen Majors bewerben. Diesen stand es grundsätzlich frei, für welchen Workshop sie sich anmelden wollten. Insgesamt boten fünf Firmen – BASF, Bilfinger Berger, Hilti Schweiz, Clariant und Sulzer – Workshops für die Studierenden der HSG an. Ausgesucht wurden die Teilnehmer nicht etwa vom Industrial Club, sondern von den Firmen selbst, wobei die Authentizität der Motivation laut Workshopleitern Hauptkriterium gewesen sei, daneben spielten aber auch der CV, das Interesse für die Industriebranche und natürlich gute Noten sowie Studiendauer eine wichtige Rolle. Den glücklichen Angenommenen wurde ein interaktiver Event geboten. Sie wurden in die Unternehmensstruktur eingeweiht, erhielten einen kurzen Abriss eines Arbeitstages und konnten sich nützliches Know-how zur Branche und zu den Firmen aneignen.
«Durch den Event habe ich ein viel besseres und exakteres Bild über die Jobs im Industriesektor erhalten», so Markus, ein Teilnehmer. Für die meisten Teilnehmer stand schon vor dem Event fest, dass sie ihre Zukunft in der Industriebranche sehen. Sie nutzten die Gelegenheit, um mit den Unternehmen in Kontakt zu treten und wertvolle Beziehungen für die Zukunft aufzubauen. Die Vertreter der Industrieunternehmen nahmen ihrerseits die Gelegenheit wahr, um auf Talentsuche zu gehen.
Der HSG Industrial Career Day bildet ein Gegengewicht zu dem vom Banking und Consulting dominierten Bild der HSG. Das Interesse der Studierenden an der Industriebranche ist in den letzten Jahren gestiegen, dies nicht zuletzt wegen der Finanzkrise. Daher war ein Industrial Career Day schon längst überfällig. Nun bleibt nur noch zu hoffen, dass auch in den folgenden Jahren wieder ein solcher durchgeführt werden kann.
Sie studieren an der HSG und interessieren sich für internationale Politik? Dann haben Sie zwei Möglichkeiten, diesem Interesse spielend leicht nachzugehen. Einerseits können Sie sich genügend Tegernseer Bier besorgen, sich mit Freunden abends zusammensetzen und «The West Wing» schauen. Sie verfolgen dann die Hochs und Tiefs des demokratischen US-Präsidenten Josiah Barlet und seines Beraterstabes im Weissen Haus. Schon bald wissen Sie im Detail, was ein Filibuster, eine Subpoena und ein Government Shut Down ist oder wie man Supreme-Court-Richter wird. Die Lern- und Spasskurven sind steil und die 154 Folgen gehen wie im Flug vorbei. Bedenken Sie aber dies: Wenn Sie jeweils zu viert «The West Wing» schauen und pro Person und Doppelfolge je ein Tegernseer trinken, benötigen Sie insgesamt mehr als 300 Flaschen. Das bringt Sie in arge Beschaffungsschwierigkeiten.
Die zweite Möglichkeit, Ihrem internationalen Interesse zu frönen, rückt folglich in den Vordergrund: Sie können bei Model United Nations an der HSG mitmachen. Im National Model UN Kurs lernen Sie spielend die UNO kennen; zusammen mit uns treffen Sie echte Botschafter und Sie fliegen als Höhepunkt im Frühjahr mit nach New York zur NMUN-Konferenz. Dort vertreten Sie mit rund einem Dutzend HSG-Studierenden ein Land, wie letztes Jahr etwa Grenada, und gestalten zusammen mit Tausenden anderen Studierenden kreative Lösungen für die drängenden Probleme der Welt. Sie haben zudem die Möglichkeit, beim Model UN Club an der HSG mitzumachen. Dort haben Sie mindestens ebenso viel Spass wie im Kurs. Die Vorteile von Model UN gegenüber «The West Wing» liegen auf der Hand: Sie stehen zumindest nicht jedes Wochenende im Stau auf der Landstrasse zum Tegernsee.
Prof. Dr. Thomas Burri
ist Assistenzprofessor für Völker- und Europarecht. Zusammen mit Theresia Langosz und Samuel Cobbi bietet er den National Model United Nations Kurs an: www.nmun.ch. Die Bewerbungsphase läuft jeweils im Mai/Juni. Weitere Informationen zum MUN Club an der HSG: www.sgmun.ch. Kurs und Club arbeiten eng zusammen.
Eine zehnminütige Autofahrt und eine Bilderbuchlandschaft trennen die Universität St. Gallen und das Haus von Benjamin Schindler voneinander. Am Haus, das 1820 erbaut wurde, angekommen, erwartet uns eine herzliche Begrüssung des Hausherrn, der uns freundlich Einlass in die Casa Schindler gewährt. Im Wohnzimmer setzen wir uns zusammen mit Schindler und seiner siebenjährigen Tochter Seraphine um einen rechteckigen Salontisch aus Glas und bitten zum Gespräch.
Das Wohnzimmer ist trotz der kleinen Fenster sehr hell und bietet einen perfekten Blick auf die Landschaft in Speicher, Appenzell Ausserrhoden. Nebst einem schwarzen Klavier, das prominent im Raum steht, fällt uns ein kleiner Fernseher aus den 60er-Jahren auf. «Den Fernseher brauchen wir nur, um die Nachrichten zu sehen. Ich wollte dafür keinen den Raum dominierenden Flachbildschirm kaufen. Vor allem sollte es etwas sein, das zum Rest des Hauses passt.» Tatsächlich wirkt das einstige Industriegut in dem fast zweihundert Jahre alten, hellen Raum mit dunklem Boden und mit Gemälden dekorierten Wänden fast schon selbst wie ein Kunstwerk. Kunst und Kultur spielen bei den Schindlers eine grosse Rolle. Jedes Werk hat dabei seine Bedeutung und ist Träger schöner Familienerinnerungen. So gehört wohl auch Leimen bei Heidelberg in Deutschland zu den schönen Erinnerungen in Schindlers Leben. In Leimen verbrachte er einen Teil seiner Kindheit, bis sein Vater, ein Theologe, 1979 in Bern eine Anstellung fand und es die siebenköpfige Familie zurück in die Schweiz zog. In Bern setzte das jüngste von fünf Kindern seine Grundschulausbildung bis hin zur Matura fort. Den Entscheid zum Jus-Studium habe er relativ pragmatisch gefällt. «Im Prinzip machte ich es wie Mani Matter und wendete das Eliminationsverfahren an. Ich schloss all jene Fächer aus, die absolut nicht in Frage kamen, und suchte mir unter den Verbleibenden jenes aus, das am ehesten zu mir passte.» Weggefallen sind so die Fächer Theologie und Germanistik. «Mein Vater war Theologe, meine Mutter Germanistin. Ich wollte etwas anderes studieren. Dass ich eine Studienrichtung gewählt habe, bei der die Arbeit mit Texten und die Sprache eine grosse Rolle spielen, ist aber sicher kein Zufall.» Während die meisten seiner Schulfreunde ihren Lebensweg in Bern fortsetzten, entschied sich Schindler für einen Tapetenwechsel und absolvierte sein Jus-Studium sowie sein Doktorat der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich. «Die meisten, welche in Bern aufwachsen, studieren dort und bleiben auch den Rest ihres Lebens in Bern. Diese Aussicht hat mich dazu bewogen, in Zürich zu studieren.»
Nach dem Studium machte Schindler auch sein Anwaltspatent im Kanton Zürich, arbeitete später als Mitarbeiter im Bundesamt für Justiz und verbrachte ein Jahr zu Forschungszwecken an der Universität Oxford bis es ihn schliesslich an die Universität St. Gallen zog. Seit dem Frühlingssemester 2012 hält er unter anderem zusammen mit Bernhard Ehrenzeller die Vorlesung zum Bundesstaatsrecht auf Assessmentstufe. Wobei er zugibt, dass ihm diese Vorlesung nicht so geheuer ist. «Im Audimax herrscht eine enorme Distanz zwischen mir und den Studierenden. Ich schätze viel mehr einen interaktiven Unterricht.» Uns erstaunt es vor allem zu hören, dass Schindler trotz mehrjähriger Unterrichtserfahrung vor jeder Vorlesung ein bisschen Lampenfieber hat. «Als Assistent an der Uni Zürich musste ich Tutorien leiten. Einmal geschah es, dass ich schlecht vorbereitet zu einem solchen erschien und zwei Studierende einen Fehler in der Lösung entdeckten. In diesem Moment fühlte ich mich blossgestellt. Seither verfolgt mich dieses unangenehme Gefühl. Aber es ist auch heilsam und trägt hoffentlich zur Qualität meines Unterrichts bei.»
Benjamin Schindler ist ein Mensch, der darauf bedacht ist, wenn möglich keine Arbeit mit nach Hause zu nehmen. Dies ist wohl mitunter ein Grund, wieso er die räumliche Distanz zur Universität schätzt. «Auf der kurzen Heimfahrt mit dem ‹Bähnli› kann ich etwas Abstand zur Arbeit gewinnen.» So lese er auf der Fahrt nach Hause oft eine Zeitschrift, um sich etwas zu entspannen. Die Distanz zwischen Arbeitsplatz und Wohnung stellt für Schindler auch ein willkommenes Hindernis dar, an Wochenenden das Büro aufzusuchen, obwohl dies leider manchmal doch vonnöten sei.
Während unserer Hausbesichtigung fällt uns auf, dass Ästhetik eine zentrale Rolle bei der Hauseinrichtung spielt. Selbst in der Bibliothek scheinen die Bücher optisch, in Farbe und Form, aufeinander abgestimmt zu sein. Dank der Beleuchtung und einigen kleineren Skulpturen und Figuren in ein, zwei Regalabteilen wirkt die hauseigene Bibliothek fast ein bisschen wie ein Museum. «Bei den Büchern ist mir – neben dem Inhalt – auch eine schöne Optik sehr wichtig. Form und Inhalt müssen zueinander passen.»
Auffallend ist, dass in der Bibliothek des Juristen keinerlei Fachliteratur zu finden ist, dafür entdecken wir aber Harry-Potter-Bücher. «Manche mögen es als kindisch bezeichnen. Aber ich mag Harry Potter.» Schindler verrät uns, dass auch seine Zeit in Oxford seine Faszination für Harry Potter genährt hat. Wir finden das sympathisch und wollen wissen, wieso das Buch für ihn so besonders sei. «Ich liebe es, am Abend vor dem Einschlafen meinen Kindern vorzulesen. Derzeit lese ich ihnen Harry Potter vor und der entführt uns für kurze Zeit zu gemeinsamen Abenteuern nach Hogwarts.»
Die Familie, vor allem die Kinder, scheint bei jeder Freizeitbeschäftigung von Schindler eine grosse Rolle zu spielen. So gehört auch der Garten zu den Hobbys des Juristen. Die Gartenarbeit verschaffe ihm den nötigen Ausgleich zur Universität und ermögliche es ihm auch gleichzeitig, Zeit mit seinen drei Kindern, Seraphine (7), Josette (5) und Fridolin (2), zu verbringen. «Wenn ich und mein grüner Daumen mit dem Gärtnern beschäftigt sind, helfen die Kinder entweder mit oder spielen im Garten.» Früher, bevor die Kinder auf der Welt gewesen seien, hätte er auch mal in seiner Freizeit Sport getrieben, doch heute sei seine gesamte Aufmerksamkeit auf seine Sprösslinge gerichtet.
Die letzte Station unseres Hausrundgangs stellt eine kleine Toilette im ersten Stock des Hauses dar. «Mir ist auch ein schön eingerichtetes WC wichtig», erklärt uns der Hausherr sichtlich amüsiert und fügt hinzu, dass es zu seinen Lieblingsorten im Hause gehört. Wir gestehen, auch uns gefällt der kleine Raum mit dem Klosett. Mit den vielen Bildern an den Wänden wirkt es nämlich fast so gemütlich wie ein kleines Wohnzimmer. Nebenbei erfahren wir, dass die Bilder Erinnerungsstücke aus all jenen Orten sind, die Schindler für kurze oder längere Zeit bewohnt hat. So schmückt zum Beispiel ein kleiner Stich vom Schlosspark in Schwetzingen, einem beliebten Ausflugsziel der Schindlers aus der Heidelberger Zeit, den kleinen Raum. «Ich muss hinzufügen, dass die Wichtigkeit eines Ortes für mich nicht nur mit dem Optischen zu tun hat. Die Atmosphäre im Allgemeinen spielt dabei eine viel grössere Rolle. Gestern beispielsweise, als die Kinder im Bett waren, habe ich die Birnen aus unserem Garten geschält und mit Rotwein und Zimt eingekocht. Dazu habe ich an einem Glas Rotwein genippt und klassische Musik gehört. In solchen Momenten wird auch die Küche zu einem meiner Lieblingsorte.»
Nebst der Kunst spielt auch die Musik eine herausragende Rolle im Hause Schindler, dies verrät nicht nur das schwarze, von der Abendsonne beschienene Klavier im Wohnzimmer; auch seine beiden Töchter Seraphine und Josette verraten uns, dass sie im Chor singen, Geige spielen und wüssten, wer Mozart ist. Der einstige Cellospieler Benjamin Schindler selbst hört sehr gerne klassische Musik, wobei er auch von Jazz angetan ist. «Ich mag es, im Wohnzimmer am Abend noch etwas Musik zu hören», fügt er hinzu.
Zu guter Letzt erhalten wir noch ein Gläschen Weisswein, selbst gemachtes Gebäck und die Möglichkeit zu etwas Smalltalk. Wir bedanken uns herzlichst.
Zu Prof. Benjamin Schindler
Geboren: 24.07.1971
Hobbys: Garten, Zeit mit der Familie verbringen, Kochen
Lieblingsgericht: Italienische Küche
Lieblingsmusik: Klassische Musik und Jazz
Lieblingsbücher: Der Mann ohne Eigenschaften und Harry Potter
Wachstum ist der Treiber des Kapitalismus. Das scheint eine Tatsache zu sein, die dem Durchschnittsbürger bekannt ist. Wachstum vergrössert das BIP, was sich wiederum positiv auf unseren Wohlstand auswirkt. Dozierende und Gastreferenten an unserer Universität verweisen in ihren Vorlesungen früher oder später auf die Wachstumsrate, egal ob in ökonomischem oder betriebswirtschaftlichem Zusammenhang.
Doch dreht sich unser Wohlergehen wirklich nur um das Wachstum? Der «Club of Rome» veröffentlichte schon 1972 den berühmten Bericht «The Limits of Growth», in welchem er die Grenzen des Wachstums auf unserem Planeten anhand von zwölf möglichen Szenarien aufzeigte. Es wurde vorausgesagt, dass innerhalb des 21. Jahrhunderts die Wachstumsgrenze erreicht wird, wenn die fünf Variablen Zunahme der Weltbevölkerung, Industrialisierung, Umweltverschmutzung, Ausbeutung natürlicher Ressourcen sowie die Nahrungsmittelproduktion unverändert bleiben.
Nun, 40 Jahre später, ist von den zwölf vorgestellten Szenarien das mittlere eingetreten. Die Menschheit ist weitergewachsen und unser Konsum hat sich nochmals deutlich erhöht. Obwohl der durchschnittliche Wohlstand gestiegen ist, sieht sich die Erdbevölkerung mit grossen Problemen konfrontiert. Klimawandel, eine immer grösser werdende Schere zwischen den Reichsten und den Ärmsten und die Nahrungsmittelknappheit in bestimmten Regionen sind nur einige davon. Zum Jubiläum des Berichts «The Limits of Growth» veröffentlichte der Co-Autor Jorgen Randers das Buch «2052 — A Global Forecast for the next Forty Years». In diesem Buch erörtert er, auf welchem Weg sich die Menschheit befindet, und versucht eine Voraussage zu treffen, wie 2052 die Welt aussehen wird.
Eine Hauptaussage des Buches ist, dass die Menschheit sehr kurzfristig zu denken scheint und von nachhaltigem Handeln vielerorts noch weit entfernt ist. Jorgen Randers sieht die Problematik des kurzfristigen Denkens vor allem in den dominanten Systemen unserer Zeit, im Kapitalismus und der Demokratie. Beide Systeme lassen es nicht zu, dass man langfristig denkt: Im Kapitalismus sind Zinssätze und Ertragsraten für die nächsten fünf Jahre relevant und bei demokratischen Wahlen und Entscheidungen steht auch die nahe Zukunft im Vordergrund.
Jorgen Randers geht sogar so weit zu sagen, dass man sich von der Demokratie lösen müsse, um wahre, nachhaltige Entscheide treffen zu können. Im Gegensatz zu Jorgen Randers sieht Ian Johnson, Generalsekretär des Club of Rome, die Lösung aber nicht darin, vom demokratischen System wegzukommen, sondern es zu verbessern. Inspiriert wurde Ian Johnson durch einen kanadischen Indianerstamm. Dieser hatte neben gewählten Vertretern des Stammes immer eine fixe Zahl von Stammesältesten, welche explizit dafür verantwortlich waren, dass die gefällten Entscheide auch langfristig von Bedeutung sind. Ähnlich könnten auch die demokratischen Systeme in der westlichen Welt verbessert werden: Denn wenn beispielsweise 20 Prozent der gewählten Parlamentarier bloss für die Nachhaltigkeit und Langfristigkeit von Entscheiden verantwortlich wären, würde auch der Rest des Parlaments drastisch beeinflusst und viele kurzgedachte politische Entscheide wären nicht mehr möglich.
Für das kurzfristige Denken des Kapitalismus hat Ian Johnson ebenfalls eine Lösung bereit. Man soll den öffentlichen Sektor und den privaten Sektor zusammenziehen, wie es noch nie getan wurde. In diesem System, das weder Sozialismus noch Kommunismus ist, soll man den Wert von öffentlichen und privaten Gütern gleichermassen hochhalten und diese schliesslich zusammenbringen. Beispielsweise sollen die Unternehmen die Möglichkeit haben, durch langfristige Kredite vom Staat ihre Entscheide nachhaltiger zu gestalten. Häufig liegen nämlich den kurzfristigen Entscheidungen von Unternehmungen auch kurzfristige Kredite aus dem privaten Sektor zugrunde.
Weiter meint Ian Johnson, dass der Staat klare Rahmenvorgaben für die Wirtschaft machen sollte, in denen die Unternehmungen frei handeln könnten. So könnte zum Beispiel der Emissionsproblematik entgegengewirkt werden: Der Staat könnte festlegen, wie viel CO₂ die Wirtschaft im Ganzen ausstossen darf. Unter diesem Dach würden dann ebenfalls die Mechanismen des freien Marktes zum Zuge kommen und man könnte mit den Emissionen handeln.
Was es auf jeden Fall braucht, ist ein Wechsel in der Art und Weise, wie wir die Dinge betrachten. Auch sollte der Staat nicht mit der Regierung gleichgesetzt werden, sondern mit der Bevölkerung. Schliesslich sind die implementierten Lösungsansätze auch zum Wohle der Bevölkerung unseres Planeten und nicht zum Wohle einer Regierung. Man muss auch wegkommen von reinen Staatseingriffen und vermehrt die Verantwortung Semi-Regierungs-Organisationen übertragen. Schon heute existieren solche, so zum Beispiel die Nationalbanken. Sie sind in der breiten Bevölkerung viel akzeptierter. Der Vorteil ist, dass sie klar Verantwortung übernehmen müssen, zugleich jedoch eine unabhängige Institution darstellen. Ian Johnson sieht in dieser Verbindung des öffentlichen und privaten Sektors die Zukunft und rät deshalb, in dieser Richtung zu experimentieren.
Durch solche Institutionen soll auch den externen Effekten entgegengewirkt werden, die in der jetzigen Privatwirtschaft durch rein betriebswirtschaftliche Entscheidungen entstehen können. Es gilt zu verhindern, dass ein Unternehmen zugunsten kurzfristiger Gewinne Massenentlassungen durchführt. Die gesamtwirtschaftlichen Folgen solcher Massnahmen sind immens, wenn man daran denkt, dass diese Entlassungen die Sozialwerke belasten und moralisch problematisch sind. Hätte sich das Unternehmen in einer Form für diesen externen Schaden zu verantworten, würde es diese Massnahme sicherlich überdenken.
Die Thematik mit den externen Effekten hat auch mit der Hauptproblematik des Wachstums zu tun: nämlich das Wachstum des BIP nicht mit einem Wachstum des Wohlstandes gleichzusetzen. Beispielsweise werden pro Tag vier Trillionen Dollar an Devisen gehandelt, was die Wachstumsziffer drastisch verfälschen kann, da kein eigentlicher Mehrwert entstanden ist. Ebenso ist es trügerisch, wenn ein Entwicklungsland hohe Wachstumszahlen schreibt, weil grosse Waldflächen gerodet wurden und das Holz teuer exportiert werden konnte. Was nicht Einzug in die Buchhaltung findet, sind die vielen externen Effekte, wie zum Beispiel die Beschädigung des gerodeten Landes. Langfristig gesehen sinkt so der Wohlstand des Landes, obwohl die kurzfristige Wachstumsziffer anderes vermuten lässt.
Oftmals muss man deshalb die ursprünglichen Wachstumsziffern bei Ländern nach unten korrigieren, weil durch die wirtschaftliche Tätigkeit gesellschaftlicher oder ökologischer Schaden entstanden ist. Für den Wohlstand ist schliesslich nicht bloss das Wirtschaftsjahr verantwortlich, sondern auch Gesundheit oder eine intakte Umwelt. Der «Club of Rome» rät deshalb den Nationen mit kleineren Wachstumszahlen zu wachsen, ohne jedoch ihr Wachstum durch negative externe Effekte zu verfälschen. Doch bevor die Bevölkerung überhaupt für solche Fragen bereit ist, muss die globale Politik mehr Jobs schaffen. Denn Ian Johnson ist sich sicher, dass man erst über langfristige Fragen wie die Wachstumsproblematik oder den Klimawandel diskutieren kann, wenn die gesamte Bevölkerung die Möglichkeit hat, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen.