Profs privat: Christoph Frei

«Manchmal ist der Weg tatsächlich so gut wie das Ziel»

Was uns wohl bei ihm, dem vielerorts gelobten Professor im Bereich International Affairs, erwarten wird? Wuchernde Pflanzen, Wände voller Bilder aus aller Welt, Berge von Büchern über Politik? Gespannt steigen wir die Treppe hoch, nachdem wir endlich das richtige Haus gefunden haben. Herr Frei erwartet uns in der offenen Tür mit einem Angebot zum Kaffee. Auf dem Weg zum Wohnzimmer stellt er uns zunächst einmal «Nelson» vor: eine schmale, hohe Holzfigur, die er in Südafrika gefunden hat. Nelson sei fast immer gut gelaunt.

Das Wohnzimmer ist dank der vielen Fenster und der zwei Erker angenehm hell, alles ist sehr ordentlich, mit stilvollen Mobilien ausgestattet und mit wenigen – dafür umso besser zur Geltung kommenden – persönlichen Noten versehen. Neben Nelson hängt beispielsweise ein grosses Bild im Wohnzimmer. «La monarchie fatiguée» nennt es sich (von Alain Gazier) und ist bleibende Erinnerung an einen fast siebenjährigen Lebens- und Forschungsaufenthalt in Paris.

Von der Klosterschule an die HSG

Christoph Frei wurde 1960 geboren und ist im Kanton Thurgau mit vier Geschwistern aufgewachsen. Nachdem der Vater früh verstorben war – Christoph war damals gerade zwei Jahre alt –, verliess die Familie den grossen Bauernhof. Im Alter von 13 Jahren trat der Jüngste, wie seine Brüder vor ihm, in eine Klosterschule ein; es folgten sieben Jahre klassisch-humanistischer Ausbildung. Anschliessend studierte er an der HSG Staatswissenschaften – jene interdisziplinär angelegte Studienrichtung, die heute «International Affairs» heisst.

Haustiere sind nicht zu sehen, Kinder auch nicht. Ist er verheiratet? – Fast. In diesem Frühling geniesst der Professor tatsächlich seine letzten Tage als Lediger: Im Juli wird er seine Partnerin im engsten Kreis heiraten. «Michi» nennt er sie liebevoll und erwähnt mehrfach Anekdoten und Erlebnisse, die er mit ihr teilen durfte – und kommt darob ins Schwärmen.

Als Grossfamilie gemeinsam verreisen

Die Tatsache, dass Christoph Frei reichlich spät heiratet, bedeutet nicht, dass ihm familiärer Zusammenhalt nicht wichtig wäre – im Gegenteil: «Meine eigene Familie ist ein Glücksfall gewesen; noch heute zählen Mutter, Schwester und Brüder gewissermassen zum engeren Freundeskreis. Wir haben und wir pflegen diesen Zusammenhalt.» Jeden Sommer fährt die Grossfamilie mit Sack und Pack zusammen weg. «Das sind ruhige, gute Tage.»

Früher war Frei «fast ungesund sportlich» (Tennis, Squash, Fussball etc.), heute lässt er es ruhiger angehen, geht aber immer noch gerne zum Schwimmen, im Sommer zum Golfen, im Winter zum Curling. Die Begeisterung für Sport hat er von der Zeit in der Klosterschule: «Nur zwei Beschäftigungen gab es dort: das Studium – und eben Sport.» Überhaupt habe ihn die Klosterschule als Person nicht unwesentlich geprägt: «Vor allem bin ich dankbar für einen ziemlich gut verankerten Fundus, auf den ich bei Bedarf zurückgreifen kann.» – Wie hält er es mit der Religion? «Ich stehe zu meiner religiösen Heimat, selbst wenn im Laufe der Zeit auch in dieser Hinsicht neue Erfahrungen und Denkhorizonte hinzugekommen sind.» Viele Reisen haben offenbar nicht nur die Ausstattung der Wohnung geprägt, sondern auch die Wertetafel unseres Gastgebers.

Reisen macht dankbar

In ruhigen Stunden hält er sich am liebsten in der helleren Ecke des Sofas im Wohnzimmer auf und liest dort gern die NZZ, den Economist oder den New Yorker. Das Lesen, aber auch das Sammeln von Büchern sei ihm eine Leidenschaft; vieles warte noch auf die Lektüre. Eine andere Leidenschaft bleibt auch weiterhin das Reisen. Über viele Jahre hinweg investierte Frei wesentliche Teile seiner freien Zeit in ausgedehnte Exkursionen und Aufenthalte in allen Ecken der Welt. «Reisen relativiert, es bereichert, es macht bescheiden und vor allem dankbar» – nicht allen ginge es so gut wie uns.

Zum Begriff der Leidenschaft hat Christoph Frei offenbar einen vertrauten Bezug: «Sie zeigt sich auch und vor allem dort, wo man sich in einer Tätigkeit verliert, wo selbst die Zeit zur Nebensache wird.» Neben Büchern und Reisen nennt er das Schreiben, aber auch die Lehre, im Sinne aktiver Auseinandersetzung und Kommunikation, als solche «Leidenschaften». In eine Doktorarbeit zum deutsch-amerikanischen Realisten Hans J. Morgenthau hat er seinerzeit fast fünf Jahre investiert («jede Stunde davon hat sich gelohnt»), später arbeitete er über Jahre hinweg in französischen Bibliotheken und Archiven. Karrieretechnisch sei das nicht wirklich effizient gewesen – beglückend aber schon. «Manchmal ist der Weg tatsächlich so gut wie das Ziel.»

Kopf- vs Feuermensch

Wer diese Art von Leidenschaft verspürt, kennt keine Probleme mit Motivation. Frei bezeichnet sich selber als «privilegierten Menschen». Überhaupt ist «privilegiert» ein Wort, das immer wieder fällt. Der Begriff der «Work-Life-Balance» will Christoph Frei dagegen gar nicht gefallen; für ihn sind beide Dinge nicht trennbar. Er habe das Glück, «Work» und «Life» nicht gegeneinander ausspielen zu müssen. Dennoch ist er froh um Michi, die ihn hin und wieder darauf aufmerksam macht, dass es noch «andere schöne Dinge» im Leben gibt.

Zuhause wird auch schon mal gestritten. Während der Professor jeweils nach logischen und belegbaren Argumenten sucht, beruft sich Michi – eine klassisch ausgebildete Sängerin – fast immer auf ihr Bauchgefühl: «Ich bin ein Feuermensch, du bist ein Kopfmensch, das ist dein Pech.» Aber auch diese Konstellation sei «interessant», solche Diskussionen führten mithin zu gänzlich neuen Perspektiven – und sie relativierten die eigene Sichtweise auf gesunde Art.

Theorie und Praxis

Immer wieder hat Frei in der Privatwirtschaft gearbeitet. «Im Rahmen der eigenen Biografie relativieren diese Erfahrungen wesentlich die Bedeutung des akademischen Bereichs; mein Zugang zur Wissenschaft ist kaum repräsentativ für die HSG.» In diesem Zusammenhang fasst er zusammen: «Vor allem im Vergleich mit jüngeren Kollegen bin ich sicher ein untypischer Fall.» Ein Grenzgänger zwischen etablierten Disziplinen, ein Wanderer aber auch zwischen Theorie und Praxis. Kein Wunder, dass er sich heute gerade auch dort einsetzt, wo es um den «Praxisbezug» an der HSG geht. Professor Frei respektiert den Spezialisten und weiss um dessen Wert und Funktion, selber aber kultiviert er seit 25 Jahren das Überschreiten fachlicher Grenzen und wünscht sich auch von den Studierenden, dass sie nach Kräften über den eigenen Tellerrand hinausschauen: «In dieser Hinsicht sollten Sie all die wunderbaren Möglichkeiten nutzen, die Ihnen unsere Universität heute bietet, angefangen mit dem grossen Austauschangebot.» Professor Frei rät: «Studieren Sie Ihren Interessen nach, testen Sie Möglichkeiten aus, erwägen Sie stets auch Alternativen, und nehmen Sie die Wahl dieser oder jener Vertiefungsrichtung nicht zu ernst!» Wichtig sei die Methodik, das solide Erlernen des Handwerklichen: «Das können Sie immer und überall nutzen.» Gute Noten, die Wahl des Studienortes, die fachliche Vertiefung: All dies seien ja nur Teile einer umfassenden Ausbildung der eigenen Persönlichkeit. Andere profilierende Elemente müssten hinzukommen – und nicht alles davon lasse sich an der Uni finden.


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*