Sardellen für gratis Trinkspass

Die Zukunft der HSG wird oft diskutiert. Kaum Beachtung erhält indes die Vergangenheit. Deshalb wagt das prisma mit dem Zeitzeugen Jürg Widmer, meinem Grossvater, den Blick hinter die Kulissen der HSG vor mehr als 50 Jahren.

Das Funkeln in seinen Augen werde ich nie vergessen. Die Freude und den Stolz wollte er der ganzen Welt mitteilen. Mein Grossvater, selbst HSG-Alumnus, war begeistert von meiner Entscheidung an der Universität St. Gallen den akademischen Abschluss zu machen. Selbst stolzer Absolvent der HSG und immer noch Mitglied der Alumini wurden bei ihm alte Erinnerungen an seine Studienzeit wach. So erzählte er, dass man sich bloss für Russisch einschrieb, weil die Professorin berühmt berüchtigt dafür war, später noch etwas mit ihren Studenten trinken zu gehen. Besonders in Erinnerung geblieben ist meinem Grossvater jedoch der Ausflug nach Paris, organisiert von der französischen Handelskammer. Diese einmalige Gelegenheit erhielt er aufgrund der Zimmervermittlung für Studenten, welche er organisierte. Generell war mein Grossvater sehr aktiv, nebst dem Engagement in akademischen Klubs, war er bei der damaligen Skriptekomission tätig. Dieses Engagement wurde von den Dozenten sehr geschätzt.

Früher war alles familiärer

Ob früher alles besser war, sei dahingestellt. Dass es jedoch an der HSG familiärer zuging, steht ausser Frage. Dies ist bei einer Studentenschaft von 900 Personen im Vergleich zu den heutigen über 8000 Studenten selbstverständlich. Das familiäre Feeling war vor allem vom engen Kontakt zu den Dozenten geprägt. Die Professoren kannten ihre Studenten beim Namen. Aufgrund des Testat-Heftchens, eine Art Anwesenheitsbüchlein, war der persönliche Kontakt gewährleistet. So mussten Studierende jeweils vor und nach der Stunde beim Dozenten eine Unterschrift einholen. Dass heisst jedoch nicht, dass von den Studenten immer alle Vorlesungen besucht wurden. Die Vorlesungen jener Dozenten, die nichts als ihre eigenen Bücher zitierten, wurden oft durch Jasskarten und Bier ersetzt. Unersetzlich waren hingegen die Einladungen der Dozenten und einmal sogar des Rektors Walter Adolf Jöhr zum gemeinsamen Schneewandern im Toggenburg.
Genauso gang und gäbe waren andere Veranstaltungen mit den Dozenten. So konnten die Studenten unkompliziert mit den Professoren ein Schwätzchen halten. Zu politischen Diskussionen wurde von einem Professor namens Kurt Furgler geladen. Furgler wollte damit seine Popularität steigern, um dann später Bundesrat werden zu können. Damals war es auch möglich, sich einen Spass mit einem Professor zu erlauben und dessen Frau zu entführen. Die Professoren waren jedoch nebst witzig und ehrgeizig auch weise. So riet der spätere Rektor Willi Geiger meinem Grossvater vom Doktorieren ab. Begründung: Er sei ein Praktiker. «Dass kann nur einer sagen, der einen kennt», meinte mein Grossvater dazu. Gerechtigkeit war ein anderer Wesenszug vieler Dozenten. So gingen viele Professoren gezielt gegen Herablassungen vor. Einige seien sogar sozial gesinnt gewesen. Leibhaftig erinnert sich mein Grossvater an den krawattenlosen Professor. «Das war damals eine Revolution», beschreibt Widmer diese Entscheidung des Dozenten.
Doch nicht nur das Studium war viel familiärer, als dies heute der Fall ist. Auch das Wohnen war von heimeliger Vertrautheit geprägt. So lebten viele Studenten, die nicht aus der Ostschweiz stammten, bei sogenannten Schlummermüttern. Sie halfen diesen älteren Damen im Haushalt und erhielten dafür Kost und Logis umsonst. Wohngemeinschaften wie es sie heute gibt, waren grösstenteils inexistent.

Charakteristiken überleben die Zeit

Der Ruf der HSG als Eliteuniversität ist nicht erst seit gestern etabliert. Schon in den 60er-Jahren war die HSG sehr renommiert. Jürg Widmer, Student der HSG in den 60ern, hatte damals die Wahl zwischen der Universität Bern und der HSG. Andere Universitäten boten seinen gewünschten Studiengang, namens Rerum publicarum, nicht an. Die Universität seiner Heimatstadt war ihm zu gewöhnlich und der exzellente Ruf der Hochschule überzeugte ihn viele Kilometer entfernt von seiner Heimatstadt zu studieren. Der überdurchschnittlich hohe Ausländeranteil an der HSG war schon dazumals gegeben. Es waren vor allem norwegische Staatsangehörige, die an der HSG studierten. Deutsche und Österreicher waren eher selten.
Neben dem Ruf der HSG hat sich auch das blühende Vereinsleben derselben gehalten und sogar noch weiter entwickelt. Den Akademischen Klub, dem mein Grossvater angehörte, gibt es indes nicht mehr. Lebendig ist der Klub allein noch in den Köpfen der ehemaligen Mitglieder: «In der nicht farbentragenden Verbindung zahlte damals derjenige, der zuerst unter dem Tisch lag», erzählte Widmer. Er fuhr fort, dass darum die Studenten auf der Toilette Sardinen verspeisten und so mehr zu trinken vermochten. So war ihnen der Trinkspass umsonst gewährleistet. Dafür sorgten jedoch auch teilsweise Prof. Dr. Kaufmann und seine Frau, indem sie die Ausflüge des akademischen Klubs mit Getränken belieferten. Der Steuerrechtsprofessor verfolgte damit aber keine materialistischen Ziele. Seine Motivation war eine intrinsische: Begeisterung für diese Verbindung.

Ohne Technik geht`s auch

Mit den Computern im Keller anstatt auf den Tischen ist digitales Arbeiten schwer. Natürlich gab es in den 60er-Jahren bereits die ersten Computer, jedoch waren diese nur für Spezialisten gedacht. Für die Notizen wurde deshalb auf Schreibmaschinen zurückgegriffen. Diese waren jedoch nicht in jedermanns Besitz. Jürg Widmer hatte das Glück die seines Grossvaters zu besitzen. Mit seiner «Hermes Baby» konnte er schnell und einfach die zentralen Punkte der Vorlesung festhalten. Die während den Seminaren verteilten Blätter wurden ebenfalls mit Hilfe von Schreibmaschinen erstellt. Ansonsten gab es keine auch nur annähernd technische Hilfsmittel. Die Professoren schrieben auf die Tafel oder erzählten frei, fast so, wie es sich viele von uns aus der Primarschule gewohnt sind. Auch für den Umzug auf den Rosenberg im Jahr 1963 wurde auf Menschenkraft gesetzt. So schleppten Studenten die Kisten von der Stadt auf den Hügel. Dafür wurde ein Umzug-Komitee gegründet. Monetär entlohnt wurden die Studenten zum Dank indes nicht. Dafür gab es eine Einladung zum Essen.
Die fehlende Technik sowie die massiv kleinere Anzahl an Studenten machten ein Bidding nicht nötig. Eine Startwoche gab es nicht und das Assessmentjahr erst recht nicht. Das heisst jedoch nicht, dass sich die Studenten nicht beweisen mussten. Die HSG galt als strenge Hochschule, während viele andere Universitäten ziemlich leger waren. So war es Jürg Widmer auch nicht möglich, sich wie im Gymnasium kaum mit der Materie zu beschäftigen. «Mein Vater sah an der HSG eher als im Gymnasium, ob ich etwas machte», meinte Widmer dazu. Aufgrund seiner eher faulen Art im Gymnasium wurde er auch als beinahe Klassenschlechtester von seinen damaligen Mitschülern belächelt als er kundgab, dass er an der HSG studieren werde. Abgeschlossen hat der pensionierte Steuerrevisor dennoch ziemlich anständig. Anhand dieses Beispiels zeigt sich der hohe Stellenwert eines Abschlusses der HSG in der Wirtschaftswelt.


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