Lieber Herr Beschorner, liebe Frau Meckel: Die Studierenden lassen sich keinen Bären aufbinden

In ihrem Gastbeitrag im St.Galler Tagblatt zeichnen Prof. Dr. Thomas Beschorner und Prof. Dr. Miriam Meckel ein düsteres, hoffnungsloses Bild der Studierenden der HSG, welche sich nach der Ablehnung der Namensänderung ihrer «Studentenschaft» einer reaktionären, männlichen Realität verschrieben hätten. Ein Gegenkommentar.

Illustration: Larissa Streule

Mein Name ist nicht Maximilian. Auch fahre ich nicht saisonbedingt verschiedene Autos. Lieber lasse ich mich fahren. Aktien handle ich per se nur auf dem Rohstoffmarkt. Gegen Normalverdiener habe ich nichts, denn sonst gebe es die Linken nicht. Das wäre eine Tragödie, denn ohne die Linken hätten die Freisinnigen weniger Auftrieb. Eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit liegt mir fern; das wäre schlecht fürs Business. Und ja, ich bin zufälligerweise ein Mann. Ein neoliberaler, unreflektierter, überheblicher, chauvinistischer HSG-Student – Teil der dominierenden, frauenunterdrückenden 65 Prozent an der Universität St.Gallen. «Was läuft mit dem Typen falsch?», plärren Sie empört. Recht haben Sie!

Wenn man sich den Gastbeitrag von Prof. Dr. Thomas Beschorner und Prof. Dr. Miriam Meckel im St.Galler Tagblatt vom 17.03.2021 so durchliest, gewinnt man aber genau den oben geschilderten Eindruck einer verlorenen männlichen «Elite», welche Themen aus den «Gender Studies» lediglich an stammtischähnlichen Zusammenkünften in einem despektierlichen Kontext verwendet, um sich über die Situation im «ehelichen» Haushalt zu beschweren. Nach der Lektüre habe ich fast schon begonnen, meine Integrität und eigene Identität in der allgemein bekannten, auf dem Rosenberg vorherrschenden «HSG-Bubble» zu hinterfragen.

Notabene: Der Artikel wurde von einer Professorin und einem Professor der Universität St.Gallen selbst geschrieben. Von Personen, die an unserer Universität lehren, forschen und damit regelmässig mit den unterschiedlichsten Studierenden in Kontakt kommen. Sich in interessanten Diskursen, Unterhaltungen und Debatten vertiefend mit den verschiedensten Meinungen auseinandersetzen. Das zumindest ist meine Vermutung und umso entfremdender erscheint mir der Gastbeitrag. Selber habe ich bisher noch keinen Kurs bei den beiden Ordinarien besucht; habe dies auch nicht vor, denn sonst könnte ich diesen Kommentar nicht schreiben.

Vermeintliche Zerschlagung eines gordischen Knotens

Begeben wir uns auf eine Reise zurück in die Vergangenheit: Komischerweise nahm alles seinen Anfang mit einem Maximilian. Oder wohl eher mit Max G. (Name der Redaktion bekannt), so zumindest hat das St.Galler Tagblatt die Identität dieses HSG-Studenten verschleiert – oder sollte ich eher «zensiert» sagen? Als verschmähter Ritter in goldener Rüstung auf dem weissen Ross, kam unser Kommilitone zur Zerschlagung des gordischen Knotens daher geritten. Weniger um die Herrschaft über Asien zu erlangen, sondern eher, um die HSG vor dem unvermeidlichen Untergang zu retten. Nach einer angeblichen «Zensur» durch das prisma – eines inhaltlich «faktisch nicht korrekten» Artikels – wandte sich Max schamlos jener Stelle zu, die sich durch eine noch grössere Polemik als seine eigene auszeichnete: dem St.Galler Tagblatt.

Eine solche Handlungsweise war und ist nach wie vor dem mittlerweile durch die Abstimmung ein vorübergehendes Ende ereilten Diskurs nicht dienlich, sondern politischer Aktionismus. Entschuldigen Sie die klaren Worte, aber das geht den Leuten mit der Zeit einfach nur noch auf den Sack.

Schlussendlich hatte Max genug Unterschriften gesammelt, um eine Urabstimmung zur Namensänderung der «Studentenschaft» zu erreichen. Es wäre übrigens ohne die medienwirksame Einmischung und die meisterhafte Selbstdarstellung von Max G. unweigerlich zu einer Abstimmung zu diesem Thema gekommen, da sich das Studentenparlament für eine neutrale Bezeichnung im Universitätsgesetz entschieden hatte, um genau dieses Thema den Studierenden zur Abstimmung vorzulegen. Man konsultiere hierzu die einschlägigen Protokolle.

Eine Waffe gegen die Resignation

Was rufen Sie mir da hinter Ihrem bläulich schimmernden Bildschirm zu? Die anekdotische Erwähnung des maximilianischen HSG-Stereotyps war von Herrn Beschorner und Frau Meckel nur halb ernst gemeint? Da haben Sie wohl Recht, wobei ich mir da nicht ganz sicher bin. Damit füttern die beiden Ordinarien jedoch genau den «Qualitätsjournalismus» von heute; jene journalistische Zyste, die sich seit Jahren der unreflektierten, einseitigen Berichterstattung über die HSG verschrieben hat. Sie tragen einen Beitrag für das «hauptsache-die-HSG-bashen-um-der-Klicks-willen»-Prinzip eines preisgekrönten Ostschweizer Mediums.

Das Meme um Maximilian ist gerade deshalb so populär, weil es fern der Wirklichkeit liegt – unzweifelhaft mit wenigen Ausnahmen. Es ist das Zeichen einer Gemeinschaft von Studierenden, die es leid ist, ständig mit diversen unrealistischen Stereotypen in Verbindung gebracht zu werden. Es ist das Zeichen einer Rebellion gegen die mittlerweile von eigenen Professoren übernommenen Meinungshaltungen gegenüber ihren eigenen Studierenden. Deshalb wird das Bild des «typischen» HSG-Studenten in der Erscheinung des Maximilians so gefeiert und trotzdem sehen wir es als das, was es ist: Einen vermaledeiten Witz. Eine Waffe gegen eine einsetzende Resignation.

«Studierende haben sich einen Bärendienst erwiesen»

Die Wahlbeteiligung von mageren elf Prozent sei keine Entschuldigung, sondern Ausdruck der Gleichgültigkeit. Gleichzeitig sei es offensichtlich, dass «gendern» für Maximilian «irrelevant» sei. Wie die beiden Ordinarien auf letzteres kommen, erscheint schleierhaft. Fakt ist: Herr Beschorner und Frau Meckel ist entgangen, dass sich die Mehrheit der Studierenden für eine Abänderung sämtlicher Reglementarien in eine genderneutrale Sprache ausgesprochen haben. Das alleine schon zeugt davon, dass den HSG-Studierenden Diversität und Inklusion wichtig sind.

Im Rahmen des demokratischen Abstimmungsprozesses hat eine Mehrheit der Studierenden sich dafür entschieden, den Namen «Studentenschaft» beizubehalten. Der Rest, der nicht abgestimmt hat, hat sich – das lässt sich durchaus sagen – implizit für eine Gleichgültigkeit entschieden. Damit vermutlich auch ein Grossteil der Studentinnen, welche insgesamt 35 Prozent an der HSG ausmachen und mit einer Leichtigkeit bei der geringen Wahlbeteiligung hätten den Ausschlag zur Umbenennung in «Studierendenschaft» geben können. Das mag bedauerlich sein, aber direkt von einer «frauenfeindlichen» Universität zu sprechen und die Beibehaltung des Status Quo für die Erhöhung des Frauenanteils an der HSG als nicht förderlich zu bezeichnen, ist nicht nur reine Spekulation, sondern scheint einem Wolkenkuckucksheim entsprungen zu sein. Niemand in der Geschichte der Universität St.Gallen, der sich aufrichtig für ein hiesiges Studium interessiert hat, hat ernsthaft nach einem Blick auf den Namen der studentischen Dachorganisation, der «Studentenschaft», die Beine in die Hand genommen und ist an die WHU geflüchtet.

Wenn jetzt Personen von hohem Status extern wie intern den Finger auf die Studenten der HSG – den männlichen Maximilian – richten und behaupten, es werde eine maskuline, reaktionäre Realität auf dem Rosenberg reproduziert, dann erscheint eines ganz klar: Jene, die uns eine solche Realität unterjubeln wollen, sind Sie. Geschätzter Herr Beschorner, geschätzte Frau Meckel, wir haben uns «mit diesem Entscheid keinen Bärendienst erwiesen», sondern wir lassen uns erst gar keinen Bären aufbinden.

Dem moralischen Imperativ verfallen

Gleichgültigkeit hin oder her. Die ganze Causa zur Namensänderung zeigt auch das, was wir Studierende schon lange wussten. Die «Studentenschaft» als Organisation geht leider Gottes mindestens 89 Prozent der Studierenden am Podex vorbei. Es gibt viele unter uns, die bis zum Ende ihrer studentischen Karriere nicht einmal mit der «Studentenschaft» in Kontakt gekommen sind, geschweige denn diese bewusst wahrgenommen haben. Das ist ein Problem, mit welchem die «Studentenschaft» als Organisation seit Jahren zu kämpfen hat.

Die Studierenden wählen die Gleichgültigkeit wohl aus praktikablen Gründen. Die tatsächliche Realität liegt nicht im Namen der Dachorganisation aller Studierenden, sondern sie läuft auf dem Campus ab. Sie obwaltet in Gruppenarbeiten und -präsentationen. Sie geschieht im Ausgang, im adhoc, im Meeting Point, in der Stadt oder in irgendeiner der zahlreichen Studentenwohnungen. Man trifft sich in den Vorlesungen, trinkt während der Pause zusammen einen Kaffee, gönnt sich das «vorzügliche» Mensaessen, führt unglaublich viel Smalltalk und lernt die unterschiedlichsten Leute aus aller Welt kennen. Da verstehen die Schweizerinnen und Schweizer sich plötzlich mit den Deutschen. Kulturelle Differenzen werden überwunden. Die tatsächliche Realität liegt im Puls, der auf unserem kleinen Campus an unserer überschaubaren, familiären Universität schlägt. Darum ist die aktuelle Lage auch eine absolute Tragödie für unser aller Leben. Und vor allem ereignet sich in dieser Realität das, was in einem Gastbeitrag im St.Galler Tagblatt unserer Universität aberkannt wurde: Inklusion und Diversität. Die Plätze im Audimax sind bereits genug eng – auch ohne übertriebenes Manspreading.

Es scheint mir, als würden einige Leute nicht ganz begreifen wollen, dass man noch lange um den heissen Brei reden, philosophieren und kritisieren kann, aber letzten Endes kommt es darauf an, was tatsächlich geleistet wird. Beispielsweise die Bemühungen der Universität St.Gallen, den Frauenanteil in zahlreichen bereits stattgefundenen und noch bevorstehenden Berufungen zu fördern und auszubauen. Bezeichnend sind jene Aktionen, die wir als Menschen und Angehörige der HSG unternehmen, um auch tatsächlich etwas an der aktuellen Situation und am geringen Frauenanteil zu ändern.

Sprache schafft Realität, da gebe ich Ihnen, Herr Beschorner und Frau Meckel, Recht. Vielleicht sollten Sie sich jedoch zur Abwechslung zusätzlich auch mit der tatsächlichen, stark ausgeprägten, auf dem Campus stattfindenden, sich einer ständigen Entwicklung unterliegenden Realität auseinandersetzen. Unter Umständen werfen Sie doch mal einen Blick auf die durch die Studierenden selber, bottom-up geschaffene Identität und setzen das Abstimmungsresultat damit in Relation, anstatt auf einer Metaebene von der Kanzel aus den kantschen, kategorischen oder eher den moralischen Imperativ zu predigen.

Behaltet euren Mut

Wir sind nicht mehr die Handelshochschule St.Gallen, auch wenn uns dies einige einreden möchten. Wir sind aber immer noch eine Business School. Gleichzeitig ist die Universität St.Gallen alles andere als perfekt und hat noch einen weiten Weg zu gehen – da sind wir nicht die einzigen. Trotz unserer Fehler und den teilweise vorherrschenden Differenzen, verstehen sich die Studierenden der Universität St.Gallen dennoch als eine Gemeinschaft, welche alle inkludiert. Wir ziehen an einem Strang und sollten den Mut auch nach dieser erneuten medialen «Zerreisprobe» nicht verlieren. Da können Sie mich gerne naiv nennen, wenn Sie möchten, aber wenn nicht einmal mehr die eigenen Professorinnen und Professoren an ihre Studierenden glauben, dann höre ich erst recht nicht damit auf.

Ich verlasse Sie, werter Herr Beschorner und werte Frau Meckel, deshalb mit den folgenden Worten: Verlieren Sie sich nicht in einer ziellosen Selbstreflexion. Sie sind faktisch auf Lebenszeit gewählt, das wäre somit ungut für Ihre weitere Karriere. Fragen Sie sich nicht, welchen Anteil die Professorenschaft an dem Entscheid hatte. Glauben Sie mir, er ist nicht nur verschwindend klein, sondern praktisch nicht vorhanden. Und vor allem haben Sie mehr Vertrauen in Ihre Studierenden. Tauschen Sie sich in Ihren Vorlesungen oder in Ihrer Freizeit über diese Thematik mit jenen aus, die es betrifft: den Studierenden. Falls Sie das anders sehen sollten, dann würde ich Ihnen empfehlen, sich bereits während der stattfindenden Diskussion miteinzubringen, anstatt ex post mit selbstgerechten Worten Ihre Studierenden anzugreifen. Dies bringt mich zu meinem letzten Punkt: Bitte klopfen Sie nicht mehr beim St.Galler Tagblatt an, um einen Gastbeitrag in solcher Art und Weise zu schreiben. Denn nicht der Ausgang der Abstimmung, sondern das ist zum Fremdschämen.

Alessandro Massaro

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