Das Gerücht

Welcher Student kennt sie nicht, diese langen Nachmittage, an denen man glaubt, die Zeit schreite absichtlich mit unverschämter Langsamkeit voran. An der HSG ist an solchen Tagen der Gang aus den tiefen Katakomben des Lehrprovisoriums in der Turnhalle hinauf zur Cafeteria geradezu ein Segen. Ein starker Kaffee führt bekanntlich zu neuem Leben.

Doch auf dem Weg dorthin wird mancher von einem kleinen unscheinbaren Raum in den Bann gezogen. Es ist der mysteriöse «Massageraum». Man weiss nicht viel über ihn. Man kennt nur seinen Namen, seinen Eingang und den nicht gerade dezenten Hinweis in grellem Gelb, dass man doch bitte nicht gestört werden möchte. Mehr weiss man nicht.

Und so kommen Spekulationen auf. Ein Massageraum an der HSG? Wessen Privileg ist es, sich an anstrengenden Tagen auf geheimnisvolle Art von zarten und doch kräftigen Händen einer Masseurin durchkneten zu lassen? Gönnen sich etwa ausgewählte Professoren die kleine Wohltat, um danach wieder frisch und munter den Untergang des Finanzmarktes zu beklagen? Oder ist die wöchentliche Massage das lange geheim gehaltene Erfolgsrezept der Verbindungsjungs, mit deren Hilfe sie es immer wieder schaffen, bei öffentlichen Auftritten in ihren Anzügen stramm und schmuck, mit durchgestreckten Rücken, gerade zu stehen? Das wäre zumindest vorstellbar.

Aber befriedigend ist es nicht. Denn seien wir mal ehrlich: Eigentlich denkt doch jeder zuerst an das eine. Das Wort «Massageraum» klingt einfach zu verdächtig, um wirklich ein «Massageraum» zu sein. Da geht es den meisten so ähnlich wie beim Wort «Saunaclub». Man kann doch das Anrüchige geradezu mit den Händen fassen! Und dann das Schild vor der Tür: «Bitte nicht stören!» Soll man denn noch deutlicher werden? Die Fantasie der meist männlichen Studenten kennt deshalb keine Grenzen, wenn man sich das Bild hinter der grauen Türenfront vor Augen führt: ein duftender Raum, eingerichtet in sinnlich roten Tönen, entspannende Musik – und dazu natürlich das gewisse Extra …

Ein Amüsierbetrieb an der HSG? An solch anständiger Stätte? Man mag es kaum glauben. Doch es bleibt die Vermutung. Schliesslich hat sich noch keiner zu seiner Existenz bekannt. Nur einmal, da sah man jemanden aus dem mysteriösen Raum herauskommen. Sein Gesichtsausdruck: ein spitzbübisches Grinsen …


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