Der Streber aus der letzten Reihe

Insights und mehr aus dem Leben eines passionierten Mathematikers. Ein Portrait des legendären Dozenten mit den berühmtesten Krawatten der HSG, Reto Schuppli.

Hat Einblick in Mathematik und Geschichte: Dr. Schuppli.

Fast alle Studierenden an der HSG kennen ihn – den Mathematikprofessor, der immer zwischen hochkomplexen mathematischen Formeln und Anekdoten aus der Geschichte wechselt: Reto Schuppli. Im Gespräch mit ihm erkennt man aber, dass hinter dem Mathematikexperten und Geschichtenerzähler noch viel mehr steckt, als man erwartet.

Eine glückliche Kindheit

Reto Schuppli wurde 1956 im Kanton Thurgau geboren. In einem winzigen Dorf verbrachte er seine Kindheit und Jugend. Er nahm die Rolle des Jüngsten in der Familie ein. Da er etwas weiter ab vom Schuss» entfernt wohnte, war er es gewohnt, alleine zu spielen oder mit seinem acht Jahre älteren Bruder mitzugehen. Diesen betrachtete er auch als seinen besten Freund. Oft spielten die beiden gemeinsam Soldaten und machten jede Menge Unsinn. Einmal zum Beispiel sperrten die Brüder miteinander andere ein, während deren Mutter verzweifelt nach ihnen suchte. Ein anderes Mal bauten sie innerhalb eines Flusses eine Rutschbahn. Im Grossen und Ganzen schaut er also auf eine glückliche Kindheit zurück.

Der Streber aus der letzten Reihe

In die Schule kam er entweder zu Fuss, mit dem Trottinett oder mit dem Fahrrad, je nachdem ob man ge- rade den Reifen flicken musste. Auf die Frage, ob er während seiner Schulzeit eher der Streber aus der ersten Reihe oder der Rebell aus der letzten war, antwortet er: «Der Streber aus der letzten Reihe». Sein Interesse für Mathematik hatte er in der Mittelschulzeit noch nicht entdeckt. Ganz im Gegenteil, er fand das Fach «sehr mühsam». Mit der Zeit entwickelte sich jedoch eine wahre Leidenschaft. Er fing an die «Challenge» in der Mathematik und das exakte Denken zu lieben. Trotz sehr guter Mathematiknoten traute er sich nach seiner absolvierten Wirtschaftsmatura das Mathematikstudium anfangs gar nicht zu. Daher war der herzhafte Mathematiker sicher: «Ich möchte Jura studieren.» Schnell kam aber ein Umdenken und so begann er, Mathematik an der Universität Zürich zu studieren. Eine Sache war für den bekanntesten Mathematikprofessor der HSG jedoch ganz klar: «Ich werde nie Lehrer!». Als er sein Studium beendete, war die Situation auf dem Arbeitsmarkt sehr schlecht. Eine rein akademische Karriere gestaltete sich schwierig, da es wenige Stellen gab. Eine Ausnahme bildete ein Jobangebot aus Saudi-Arabien, welches er jedoch ablehnte. So war er als «Wander-Prediger» tätig und hielt immer wieder Vorlesungen und Seminare an diversen Bildungseinrichtungen, bis er schliesslich eine Festanstellung an einer Mittel- schule erhielt. Anstatt sich zurückzulehnen, beschloss er, seine Vorgängerin an der HSG während ihres Sabbaticals zu vertreten. 1997 bekam er eine Festanstellung an der HSG. 2001 wechselte er an die Pädagogische Hochschule in St. Gallen und es eröffnete sich die Möglichkeit, parallel an der HSG tätig zu sein – laut ihm das Beste, das ihm während seiner Karriere passiert ist. Bis heute ist er an beiden Institutionen tätig.

Obwohl er zu Beginn seiner Karriere nicht Lehrer werden wollte, ist seiner Meinung nach das Unterrichten das Schönste an seinem Beruf. Was er jedoch überhaupt nicht ausstehen kann, sind die Sitzungen und das Korrigieren. Er fügt sogar hinzu, dass er lieber Steuererklärungen macht, als Arbeiten zu verbessern. Auf die Frage, ob er lieber mehr Geld, mehr Freiheit oder mehr Freizeit haben möchte, antwortet er: «Ja, alles natürlich», fügt aber hinzu, dass er mit seiner Situation überglücklich sei.

Doch wieso immer diese Anekdo- ten in den Vorlesungen?
Alles fing im Mathematikstudium an. Dort gab es die Möglichkeit, eine Vorlesung über die Geschichte der Mathematik zu besuchen. Unser damals noch nicht ganz so geschichtsbegeisterter Mathematikprofessor ging dort natürlich nicht hin. «Geschichte ist doch nichts Richtiges, wie Logik oder Algebra!». Erst in der Zeit als Lehrer und Professor fing er an, sich für die Herkunft verschiedener mathematischer Probleme zu interessieren. Einerseits fasziniert es ihn, dass die Mathematiker früher genau mit denselben Fehlern und Problemen zu kämpfen hatten, wie seine Studierenden heute. Das hilft ihm, sich besser in seine Schüler und Schülerinnen hineinzuversetzen und deren Verständnislücken zu erkennen. Andererseits kann man sich nicht 45 Minuten durchgehend konzentrieren, daher sind die Anekdoten dazu gedacht, «mit dem Denken nachzukommen»

Johannisbeerkuchen backen, Literatur, Fussball und «Grüm- schelle»
Neben der Mathematik ist Schupplis grösste Leidenschaft seine Ehefrau. Die romantische Geschichte begann am Kopierer der ersten Mittelschule, an der er gearbeitet hatte. Die Arbeitswege der beiden trennten sich zwar wieder, aber privat bringt das Traumpaar von diesem Zeitpunkt an nichts mehr auseinander. Schuppli sagt: «Sie war nicht meine erste, aber meine grosse Liebe». Die beiden leben heute in einer Wohnung zwischen Frauenfeld und Wil. Die Lieblingsbeschäftigung des Paars gleicht jener von Angela Merkel und ihrem Ehemann: Johannisbeerkuchen backen! Neben dieser zeitaufwändigen Beschäftigung verfolgen die beiden noch andere Interessen, die den Gusto auf den Johannisbeerkuchen erst so richtig beflügeln. Dazu zählen: Wandern, Radfahren, Reisen und Kanufahren. Seine Frau ist sehr aktiv, daher sind die beiden auch im Urlaub stets unterwegs. Man würde die Schupplis selten nur entspannt am Strand antreffen. Ausserdem liebt der Professor Filme (besonders die von Kubrick), Bücher (besonders die von Dostojewski), und das Fussballspielen. In seinem Altherrenverein, den er als «Chaotengruppe» beschreibt, ist er noch heute sehr aktiv. Sie spielen nach dem Motto: «Beim Fussball geht es nicht um Leben und Tod, es ist viel ernster!». Ein weiteres Hobby des Mathematikers ist es zu «grümschellen». Das bedeutet so viel wie: «Ein bisschen das tun und ein bisschen jenes tun, ohne wirklich einen Plan zu haben», erzählt er uns stolz.

Doch wie ist unser Professor wirklich?
Herr Professor Schuppli beschreibt sich selbst als zuverlässig, gut genährt und zufrieden. Bei ihm gilt die Devise: «Am Sonntag wird ausgeschlafen». Überdies ist er wie ein richtiger Mathematiker auch ein wenig überordentlich und genau. Auf uns wirkte die HSG-Legende herzlich, humorvoll und nett. Er ist ein Mann, der nicht nur komplizierte mathematische Formeln schwungvoll erklärt und stundenlang Geschichten über Euler erzählt, sondern auch aus seinem eigenen Leben Spannendes und Unterhaltsames berichtet.


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