Erfahrung sammeln

Aus Aktualitätsgründen berichtet unser Kunstredaktor dieses Mal nicht über eine Ausstellung, sondern erzählt den künftigen Kunstsammlern unter euch, wie man eine Sammlung richtig aufbaut.

Jede Sammlung fängt klein an. Jede Sammlung hat ihren Ursprung in einem Stück. Jede Sammlung hat ein gewisses Ziel. Alle Sammlungen haben im Endeffekt eine grosse Gemeinsamkeit: Alle sind ein Haufen von Werken, die ein oder mehrere Menschen über eine gewisse Zeitperiode zusammengetragen haben. Es gibt Sammlungen, die aus Unterbeschäftigung entstehen. Es gibt solche, die aus sozialen Statusgründen entstehen, und andere aus verqueren Motivationen. Letztlich gibt es Sammlungen, die reinem Interesse entspringen. Letztere sind die einzig guten und wichtigen.

Vom Ziegelstein zur Kunst

Ein Freund von mir sammelte in jungen Jahren griechische Ziegelsteine. Heute hat er eine Kunstsammlung, bei der dem Betrachter die Spucke wegbleibt. Dieser Mann ist kein Multimillionär, der gelangweilt den schönen Dingen des Lebens frönt. Er ist ein mittelständischer Unternehmer, der mit Leidenschaft, Schweiss und Herzblut über das letzte Jahrzehnt in jeder Sekunde seiner spärlichen Freizeit der Sammeltätigkeit nachgegangen ist und jeden freien Rappen in die Auswüchse Kreativschaffender gesteckt hat. Mit grossem Erfolg. Alle, die etwas von der Materie verstehen und seine Sammlung sehen, zollen ihm Respekt. Aber noch viel wichtiger ist, dass er jeden Tag Freude verspürt beim Anblick der vielen grossartigen Farben, Konzepte und Formen, die seine Wände und unzählige Sockel in seinem Haus zieren.

Milliardenschwere Sammler

Nicht jeder Sammler ist ein Mäzen, aber jeder Mäzen ist ein Sammler. Dieser Mann ist beides. Er suchte sich eine gewisse Anzahl Künstler und unterstützte sie unabhängig von der Nachfrage nach ihren Werken oder ihrer Marktposition. Er glaubte an sie und half ihnen teilweise über jene Probleme hinweg, die einem das Künstlerdasein so stellt. Sammler wie er sind die wichtigen in der Kunstwelt. Milliardenschwere Sammler wie François Pinault, Steven Cohen, Steve Wynn und David Geffen sorgen zwar für Schlagzeilen und sponsern viele Museen, wovon das zweite sehr wichtig und toll ist, sind aber eigentlich langweilige Leute, weil sie oft nur grosse, voll etablierte und vor allem teure Kunst sammeln. Sie unterstützen weder ganz junge Künstler, noch sorgen sie dafür, dass sich die Kunstgeschichte fortbewegt. Es ist zwar schön, wenn Werke von Rothko, Pollock, Newman, Matisse, Picasso, Warhol und Konsorten für die Öffentlichkeit zugänglich sind, letztlich sind sie aber aus Sammlerperspektive langweilig. Sie sind sichere Käufe, bei denen oft der finanzielle und soziale Aspekt überwiegt.

Künstler gross machen

Die kleinen und mittelgrossen Sammler sind gezwungen, zu kaufen. Sie sind diejenigen, die viele noch gross werdende Künstler gross machen. Sammler wie der oben beschriebene Mann sind am wichtigsten für die Kunst, denn sie fördern Kunst als Selbstzweck und aus Freude, nicht aus finanziellen Gewinnabsichten. Moral von der Geschichte: Wenn man von anderen etwas lernen möchte, halte man sich an kleine und mittlere Sammler: die wissen viel mehr und sind für junge und unvermögende Leute wie unsereins viel interessanter.

Der kleine Sammler als Alleskönner

Grosse Sammler haben im Wesentlichen zwei Dinge, die kleine nicht haben: Erstens sind da wohl die nötigen Millionen, um mit seinen Kollegen bei den Auktionen um Gemälde im siebenstelligen Bereich zu konkurrieren. Zweitens fehlen dem kleinen Sammler meist die Kuratoren und Berater. Wenn Herr Ringier (der Verleger) durch die Art Basel (die wichtigste Kunstmesse der Welt) schlendert, stehen ihm selbstverständlich seine Sammlungskuratorin Beatrix Ruf, ihres Zeichens auch Kuratorin der Zürcher Kunsthalle, und eine Horde anderer Berater und Schleimer zu Verfügung, die ihm alle etwas verkaufen wollen. An jedem Galerienstand wird er sodann mit Namen begrüsst und es werden ihm unzählige Angebote gemacht und er wird darüber aufgeklärt. Der kleine Sammler muss all dies alleine tun. Er muss sich informieren, er muss auf die Galeristen und Künstler zugehen und den Dialog suchen.

95 % Schrott

Sammeln fängt in der Regel mit Schauen an. Bevor man mit dem Aufbau seiner Sammlung beginnt, besucht man am besten jede Ausstellung, die man finden kann. Eines ist sicher: Man wird sich zu 95 % Schrott (und nicht den guten Schrott) ansehen müssen und aus den Wutanfällen nicht mehr rauskommen. Dass viel Blödsinn produziert wird, liegt nahe. Dass viel Blödsinn gezeigt wird, ebenso. Wer aber in dem Dschungel der Scheisse gute Ware findet, ist ein wahrer Connaisseur. Niemals darf man voreilige Schlüsse ziehen. Man muss dem Auge und dem Verstand Zeit geben und auf seine Gefühle hören. Mit der Zeit wird man auf gewisse Interessenschwerpunkte stossen. Dies ist ein guter Zeitpunkt, um zunächst mit dem Sammeln einer anderen Sache zu beginnen: Der gute Kunstsammler hat eine Bibliothek oder zumindest einen sehr umfangreichen Bücherstapel. Man braucht ja Nachschlagewerke und Bildungsquellen, um Epochen und Richtungen, Künstlerkollektive, Bewegungen, Galerien, Einzelpersonen und Ideen nachzuschlagen. Ein guter Künstler kommt selten allein und so sollte man sich immer überlegen, wo und zu welcher Zeit, in welchem Umfeld der oder die Kunstschaffende sein Werk kreierte. Nach ein, zwei oder zehn Jahren Schauen weiss man dann wohl – wenn man es richtig gemacht hat – gerade genug, um ein paar Franken, Pfund, Euro, Dollar oder ein wenig Gold in die Hand zu nehmen und sich das erste Werk zuzulegen. Zu bedenken bleibt, dass man im Grunde genommen noch nichts weiss und immer noch viele Fragen stellen und Dialoge führen muss, was sich eigentlich nie ändern wird.

Für jeden Geldbeutel etwas

Der Mythos, dass nur reiche Leute Kunst sammeln können und sollen, ist Blödsinn. In der Kunstwelt gibt es für jeden Geldbeutel etwas. Je nach Budget kann man sich mit Lithografien, Drucken, Editionen oder eben Einzelstücken die Finanzen zerstören. Editionen sind Auflagen, d. h. der Künstler kreiert von einem Werk mehrmals das gleiche bzw. sehr ähnliche Stücke und schreibt dies dann in der Regel neben der Signatur an. Man sollte beim Kauf von Editionen immer drauf schauen, dass die Auflage nicht zu gross ist. Je weniger, desto besser. Ich kaufe beispielsweise keine Editionen, die in einer grösseren Auflage als 10 produziert werden. Aber das ist letztlich auch persönlicher Geschmack.

Sammelstrategie

Das Wichtigste neben Wissen ist beim Sammeln wohl Zeit. Man darf auf keinen Fall am Anfang zu viel in zu kurzen Zeitabständen kaufen. Jede Sammlung bekommt mit der Zeit eine Richtung, einen eigenen Charakter. Dieser wird sich verändern oder herauskristallisieren. Der Sammler wird mit der Zeit an Wissen, Erfahrung und auch an Kontakten gewinnen, was der Sammlung nur nützen kann. Je nachdem fängt man seine Sammlung mit Pop Art an und endet beim Minimalismus. Oder umgekehrt. Oder man kauft plötzlich asiatische Kunst. Oder Figuratives. Oder mischt alles durcheinander. Das ist alles persönlich und unterscheidet sich von Sammlung zu Sammlung. Was bei jeder Sammlung aber zu fragen bleibt, ist, ob man in die Breite oder in die Tiefe sammeln möchte. Breit sammeln heisst, dass man möglichst viele Künstler kauft, um möglichst gut einen gewissen Zeitabschnitt der Kunstgeschichte zeigen zu können. Tief sammeln heisst, dass man gewisse Künstler schwerpunktmässig sammelt, um deren Werk repräsentieren zu können.

Letztlich ist Sammeln eine persönliche Sache und jeder Sammler wird einen eigenen Stil entwickeln: Kauft man im Ausstellungsraum oder im Atelier, will man selbst sammeln oder hat man Kuratoren? Gibt man viel Geld dafür aus oder wenig? Etc. Wichtig ist, dass niemals der finanzielle Aspekt überwiegen darf, in welcher Form auch immer. Ich predige das zwar an der falschen Universität, aber in den Finanzen kann man keine Liebe finden, in einer eigenen Sammlung schon.


Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*

*

*