(K)eine Frage der Nationalität

Identität ist schwer greifbar. Welche Rolle spielt die Staatsangehörigkeit dabei? Diese Frage wird im Fall einer Mehrstaatigkeit nicht weniger komplex, aber umso interessanter.

Entscheidet unsere Nationalität darüber, wer wir sind?

Woraus begründen wir unsere Identität? Schnell denkt man an Charaktereigenschaften, Meinungen sowie die Individualität des Einzelnen. Doch welche Rolle spielt die Nationalität bei der Frage nach der Identität eines Menschen? Schliesslich hat das Umfeld, in dem ein Mensch aufwächst und lebt einen Einfluss auf seine Entwicklung und Persönlichkeit. Doch nicht immer ist die Frage der Nationalität einfach zu beant- worten. Durch welche Nationalität man sich identifiziert, hängt davon ab, wo man aufgewachsen ist und mit welcher sich die eigenen Vorfahren identifizieren.

Wie geht man aber mit der eigenen Identitätsfindung um, wenn selbst der engste Familienkreis aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen stammt und oftmals an sehr unterschiedlichen Orten lebt?

Sollte man einen Menschen dazu zwingen dürfen, sich für eine Natio- nalität, beispielsweise die seines Ge- burtslandes zu entscheiden? Oder ist gerade die Mehrstaatigkeit Teil der Identität dieses Menschen?

Der Kreis zur anfänglich gestellten Frage, ob die Individualität nicht auch darauf beruhe, aus welchem Land man stammt, schliesst sich an dieser Stelle. Dies insofern, als dass man eine Wechselwirkung der Aspekte Staatsangehörigkeit, dem Umfeld, in welchem man aufgewachsen ist und der individuellen Persönlichkeit vermuten kann. Sicher ist, dass die Frage danach, ob ein Pass einen Teil der Identität ausmacht, sehr unterschiedlich beantwortet werden kann. Für den einen ist es nur ein Stück Papier, das letztendlich keinen Unterschied macht, da die Wurzeln eines Menschen sich nicht durch den Besitz eines formellen Dokumentes verändern würden und Identität ohnehin nicht mit der Staatsangehörigkeit oder Herkunft zu tun hätte. Für den anderen löst eine Staatsangehörigkeit ein wichtiges Zugehörigkeitsgefühl aus, weil sie eben dieses Gefühl der Zugehörigkeit dahingehend objektiviert, als dass es für jedermann sichtbar wird. Auch die damit verbundenen Rechte und Pflichten bestätigen die vollkommene Angehörigkeit zu dem Land und dem Kulturkreis.

Mehrstaatigkeit als Teil der Identität
Welche Rolle die Herkunft für Menschen spielt, wird beispielsweise bei jedem Kennenlernen einer neuen Person deutlich: «Woher kommst du?», ist eine der Fragen, die oftmals als eine der ersten gestellt werden und die wir alle auch in den Starttagen an der Universität zu Haufe gehört und beantwortet haben. Und doch fragt man sich, ob die Staatsangehörigkeit bei der Frage nach der eigenen Identität eine Rolle spielt, weil es doch immer ein Störgefühl auslöst, sich über etwas zu definieren, was man nicht selbst beeinflussen kann.

Die eigene Identität zu finden, setzt jedoch immerhin voraus, freie Entscheidungen bezüglich des eigenen Lebens treffen zu können. Bei der Entscheidung für eine Staatsangehörigkeit sollte es daher nicht die Einschränkung geben, sich für eine einzige Staatsangehörigkeit entscheiden zu müssen. Die Annahme einer doppelten Staatsbürgerschaft kann neben praktischen Aspekten auch die nach aussen sichtbare Loyalität zu beiden Kulturen und Ländern bedeuten, was insbesondere im persönlichen Umfeld eine Rolle spielen kann.

Mehrstaatigkeit ist Ursprung von Chancen und Problemen zugleich. Das Gefühl, nie komplett einer Gruppe von Nationalitäten anzugehören und einen Weg zu finden, verschiedenste kulturelle Einflüsse in sich selbst miteinander zu vereinen, stellt Menschen vor Herausforderungen. Dies bringt aber gleichzeitig Erfahrungen mit sich und fördert Kompetenzen, die über den Horizont der Landesgrenzen hinausgehen. Somit bildet die Diversität hinsichtlich Nationalität und Kultur in diesen Fällen einen Baustein der jeweiligen Identität und kann durch den Besitz des Passes gestützt und bestätigt werden. Eine Staatsangehörigkeit kann Sicherheit vermitteln und das Zugehörigkeitsgefühl stärken und sorgt keineswegs dafür, dass man sich dem jeweils anderen Staat oder Kulturkreis weniger zugehörig oder gar illoyal gegenüber diesem fühlt. Die Illoyalität stellt für viele Kritiker der Mehrfach-Staatsbürgerschaft ein Argument dar.

Praktische Hintergründe

Die praktische Komponente des Besitzes von mehreren Staatsangehörigkeiten ist bei der Frage, ob ein Pass zur Identität einer Person gehört, nicht zu ignorieren. Neben vielen Rechten bringt eine Staatsbürgerschaft im gleichen Zug auch immer Pflichten mit sich, die je nach Land, Geschlecht und Alter der betreffenden Person unterschiedlich ausfallen können. Zu beachten ist hier beispielsweise die bei männlichen Personen bestehende Wehrpflicht in bestimmten Ländern. Bei einem bestehenden und starken Zugehörigkeitsgefühl sollte dies jedoch kein Ausschlusskriterium darstellen, da man in dem Fall «gerne» auch Pflichten für das Land erfüllt. Dass es dennoch häufig als Gegenargument für die Annahme einer doppelten Staatsbürgerschaft verwendet wird, zeigt, dass praktische Aspekte bei dieser Diskussion oftmals die ideellen und mit der Identität verknüpften Gründe überwiegen. Klar ist somit zumindest in diesen Fällen, dass eine Staatsangehörigkeit allein keine Identität schafft. Vielmehr sind Umfeld, externe Einflüsse und die Persönlichkeit wichtigere Faktoren.

Mehrstaatigkeit in der Schweiz

Die Schweiz zeigt sich bei dem Umgang mit doppelten Staatsbürgerschaften mit ihren Bürgerinnen und Bürgern im Vergleich zu anderen Ländern grosszügig. Im Jahr 2017 lebten gemäß des Bundesamtes für Statistik rund 916 300 Doppelbürger in der Schweiz, hinzu kommen gemäss der Auslandschweizer-Organisation rund 760 000 Auslandschweizer im Jahr 2018. Wer ins Ausland zieht, darf den Schweizer Pass behalten, ebenso eingebürgerte Staatsbürger aus dem Ausland.

Im Vergleich zu der Schweiz zeigen sich andere Länder weniger kulant beim Umgang mit Mehrstaatigkeiten ihrer Bürgerinnen und Bürger. In Deutschland beispielsweise geht gemäss dem Staatsangehörigkeitsgesetz grundsätzlich bei Annahme einer ausländischen Staatsangehörigkeit die deutsche verloren. Im Umkehrschluss müssen Ausländer, die die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen, ihre bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben. Das Staatsangehörigkeitsgesetz kennt jedoch auch Ausnahmen von dieser Regel. Diese gelten immer dann, wenn es um die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder der Schweiz geht.

Ob die Staatsangehörigkeit für die Identität einer jeweiligen Person eine Bedeutung hat oder nicht, ist individuell unterschiedlich und nicht pauschal zu beantworten. Fest steht aus dieser Perspektive dennoch, dass die Möglichkeit zum Besitz einer zweiten Staatsangehörigkeit hinsichtlich der emotionalen Beweggründe, insbesondere bezogen auf das persönliche Umfeld einer Person, grundsätzlich gegeben sein sollte, denn die Staatsangehörigkeit kann den Prozess der Identitätsbestimmung unterstützen und erleichtern.


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