Nackt auf Weltreise

Auch auf den kleinen und grösseren Weltreisen in unserem Leben kann man sich bisweilen nackt fühlen. Insbesondere dann, wenn man mit fremden Kulturen konfrontiert ist. Häufig muss man sich mehr auf die eigene Intuition verlassen als auf gut gemeinte Ratschläge.

Nackt kommen wir auf die Welt. Physisch, wie auch psychisch. Von diesen Zeitpunkt an vergehen die Jahre; die Nacktheit verschwindet. Während Kleidung unsere äussere Erscheinung bedeckt, ersetzten unsere Erziehung und unser Umfeld in einem stetigen Prozess die innere Nacktheit. Wertvorstellungen treten an die Stelle des ungeformten Charakters und bilden den eigenen Horizont heraus. Die eigene Kultur prägt das Individuum und wird gleichzeitig Teil von ihr.

Und derer Kulturen gibt es viele, welche im Rahmen der Globalisierung ständig aufeinander treffen. Man hat Freunde auf der ganzen Welt, arbeitet später höchstwahrscheinlich auf globaler Ebene. Es ist nötig, und darüber hinaus auch wunderbar spannend, mit fremden Kulturen umzugehen.

Hin und wieder führt das zu einem individuellen Phänomen: Der eigene Werterahmen ist einfach nicht mehr anwendbar und man fühlt sich nackt und hilflos. Dieses Phänomen kann man mit Wissen zu umgehen versuchen. Man analysiert und eignet sich die Besonderheiten und kulturellen Eigenheiten in Seminaren, Büchern und Erzählungen an, um ja jeden Fauxpas zu umgehen und nicht den Eindruck eines Fremden zu erwecken. Das funktioniert wunderbar, wenn es authentisch ist; wenn nicht, kann es eher peinlich werden. Denn Kultur ist Erlebens- und Erfahrensangelegenheit, und kein KKarten-Stoff.

Diese Lehre zog ich jedenfalls aus einer Südost-Asien Reise. Vorbereitung schön und gut, doch die Erfahrung sieht anders aus. Das Abenteuer begann in Bangkok und endete für meinen Reisegefährten und mich bereits nach wenigen Tagen in einer thailändischen Polizeistation, weil ein Reiseveranstalter uns um einen dreistelligen Betrag geprellt hatte. Tja, soviel zur Vorbereitung.

Der Polizeibeamte war die Ruhe in Person. Ganz dem von Reiseagenturen beschworenen «Land des Lächeln»-Klischees. Wir waren leicht überfordert mit der Kommunikation, dank Sprachschwierigkeiten und sonstigen Ungewissheiten über kulturelle Gepflogenheiten. Um die eingangs geschilderte These aufzugreifen: wir fühlten uns hilflos, irgendwie nackt. Plötzlich erschienen uns die «wertvollen» Mahnungen von Lonely Planet und Stefan Loose im Hinterkopf: Ruhig bleiben, auf keinen Fall das Gesicht verliehen. Keine Emotionen. Immer lachen. So führten wir das Gespräch und es geschah, zu unserem Entsetzen wieder nichts. Schlussendlich begannen wir mit wachsender Verzweiflung, einfach ohne besondere Beachtung unser Problem darzulegen. Freundlich, tolerant, aber sicher nicht der thailändischen Kultur entsprechend. Die Reiseführer hätten unser Verhalten wahrscheinlich als typisches Kulturbanausenverhalten tunlichst zu vermeiden empfohlen. Doch wider Erwarten fruchtete dieses Verhalten und wir wurden uns einig.

Was war geschehen? Wir versuchten unsere Nacktheit mit schwammig angelesenem Wissen zu überdecken. Klappte nicht, wirkte wahrscheinlich eher ein wenig lächerlich. Denn der Reiz am Aufeinandertreffen der Kulturen liegt am Unterschied. Mit Toleranz, Offenheit und Ehrlichkeit kommt man bisweilen weiter als mit dem blossen repetieren von angelesenen Kenntnissen. Um in der Kleidungsmetapher zu bleiben: Nackt ist man nie. Die Kleidung hat vielleicht nur einen anderen Stil.

Ein weiterer Zwischenfall bestätigt darüber hinaus, dass manche Missverstände selbst bei Mühe unvermeidlich sind. Natürlich könnte man dies in einem perfekten Umfeld voller gegenseitiger Toleranz umgehen, realistisch war das jedoch eher selten der Fall.

In Chiang Mai trafen wir zwei Freundinnen, die an der dortigen Universität Deutsch studieren. Bekannt waren sie uns von ihrem einjährigen Sprachaufenthalt in unserer Region. Wunderbarerweise boten sie sich als Fremdenführer an. Denn es ist Fakt, dass einem dadurch eine Perspektive auf die Kultur, das Land, die Leute zuteil wird, die einem als normaler Tourist entgeht. Dankbar nahmen wir diese Perspektive an und liessen uns die Gegend zeigen.

Doch während dem Trip, bei dem sie uns das «echte» thailändische Leben näher brachten, viel etwas auf: Wir wurden zunehmend unfreundlicher behandelt. Das ging von finsteren Blicken im Restaurant, über aggressive Strassenhändler, bis hin zu beleidigt endenden Songthaews-Fahrer (rote Pickup Busse, die quer durch die Stadt fahren). Es verwunderte uns. Natürlich machte man bereits vorher Erfahrung mit weniger freundlichen Gestalten, doch da waren es Ausnahmen, hier schon beinahe zur Normalzustand. Wir waren verwirrt, welchen Lapsus wir die plötzliche Sinneswandlung der thailändischen Bevölkerung zu verdanken hatten. Waren wir in irgendeiner Weise unfreundlich gewesen? Wohl kaum, die Abneigung traf uns teils schon, bevor wir überhaupt die Gelegenheit dazu gehabt hätten. Die Aufklärung lieferten dann unsere beiden Bekannten, die zerknirscht und irgendwie peinlich berührt zugaben, dass es wohl an ihrer Gesellschaft lag – also an uns.

Wenn man sich ein Gros der alljährlichen Thailand-Touristen anschaut, dann sind greise Männer, die sich ein restliches bisschen Leben bewahren wollen und als einziges Mittel den Sex mit Prostituierten sehen, leider keine Seltenheit. Das beschränkt sich nicht nur auf ältere Männer: «Sextouristen» sind allgegenwärtige Elemente in der Tourismusregion. Ihre Beliebtheit bei der indigenen Bevölkerung ist hingegen weniger fest verwurzelt; sie sind, verständlicherweise, regelrecht verhasst.

Sobald eine Thailänderin in Begleitung eines westlich Aussehendengesichtet wird, kann es sein, dass eben diese Tatsache damit verknüpft wird. Wahrscheinlich mag es in vielen Fällen auch zutreffen. In unserem jedenfalls tat es das nicht.

So war es irgendwie traurig, und auch irgendwie weniger schmeichelhaft für uns, doch unsere Gastgeberinnen fühlten sich weitaus unangenehmer berührt deswegen.

Auch aus dieser Begebenheit bleibt eine Lehre zurück. Manchmal stimmt einfach der Werterahmen nicht mit der Realität überein. Wenn es der eigene ist, sollte man innehalten und überlegen, wenn man dagegen damit konfrontiert wird, hilft wohl nur lächeln. Eine bessere Alternative ist uns jedenfalls nicht eingefallen.


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