Per Autostopp um die Welt

Seit fast siebzehn Monaten ist der 28-jährige Thomas Schlittler auf Weltreise. Das Gespräch führen wir über Skype. «Ich habe gerade zuverlässiges Wifi.» Wenn man per Autostopp um die Welt reist, ist das nämlich nicht selbstverständlich.

Kanada, schreibt der Journalist in seinem Blog bei Watson, sei der Geburtsort seines Autostopp-Traums. 2008 trampte er für zweieinhalb Monate durch den Westen des Landes. Hier wurde sein Traum, die ganze Welt zu bereisen, geboren. Und gerade ist er wieder dort, in Victoria, auf Vancouver Island. «Über die letzten 17 Monate bin ich von der Schweiz per Autostopp nach China gereist und von dort dann mit dem Frachtschiff hierher.» Die Route stand nicht von Anfang an fest. «Generell hatte ich die Route sicher im Kopf, aber ich habe sie auch zigtausend Mal geändert.» Für jeden Tag setzt sich Thomas ein Tagesziel, bis wohin er es am Abend geschafft haben will. «Aber oft geht es auch in eine andere Richtung oder ich gehe mit jemanden mit, der mir etwas erzählt, das ich unbedingt noch gesehen haben muss.» Das Ziel der Reise sei es ja nicht – im Sinne von «In 80 Tagen um die Welt» – die Welt möglichst schnell zu umrunden, oder zu beweisen, dass dies per Autostopp möglich wäre, sondern auch wirklich etwas zu sehen und zu erleben. Insgesamt hat Thomas so rund 49 000 Autostopp-Kilometer zurückgelegt und 37 Länder bereist.
Ursprünglich sei der Traum, per Autostopp um die Welt zu reisen, mit 19 entstanden, als er zum ersten Mal in Kanada war. Damals erlebte er, wie schön das Reisen als Anhalter war, wie oft er eingeladen wurde und wie viele tolle Leute er kennenlernte. «Da wurde mir klar, ich will das machen: per Autostopp um die Welt.» Thomas schloss aber zunächst sein Studium ab und arbeitete drei Jahre, um sich die Reise finanzieren zu können. «Und jetzt war es einfach Zeit. Seit ich 19 war, habe ich darauf gewartet.» Heute ist Thomas bereits von circa 630 verschiedenen Fahrern mitgenommen worden.

Reisen heisst Menschen treffen

Bis jetzt ist Thomas nach eigenen Angaben bereits unzähligen Menschen begegnet, meistens sind dies seine Fahrer. «Davon war der Grossteil sehr sympathisch. Es braucht schon einen gewissen Wesenszug, damit jemand einen männlichen Tramper mitnimmt.» Trotzdem hat er auf diesem Wege schon die unterschiedlichsten Leute kennengerlernt: «Reich, arm, dick, dünn, jung, alt – es gibt eigentlich nichts, was es nicht gibt!» Oft führt während des Gesprächs im Auto eines zum andern und Thomas hat gleich schon die nächste Übernachtungsmöglichkeit und ein warmes Abendessen. Es gäbe Regionen, in denen er fast immer bei seinen Fahrern schlafen konnte. Vor allem in der Türkei und im Iran seien die Menschen unglaublich gastfreundlich.

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«Mit Händen und Füssen reden ist anstrengend»

Die grösste Hürde auf seiner Reise sei klar die Sprache, so Thomas. Bei den meisten seiner Übernachtungsmöglichkeiten wurde er mit einer beeindruckenden Gastfreundschaft aufgenommen, konnte sich aber oft nicht verständigen. «So ist es eben ein Reden mit Händen und Füssen, und das ist auf Dauer manchmal anstrengend.» Deshalb übernachtet er regelmässig auch in Hostels und Jugendherbergen. In Südkorea, Japan und Kanada war er ausserdem viel zelten.

Mulmiges Gefühl? Selten.

Es kam durchaus auch schon zu mulmigen Gefühlen, wenn die Verständigung über das Ziel der gemeinsamen Autofahrt nicht ganz geklappt hat, und der Fahrer plötzlich in irgendeinen Hinterhof abbiegt. «Es hat sich aber dann herausgestellt, dass er nur noch schnell einen Verwandten unterwegs besuchen wollte. Zum Glück. Das Gefährlichste sei oft der Fahrstil seiner Reisebekanntschaften, lacht Thomas. Dementsprechend fällt auch seine Kritik an der herrschenden Meinung betreffend des Trampens aus. «Wir haben oft viel zu viel Angst.» Das Gegenteil sei eher der Fall: Wenn Thomas in eine Region kommt, wo selten bis gar nie Touristen aufkreuzen, wird er mit offenen Armen und viel Interesse an seiner Person und seiner Herkunft empfangen. Thomas hat aber auch eine gewisse Sensibilität entwickelt: «Manchmal erzähle ich nicht, wie lange ich schon unterwegs bin. Ich will den Menschen nicht unseren europäischen Reichtum vorführen. Das scheint mir nicht angebracht.» Die Reise hat ihm nochmals verdeutlicht, welche bedeutende Rolle in unserem Leben der Zufall einnimmt, wenn es darum geht, wo auf der Welt wir geboren werden und was für ein Privileg es ist, in der reichen Schweiz geboren worden zu sein.

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Vorurteile abbauen

Reisen helfe, Vorurteile abzubauen, erzählt Thomas. Der Iran zum Beispiel habe bei uns im Westen oft einen sehr schlechten Ruf als zurückgebliebenes Land. So habe er das aber nicht erlebt, denn zumindest die urbanen Gegenden, in denen Thomas war, haben ihn hinsichtlich ihrer Offenheit und Progressivität überrascht. Letztes Jahr habe er seinen Geburtstag in Teheran gefeiert, wo ein Freund für ihn eine Überraschungsparty organisiert hat. «Wir waren zwölf Frauen und ein paar Männer – ich hatte noch nie so viele Frauen an meinem Geburtstag.», lacht Thomas. Auch Alkohol habe auf der Party nicht gefehlt. Jeder der eingeladenen Gäste brachte illegalen selbstgemachten Wein mit. Aber das zeige eben, dass das Bild, das man im Voraus von einer Gesellschaft oder einer Kultur hat, nicht immer der Realität entspricht.

Sparsam reisen und sich dennoch etwas gönnen

Für seine Weltreise hat Thomas drei Jahre lang gespart, zudem erhält er eine Vergütung aus seinem Engagement als Travel Blogger bei Watson. Er hat sich im Schnitt ein Budget von circa 50 Franken pro Tag gesetzt – in Asien ein bisschen weniger, in Nordamerika ein bisschen mehr. Insgesamt plant er so, circa zwei Jahre unterwegs zu sein. «Ich schaue aber auch manchmal etwas an, egal was es kostet. Zum Beispiel eine Gletscher-Tour mit dem Schiff in Alaska oder eine Ballonfahrt, auch wenn das dann 100 Dollar kostet.» Das wolle er sich nicht nehmen lassen.

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Der Kontakt nach Hause

Die nächste Etappe wird Thomas von Kanada in die USA führen, wo er in San Francisco seine Freundin trifft. Sie war mit Thomas bereits zwei Monate in China unterwegs und hat nun ebenfalls gekündigt, um gemeinsam mit ihm die letzten acht Monate durch Zentral- und Südamerika zu reisen. Ausserdem haben ihn in Alaska zum ersten Mal seit 17 Monaten seine Eltern besucht. «Es tut schon gut, seine Liebsten nach so langer Zeit wieder zu sehen.» Auch seine Kolumne zu schreiben, hilft ihm, seine Gedanken zu ordnen und zu verarbeiten: «Manchmal sitze ich da und blicke zurück, denke an die ganzen verrückten und spannenden Leute, die ich kennengelernt habe, und dann überwältigt es mich manchmal, wo ich mich gerade befinde und wie ich dort hingekommen bin.»

Die Reise neigt sich langsam dem Ende zu

Im Juli oder August nächsten Jahres plant Thomas mit seiner Freundin wieder in der Schweiz anzukommen. Den sesshaften, geregelten Lebensstil vermisst er eigentlich nicht. «Aber natürlich die Leute. Ich würde gerne einfach mal wieder mit guten Freunden ein Bierchen trinken gehen.» Auch weiss er, dass der Wiedereinstieg in das Berufsleben sicher nicht einfach sein wird, nachdem er jetzt so frei und ohne Zeitdruck in jeden Tag hinein leben konnte. «Vielleicht wird mir auch unglaublich langweilig werden. Beim Reisen erlebt man einfach so viel, und beim Reisen per Autostopp erlebt man noch mal mehr!»

Falls du Thomas auf seinem Abenteuer folgen möchtest dann klicke hier.

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