Wie wollen wir gelernt haben?

Was hat uns die HSG mit auf den Weg zu geben? Die klassischen Vorlesungen werden für viele Studierende zwar immer weniger attraktiv, doch es ist genau die Qualität des Kontaktstudiums, welche eine gute Universität ausmachen sollte.

Sind wir ehrlich, mit einem Abschluss der Universität St.Gallen stehen einem sehr viele Türen offen. Meist ist man im Konkurrenzkampf um das Praktikum oder den favorisierten Job gar noch etwas besser gestellt als viele, die dasselbe an einer anderen Universität oder Fachhochschule studiert haben. Immer wieder wird bestätigt: Ein Abschluss von der HSG wird von den meisten Unternehmen seit vielen Jahren hoch geschätzt. Doch was macht die Universität St.Gallen eigentlich richtig, dass ihr so ein guter Ruf vorauseilt?

Sicher ist nicht wegzudiskutieren, dass die HSG über viele grossartige Professorinnen und Professoren verfügt, welche mit ihrer Forschung zum Renommee der Uni und den regelmässigen Top-Rankings verschiedener Programme beitragen. Dass sich die Universität Jahr für Jahr wieder als eine der besten Business Schools Europas brüsten kann, liegt – und dessen muss man sich bewusst sein – zu einem grossen Teil an genau dieser Forschung. Auch aus Sicht der Studierenden spielen diese von aussen wahrgenommenen Argumente eine wichtige Rolle, sobald sie sich irgendwo bewerben: Die Marke HSG verkauft sich gut, gerade auch wegen dieser Rankings. Dennoch sagt eine gute Forschung noch nichts darüber aus, wie gut an derselben Uni gelehrt wird und wie gut die Absolventinnen und Absolventen tatsächlich ausgebildet sind. Worauf es am Ende des Tages ankommt, ist nicht das Papier, welches einem den erfolgreichen Abschluss bestätigt, sondern vor allem das, was man an der Universität gelernt hat. Und trotz der offensichtlichen Erfolge auf dem Arbeitsmarkt drängt sich aus genau diesen Gründen die Frage auf, wie gut an der Uni St.Gallen tatsächlich gelehrt wird

Forschung konkurrenziert Lehre

Die HSG lässt also einen Zusammenhang vermuten zwischen guter Forschung und der Qualität der Absolvierenden. Doch in näherer Betrachtung handelt es sich um konkurrierende Elemente, denn sowohl Forschung als auch Lehre sind teuer und zeitaufwändig und sollen nach dem Gebot der forschungsnahen Lehre auch noch von denselben Leuten praktiziert werden. Dieser Interessenkonflikt äussert sich sowohl dann, wenn es um die Verteilung der finanziellen Mittel geht, als auch bei der zeitlichen Allokation der Dozenten. Während der letzten zwölf Jahre lag der Fokus der Universität ganz klar bei der Forschung, wobei die Fortschritte, die in diesem Gebiet erzielt wurden, in der Tat beeindruckend sind. Dabei ist jedoch die Weiterentwicklung der Lehre klar in den Hintergrund gerückt und kaum vorangetrieben worden.

Noch mehr drängt sich also die Frage auf, was den HSG-Abschluss tatsächlich auszeichnet. Zuallererst ist die Selektion bei der Aufnahme von ausländischen Studierenden respektive durch das berüchtigte Assessmentjahr ein starkes Mittel, um die leistungsfähigsten Studierenden aus dem grossen Pool aller späteren Arbeitsmarktteilnehmenden herauszufiltern. Gerade die Studierenden, welche sich im Konkurrenzkampf durchsetzen können, werden sich mit grosser Wahrscheinlichkeit auch später im Berufsleben entsprechend zurechtfinden.

Selektion ist nicht genug

Es liegt jedoch auf der Hand, dass wir noch kein Zeugnis einer besseren Lehre vorfinden, wenn es nur ein verhältnismässig kleiner Teil durch die Prüfungen schafft. Selektion mag ein probates Mittel sein, um ein gewisses Niveau aufrecht zu erhalten, darf jedoch keinesfalls das Rezept einer Universität sein, sich als gute Ausbildnerin darzustellen. Was eine gute Ausbildnerin denn ausmachen sollte, ist schlicht und einfach die «gute Lehre». Doch was ist das überhaupt?

Gute universitäre Lehre sollte nicht nur die Vermittlung von Wissen sein, sondern auch die Auseinandersetzung damit schulen. Damit ver- bunden ist die Bildung von verantwortungsvol- len Menschen anstatt der blossen Ausbildung von zukünftigen Funktionsträgern, genauso wie die Vermittlung von Verantwortung gegenüber Wirtschaft und Gesellschaft. Das oberflächliche Büffeln von Folieninhalten, seitenweisen Zusammenfassungen und Hunderten von Kärtchen, alles um schliesslich möglichst das gesamte angehäufte Wissen innerhalb von zwei Stunden im Januar oder Juni wieder auszuspucken, das darf nicht das Ziel sein!

Schöpferisch tätig sein

Selbstverständlich braucht es Grundlagenwissen, Lehrbücher und Texte. Was dabei jedoch mehr Beachtung finden sollte, ist eine aktive Auseinandersetzung mit diesen Inhalten und die viel gelobte und doch zu wenig praktizierte Reflexion, welche unsere Universität als Denkplatz ausmacht. Viele Studierende geben an, dann am meisten zu lernen, wenn sie die gelernten Inhalte auf eine konkrete Aufgabe anwenden müssen, indem sie selbst schöpferisch tätig werden und Resultate in Form von Artikeln, Fallstudien oder Präsentationen generieren. Dass diese Art von Prüfungsform heute zu wenig genutzt wird, hat eine konkrete Ursache: den Aufwand, den sie den Dozierenden und Assistierenden verursacht. Während die Korrektur eines Papers in einem Kurs von 50 Leuten bereits respektabel ist, ist sie bei den beschränkten Kapazitäten in einer Veranstaltung mit 200 Teilnehmenden quasi unmöglich. Wir identifizieren also den Faktor der hohen Anzahl Studierender als Herausforderung an die hiesige Lehre.

Bestehen im digitalen Zeitalter

Ebenfalls Innovation notwendig macht die zunehmende Digitalisierung. Jede Universität muss sich gezwungenermassen die Frage stellen, welchen Mehrwert die Anwesenheit in Vorlesungen im Zeitalter des beinahe uneingeschränkten Zugangs zu Wissen noch bietet. Die HSG als Campusuniversität hat den Vorteil, dass sie eine starke Identität und ein ausgeprägtes studentisches Engagement fördert. Es wäre jedoch naiv zu glauben, dass das klassische Kontaktstudium einzig aufgrund dieser kulturellen Elemente mit einer sich rasant entwickelnden digitalisierten Konkurrenz mithalten könnte.

Selbstverständlich ist an der HSG in der Lehre auch vieles gut. Die starke Praxisorientierung und die anstehende Reform des Kontextstudiums geben Raum für Hoffnung. Dennoch fehlen vielfach die wertschaffenden und nicht ersetzbaren Elemente dessen, was man als den USP des sinnvoll genutzten Kontakts verstehen könnte: Diskussion, dadurch angeregte Reflexion, Austausch zwischen Studierenden und Dozenten und – vor allem – Feedback. Denn es sind genau diese Elemente, welche weder im Internet noch in Büchern vermittelt werden können und den Vorlesungsbesuch attraktiv machen. Es ist die nie endende Aufgabe der Studentenschaft, das Interesse der Studierenden bei unserem wichtigsten Gut stark zu vertreten. Feedback, Diskussion und Reflexion, das sind die Stichworte, die wir uns auf die Fahne schreiben sollten.


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