Wind in den Haaren, der Atlantik voraus

Weltenbummler Claudio Mayer aus Rorschach SG folgt seinem inneren Kompass. Die Peilung: Freiheit und Abenteuer. prisma interviewte ihn via Satelliten-Telefon, was unser Budget fast sprengte, aber jeden Franken wert war.

Wer kennt das nicht? Sinnkrise. Das Bedürfnis auszubrechen. Den Alltag hinter sich zu lassen. Kein Herumsitzen in der Bib mehr. Keine unendlich langen Urteile oder Kommentare über Unternehmung A gegen Unternehmung B im Streit um Betrag XY mehr lesen? Sobald der Alltragstrott einsetzt, steigt auch das Verlangen nach Unbekanntem. Ein Austauschsemester kommt da recht gelegen. Ist es doch der akademische Kompromiss aus Fernweh und Uni-Koller. Wer sind wir aber, wir, deren Alltag durch die inhärente Freiheit eines Studiums bestimmt ist? So wird der Drang zum Ausbrechen geweckt, doch nur die wenigsten machen diesen klaren Schnitt. Claudio Mayer hat es getan und besegelt auf unbestimmte Zeit die Weltmeere: «Wann, wenn nicht jetzt? Das habe ich mir gedacht.» Der sympatische, junge Hobbysegler hat seinen Job beim St. Galler Traditionsunternehmen Gallus an den Nagel gehängt und besegelt jetzt auf unbestimmte Zeit die Weltmeere. Nicht aber aus Langeweile: «Ich hatte fünf sehr spannende Jahre als Maschinentechniker und war stets weltweit unterwegs», erklärt Claudio seine Beweggründe. Ihm war klar, dass auch ein sechstes Jahr sehr spannend und abwechslungsreich sein würde. Was er aber suchte, war ein Abenteuer.

Leinen Los. Segel gesetzt.

Über eine der zahlreichen Segelplattformen hat Claudio schnell einen Platz auf einem Boot gefunden. «Hand gegen Koje, sagt man unter Seglern.» Gemäss dem Abenteurer eine super Variante, um günstig zur See zu fahren. Er hat schnell etwas gefunden. «Das gab mir den Kick, den ich brauchte. Um die Zukunft, wollte ich mich in der Zukunft kümmern.» Vorgesehen war eine Route vom Ärmelkanal Richtung Süden zu den Kapverden und von dort aus über den Atlantik. Bei dieser groben Planung blieb es auch. «Man kann zeitlich und örtlich kaum genauer planen. Wenn es der Crew an einem Ort besonders gefällt, bleibt man auch mal ein wenig länger», erzählt Claudio. Die Reise unter Segeln an sich ist dabei schon das Abenteuer. Es passiert so einiges Unvorhergesehenes. Diese Art zu Reisen ist definitiv nichts für all-inclu-
sive-Touristen. Das erste Boot hat Claudio schnell wieder verlassen. «Ich hatte eine Meinungsverschiedenheit mit dem Kapitän. Ich musste feststellen, dass er nicht wirklich Seekarten lesen konnte», erinnert sich Claudio. Zankapfel war die Tidenberechnung, also das Einbeziehen von Ebbe und Flut bei der Kursbestimmung, um keine Untiefe zu treffen. «Bei 13 Meter Tidenunterschied im Ärmelkanal war mir das zu riskant.» Zwei Tag nachdem er von Bord ging, konnte er dann auf dem Reiseblog seiner alten Crew lesen, dass sie auf einer Sandbank aufgelaufen sind. «Ich habe selber den Hochseeschein und bei solchen Geschichten geht man einfach kein Risiko ein.»

Neues Boot, neues Glück

Eine neue Crew war schnell gefunden. Ein 44 Fuss Katamaran, welcher an einer Regatta über den Atlantik teilnahm. «Da es bis zum Start noch eine Weile dauerte, bin ich in der Zwischenzeit spontan noch quer durch Europa gereist mit dem Zug.» Paris, Lissabon, Madrid, Alicanté bis nach Gibraltar, um nur die groben Linien zu nennen. Wenn man alleine unterwegs ist, liege der Fokus noch viel stärker auf dem Neuen und Unbekannten. Der nächste Schritt auf seiner Reise war vorerst wohl der grösste. «Eine Atlantiküberquerung habe ich noch nie gemacht. Es ist aber schon ein grosser Traum von mir, seit ich segle.» Zum Zeitpunkt des Interviews ist er mitten drin. 300 Seemeilen westlich der Kapverdischen Inseln in Richtung St. Vincent auf den Karibischen Inseln. Der Alltag auf einer solchen Überfahrt klingt nicht gerade nach Erholung und Ferien. «Drei Wochen lang jeden Tag 24 Stunden Segeln», erzählt Claudio. Auf dem Boot herrscht Schichtbetrieb. Ständig ist er Wetter und Wellen ausgesetzt: «Ich habe es mir ehrlich gesagt gemütlicher vorgestellt.» Zwei mal am Tag steht er für vier Stunden am Steuer, stellt die Segel ein, schreibt das Logbuch, überwacht und kontrolliert Schiffsverkehr und Funk. Dazu kommt, das er immer wieder Mal das Deck von fliegenden Fischen befreien muss. «Aber nichtsdestotrotz ist es eine unvergessliche Erfahrung.»

Zwischen Fern- und Heimweh

Lange Reisen bedeuten immer auch Abschied. Vieles zurücklassen um anderes zu entdecken. Natürlich ist es ein leichtes Unterfangen auf die St. Galler Nebelsuppe zu verzichten und im Gegenzug Cocktails an der Sonne zu schlürfen. Freunde und Familie hingegen zurückzulassen kann auf die Dauer auf das Gemüt schlagen. «Im Moment der Abreise hat natürlich die Vorfreude und die Spannung überwogen», erinnert sich Claudio zurück. Der Abenteurer und die Daheimgebliebenen haben sich auf den Abschied eingestellt. «Aber der, der geht, hat es sicher leichter, als der, der bleibt. Familie und Freunde fehlen, klar.» Die neuen Bekanntschaften, welcher er auf seinem Katamaran und auf seiner Reise gemacht hat, sind da eine wilkommene Linderung. «Besonders meine neue Crew besteht aus sehr kompetenten und interessanten Leuten.» Es muss schon ein besonderer Schlag von Menschen sein, welcher sich diesem Abenteuer bereit ist zu stellen. Sie teilen wohl alle einen inneren Kompass, mit ähnlichem Kurs.


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