Wir spielen WTO

Jeden Frühling verbringen Studenten aus aller Welt fünf Tage in St. Gallen und Genf, um eine reguläre WTO-Konferenz zu simulieren und in Verhandlungen über politische, wirtschaftliche und kulturelle Themen ihre Fähigkeiten als Diplomaten und Entscheidungsträger zu schulen.

An manchen der fünf langen Tische geht es heiss her: Mit Inbrunst wettert der Vertreter von Bangla-desh gegen den Vorschlag seines EU-Kollegen, wie künftig der Vertrieb genmanipulierten Saatguts zu regeln sei.

Einiges erschliesst sich dem unbeteiligten Beobachter nicht sofort. Offenbar wird an jeder der fünf Tafeln unter Beachtung einer strengen Verfahrensordnung ein weltpolitisch relevantes, die Wirtschaft und spezifisch den Handel betreffendes Problem diskutiert. Aber warum ist betreffender bengalischer Repräsentant blond? Und wieso erscheinen die Gesichter hier im Raum insgesamt sehr jugendlich?

Man imitiert eine WTO Konferenz

Aber kann man WTO wirklich spielen? Die Lernpsychologen klassifizieren Spiele in sechs Katego-rien, in die sich die Modell-WTO sogar mehrfach einordnen lässt. Mag sein, dass der Spass an der Bewegung eher im Hintergrund steht, und auch der Konstruktionsaspekt kommt (im Gegensatz zu Lego) eher zu kurz, während der abgedroschene Begriff «Lernspiel» voll zutrifft. Weiter werden wie bei Mutter-Vater-Kind zugegebenermassen etwas differenziertere Rollen angenommen und illusorisch – «als ob wir Diplomaten seien» – die echten WTO-Regeln eingehalten.

Von einer solchen theoretischen Konzeption des Spielens ist der wortspielerische Weg zur Spieltheo-rie nicht weit. Sie hat für Verhandlungen ungefähr die Funktion, welche die Wahrscheinlichkeitsrech-nung für das Glücksspiel innehat, auch wenn «Spieltheorie» vielfach eher dunkle Erinnerungen an Tabellen, Bäume und Variablen hervorruft, als dass sie gewinnbringend praktisch eingesetzt werden könnte.

Verschleiern und Enthüllen

Zu einem spannenden Spiel gehört neben ein bisschen Zufall und Glück auch die Option, eine Strate-gie zu entwickeln, zu verfolgen oder sogar zu verschleiern. Interessant ist auch, den heimlichen Plan der Gegenspieler aufzudecken. Bei der WTO-Simulation können also Spieltheoretiker und strategische Manager einmal die Praxistauglichkeit ihrer Studieninhalte zur Disposition stellen. Anwaltsanwärtern und den Generalisten aus dem IA-Lager bietet sich die Möglichkeit, realistisch, aber doch ohne Risiko einen Gegenstand aus allen Perspektiven zu beleuchten, zu diskutieren und schliesslich einen Konsens oder Kompromiss herauszuarbeiten.

Erfahrungen und Eindrücke eines Teilnehmers

Tobias Stickelberger hat letztes Jahr an der Modell-WTO teilgenommen und teilt hier seine Erfahrungen und Eindrücke mit.

Wie kam es dazu, dass du an der Simulation einer international anerkannten Konferenz teilgenommen hast? Warum gerade die Modell-WTO?
Mich als International Affairs Studenten interessieren die internationalen Organisationen, Diplomatie und die Weltwirtschaft naturgemäss. Als ich letzten Frühling das Plakat an der Uni sah, bewarb ich mich spontan. Im Gegensatz etwa zur Modell-UNO sind auch nicht gute Schulnoten gefragt, sondern ein schlauer Essay und Englischkenntnisse. Für HSG-Studenten empfehle ich, den WTO-Kurs im ersten Quartal 09 zu belegen, der gibt Credits, man ist automatisch als Gruppenleiter an der Konferenz dabei und man wird gründlich vorbereitet.

Was hat dir am besten gefallen?
In guter Erinnerung ist mir das echte Konferenzfeeling: Man schläft im Hotel, wird verpflegt, verhandelt formell und informell, schreitet im Anzug durch das WTO-Gebäude in Genf.

Was hat es dir für dein weiteres privates und berufliches Leben gebracht?
Bleibende Kontakte. Wo sonst kommt man so leicht an Kontakte nach Kasachstan, Südafrika oder Harvard? Die internationalen Erfahrungen, die ja vielerorts gefragt sind, lassen sich ganz gut diversifizieren. Auch ein Lerneffekt war da, schliesslich beschäftigt man sich fünf Tage lang intensiv mit demselben Thema.

Wie beurteilst du die Echtheit der Situation? Denkst du, die Modell-WTO hat dich gut für eine spätere richtige Konferenz vorbereitet?
Durch die Reden, die WTO- und andere Wirtschaftsexperten halten, bekommt man zumindest eine Ahnung, ob man eine Karriere als WTO-Diplomat im Auge behalten soll. Das Ambiente ist, glaube ich, authentisch, das Niveau allerdings nicht zu vergleichen mit den richtigen Verhandlungen. So mussten sich die hohen Tiere in der WTO teilweise das Schmunzeln verkneifen, als wir mit ihnen unsere Ergebnisse der Woche besprachen.

Ist die Modell-WTO denn auch für Assessis geeignet?
Sie ist grundsätzlich für alle Stufen geeignet, wenn man entsprechende Interessen hat. Ich war ja selbst ein Assessi und brachte zwar Allgemeinwissen, aber sehr wenig Fachwissen mit. Ich konnte in den Debatten mit den meisten mithalten. Man sollte im Frühling eine Woche Uni entbehren können, aber das ist an der HSG selten ein Problem.


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