Zu Besuch bei der «ZS»

Sie ist die älteste Studentenzeitung der Schweiz. Sie war einmal ein stark nationalistisch geprägtes Blatt, dann eine links-feministische Zeitung. Was die Zürcher Studierendenzeitung – kurz «ZS» – heute ist, versucht Franco Buehlmann zu ergründen.

Die ZS gibt es schon 85 Jahre; 1923 wurde sie unter dem damaligen Namen «Zürcher Student» gegründet. In den 30er-Jahren war die ZS stark nationalistisch geprägt, die Inhalte kamen gemäss eigener Angabe der Propaganda des Dritten Reiches nahe. In den 60er-Jahren war dann die Zeitung plötzlich politisch ganz links und wurde sogar in «Zürcher Studentin» umbenannt.

Andres Eberhard, Redaktionsleiter der ZS, erzählt leidenschaftlich von der bewegten Vergangenheit der ZS. Wir sitzen im Redaktionsbüro. Es befindet sich in einem schmucken dreistöckigen Haus, das sowohl in der Höhe als auch in der Breite von einem extrem grossen Baum überragt und von einem grossen Garten umgeben wird. Die Redaktion besteht aus zwei miteinander verbundenen Räumen. In beiden Räumen stehen wild verteilt Computer, ein paar Flachbildschirme, ein paar Laptops und ein paar alte sperrige Bildschirme. Auffällig sind die blauen Fauteuils und Sofaelemente. Und die vielen Fenster, durch die die Sonne ins Rauminnere dringt. Die Tische sind übersät mit Büchern, Zeitschriften, CDs und sogar Kleidern. Der Boden ebenfalls: alte Computerbildschirme, kaputte Jalousien, Altpapierstapel. Alles in allem ein bisschen unordentlich, ja sogar chaotisch – doch man spürt die Kreativität, die diese Räume erfüllt. Ein absolutes Traumbüro für jeden Studentenverein. Steven, der Geschäftsleiter, haut lässig im weissen ärmellosen T-Shirt in die Tasten.

Männer bis vor drei Jahren nur «mitgemeint»

Andres erzählt weiter und berichtet, dass sich die Zeitung nach dem starken Linkskurs irgendwann nicht mehr für Politik interessierte und wegen eines Inseraterückgangs aufgrund der schwierigen Wirtschaftslage anfangs 2004 aus finanziellen Gründen sogar kurz vor dem Ende stand. Die Zeitung überlebte jedoch und wurde dann im Jahre 2005 in «ZS» umbenannt. Ein unglaubliches Detail verrät mir Andres mit einem Schmunzeln, denn er hat dies noch selbst miterlebt: Bis zum Namenswechsel im Jahre 2005 wurden alle Personenbezeichnungen gemäss der alten – politisch linken – Handhabung ganz im Einklang mit dem Namen «Zürcher Studentin» in der weiblichen Form geschrieben. Diese Praxis ging also sogar über die üblichen Forderungen der feministischen Linguistik nach Splittingformen oder der Verwendung geschlechtsneutraler Ersatzwörter hinaus. Das war sicherlich einmalig in der Schweizer Publikationslandschaft.

Berühmte Männer

Die bewegte Geschichte der ZS wurde auch geprägt von jungen Schreibern, die später prominent wurden. So stammt z. B. das Zitat von Kurt Tucholsky «Wer die Enge seiner Heimat ermessen will, reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte» aus dem «Zürcher Student» vom Mai 1926. Max Frischs erster wichtiger Prosatext «Was bin ich?», verfasst nach dem unerwarteten Tod seines Vaters, ist ebenfalls erstmals im «Zürcher Student» erschienen, nämlich in der April-Ausgabe 1932.

Was wird wohl in 80 Jahren über die heutigen Redaktionsmitglieder zu erzählen sein? Die Crew der heutigen ZS besteht aus einer zehnköpfigen Redaktion – davon drei Redaktionsleitern –, freien Autoren sowie einer Person, die sich um Marketing und Administration kümmert. Weiter wirken Fotografen, Layouter und eine Lektorin an der Entstehung der Hefte mit. Den grössten Anteil der Mitarbeiter machen Phil-I-Studierende aus. Auch Biologie und Jus sind vertreten. Die ZS wird vom so genannten Medienverein herausgegeben und erscheint sechsmal jährlich. Zwischenzeitlich gab der Medienverein noch eine andere Zeitschrift heraus, heute nur noch die ZS. Die ZS ist vollumfänglich werbefinanziert und unabhängig, es gibt keine Subventionen von der Universität. Den Redaktoren werden Löhne ausbezahlt, die durch die Werbeeinnahmen finanziert werden können – das sind einige hundert Franken pro Ausgabe. Die Auflage ist beachtlich: 35’000 Exemplare. Die ZS wird sowohl verschickt als auch aufgelegt. Zudem gibt es einen kostenpflichtigen Abo-Service für Alumni. Inhaltlich ist die ZS weniger politisch als früher, jedoch immer noch kritisch und provokativ. Die goldene Regel in der Redaktion lautet: «Ins Heft kommt nichts Langweiliges – ansonsten drucken wir lieber den Arsch des Produktionschefs.»

Das Produkt ist die Motivation

Nacheinander treffen immer mehr Studierende in der Redaktion ein. Heute Abend ist Redaktionssitzung. Nur wenige merken, dass ich bei der ZS bloss zu Gast bin. Etwa die Hälfte der Ankömmlinge sind nämlich Neulinge, die auch Andres noch nicht kennt. Kurz vor dem Aufbrechen will ich dann doch noch etwas über ihn – den Redaktionsleiter – erfahren. Andres erzählt, dass er neben dem Studium in Publizistik, Wirtschaft und Informatik noch einen 40%-Job als Sportredaktor für eine Regionalzeitung hat. Er arbeitet bereits seit vier Jahren bei der ZS mit und kann sich gut vorstellen, später im Journalismus zu landen, vorzugsweise bei einem Magazin, was aber im Vergleich zur Zeitungsbranche noch umkämpfter ist. Schreiben ist für ihn ein Hobby, als Ausgleich dazu betreibt er Sport, v. a. Unihockey und Fitness. Was für ihn die journalistische Arbeit so besonders macht, ist die Tatsache, dass man als Team eng zusammenarbeiten muss und am Schluss «ein Produkt in den Händen hält».

Alle warten. Nun muss ich langsam einen Abgang machen. Kaum bin ich aufgestanden, werden Feldschlösschen-Dosen in die Tischmitte gestellt. Schnell sind alle Stühle besetzt und eine lebhafte Diskussion startet. Beim Hinausgehen spüre ich erneut die studentische und kreative Atmosphäre, die an diesem Ort vorzuherrschen scheint.

Franco Buehlmann

Kommentar

Die ZS ist originell: unübliches 210×280 Tabloid-Format, Zeitungspapier, kritisch, polarisierend. Die ZS ist provokativer als die durchschnittliche Studentenzeitung, sowohl was Gestaltung, Inhalt als auch den Schreibstil angeht. Die bewegte Geschichte der ZS trägt das ihrige zum Kult-Image der ZS bei. Die Artikel sind authentisch, die Titel provokativ – kurz gesagt: Man merkt, dass der Arsch des Produktionschefs wohl keine Augenweide ist.

Als Leseprobe publizieren wir in dieser Ausgabe des prisma den Artikel «Dem Studium adieu sagen» aus der Oktober-Ausgabe der ZS. Wer mehr ZS lesen möchte, findet alle Ausgaben seit Januar 2006 als PDF auf www.zs-online.ch/zuercher-studierendenzeitung/


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