Es ist nie zu spät, etwas Neues zu lernen. Unter den heranwachsenden Jünglingen der Universität St. Gallen verstecken sich auch einige ältere Studierende. Die etwas reiferen Kommilitonen Thomas Meyer und Daniel Messmer offenbaren uns ihre Beweggründe und Motive.
Haben Sie bereits etwas studiert oder haben Sie bisher gearbeitet?Thomas: Ich habe als Dipl. El.-Ing. FH in den Fachrichtungen Informatik, Computertechnik, Elektronik und Energietechnik abgeschlossen und an der HSG den Executive-MBA HSG absolviert.
Daniel: Vor der Einschreibung an der HSG arbeitete ich einige Jahre. Dazwischen habe ich im Abstand von ein paar Jahren zuerst die Berufsmatura nachgeholt und dann die Passerelle gemacht.
Thomas: Beruflich bin ich seit vielen Jahren im Senior Management tätig, wobei ich bisher mehrheitlich im Ausland tätig war. Bis vor kurzem als Mitglied der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates in einem grossen, weltweit tätigen Konzern mit Gewinn- und Verlust-Verantwortung von 450 Millionen Franken. Dort war ich auch der Präsident einer Stiftung.
Ich zähle zu meinen beruflichen Highlights unter anderem den Aufbau einer neuen Business Unit in den USA, welche heute dem Unternehmen rund 500 Millionen Franken. Umsatz pro Jahr beisteuert. Ein weiteres interessantes Projekt war der Aufbau einer neuen Business Unit in Europa für Grossprojekte. Beide Aufbauprojekte waren in der Energiebranche für die Technologie-Konzerne Siemens und Landis + Gyr.
Sehr spannend war auch das grosse Reorganisationsprojekt, welches ich auf Stufe Konzern-Geschäftsleitung bei einem anderen Unternehmen durchgeführt habe. Mit dem Ziel der Kostenoptimierung haben wir beim Konzern mit rund 20 Firmen alle Prozesse und technischen Tools harmonisiert, alle Firmen vernetzt und alles organisatorisch zentralisiert.
Nebst dem Studium bin ich auch der CEO und VRP einer Firma, welche auf Investments (Private Equity) und Unternehmensberatungen spezialisiert ist.
Daniel: Ursprünglich absolvierte ich eine kaufmännische Ausbildung in einem Industriebetrieb in St. Gallen. Später arbeitete ich in verschiedenen Branchen, unter anderem bei zwei Banken, öffentlichen Verwaltungen, einer Krankenversicherung und im Kantonsspital St. Gallen.
Thomas: Ich bin glücklich verheiratet mit Madeleine. Seit rund 20 Jahren leben wir nun zusammen. Davon auch vier Jahre in den USA, als ich dort für Siemens tätig war.
Daniel: Ich bin alleinstehend und wohne in Wittenbach. Die kurze Pendeldistanz vom Wohnort zu der Uni ist ein grosser Vorteil für mich.
Thomas: Ich studiere an der HSG Rechtswissenschaften. Nebst Management-Themen und dem Engineering interessierte mich dieses Thema schon immer stark. Ich habe bereits die Rechtsabteilung in einem Konzern geleitet und auch sonst war ich in meiner beruflichen Karriere sehr viel mit Rechtsfragen konfrontiert. So habe ich in diversen Sprachen und Staaten sehr komplexe Verträge verhandelt und erstellt, Unternehmen aufgebaut, M&A’s mitbegleitet, und so weiter. Nun nehme ich mir die Zeit, diesen dritten Themenbereich auf hohem Niveau zu vertiefen.
Daniel: Es bestand bei mir immer das Interesse an einer beruflichen Weiterentwicklung. Das Interesse an juristischen Fragen entstand bei den verschiedenen Arbeitseinsätzen, unter anderem im Asyl-Erstempfangs-Zentrum in Kreuzlingen. So fiel die Entscheidung letztlich für die Juristerei.
Thomas: Ich bin in St. Gallen aufgewachsen, habe in dieser Region ein paar Jahre gearbeitet und meine Eltern leben immer noch hier. Ich fühle mich daher mit St. Gallen und der HSG eng verbunden. Diese geniesst einen sehr guten Ruf und ich bin stolz, Teil dieser Community zu sein.
Daniel: Den einfachsten und am wenigsten kreativen Grund: Die geografische Nähe. So kann ich den bisherigen Wohnsitz behalten.
Thomas: Der Altersunterschied ist nicht die primäre Frage. Aufgrund meines Werdegangs sind die Interessen aber meist unterschiedlich. Viele der Studierenden kennen sich noch vom Gymnasium oder vom Assessmentjahr. Dieses Netzwerk fehlt mir natürlich. Trotzdem fühle ich mich wohl und akzeptiert. Auch die Zusammenarbeit bei Gruppenthemen ist sehr angenehm.
Daniel: Ja. Ich war bereits in der Passerelle der Älteste in der Klasse. Es gibt in jeder Veranstaltung immer eine älteste und eine jüngste Person im Raum.
Thomas: Ich bin Mitglied der HSG Alumni, von ELSA und beim HSG Investment Club. Diese Netzwerke sind sicherlich eine geeignete Plattform dafür.
Daniel: Ich bin Mitglied bei ELSA. Bei den verschiedenen Vereinsanlässen hatte ich Gelegenheit, Leute aus der gleichen Studienrichtung kennen zu lernen.
Thomas: Das Bestehen des Studiums hängt grundsätzlich vom erfolgreichen Absolvieren der Prüfungen ab. Lebenserfahrung kann man – bei der Art, wie die meisten Prüfungen im Rechtsstudium gestaltet sind – kaum gewinnbringend einbringen. Das Verinnerlichen der Gesetzesbücher, das Verstehen der Zusammenhänge und die richtige Anwendung derselben ist weitgehend eine Frage des Fleisses. Ich bin es gewohnt, sehr systematisch und diszipliniert an Dinge heranzugehen und ich habe extreme Ausdauer. Man hört oft, mit dem Alter wird das Lernen schwieriger. Ich kann das für mich nicht bestätigen. Ich bin noch immer extrem aufnahmefähig und ausdauernd.
Daniel: Nein, ausser wenn man sich das Studium selber unnötig schwer macht und das Alter als Nachteil ansieht.
Thomas: In der Tat halten mich Studenten anfänglich oft für einen der Dozenten und sprechen mich beim ersten Kennenlernen in den Kursen mit «Sie» an. Das kläre ich dann aber jeweils rasch.
Daniel: In der ersten Englischstunde hielt mich tatsächlich eine Kollegin zuerst für den Dozenten, als ich den Raum betrat. Zu einer ähnlichen Einschätzung kam offenbar auch der Kellner, welcher nach einem gemeinsamen Abendessen der ELSA in einem Restaurant die gesamte Rechnung vor mir auf den Tisch legte. Er erwartete offenbar, dass der Älteste in der Runde alles bezahlt oder zumindest das Inkasso übernimmt. Die Vereinspräsidentin hat diesen Job dann aber mindestens gleich gut gemacht wie ich.
Eine geräumige Küche in einem Altbau mit Panoramablick auf den Campus unserer Universität, gedimmtes Licht,
Kerzenschein und mitten in dieser wunderschönen Stimmung: ein grosser, alter, massiver Holztisch. Die Wohnung wird seit Jahren, wahrscheinlich sogar Jahrzenten, als WG genutzt. Generationen von Studenten sind hier im fliegenden Wechsel ein- und ausgezogen. Wer diesen Tisch mitgebracht hat und wann, das lässt sich nicht mehr sagen. Gut möglich, dass er von Anfang an genau an dieser Stelle stand. Man kann sich nicht vorstellen, dass er jemals an einen anderen Platz gehört hat, so wie er dasteht, mitten im Raum, perfekt in den Erker mit den Fenstern passend. Den Angaben eines Vormieters zufolge ist der Tisch sogar viel wert, ein schweizerisches Designobjekt angeblich und natürlich aus Massivholz und handgearbeitet. Sowas kriegt man heute fast nicht mehr.
Man könnte ihn zu Geld machen, ihn durch ein Teil von Ikea ersetzen, von dem Rest des Geldes in den Urlaub fliegen. Aber das kommt nicht in Frage. Der Tisch ist das Herzstück der WG. Und weil er deshalb auch als Treffpunkt, Esstisch, Beerpong-Table und Verhandlungstisch dient, hat er schon viel miterlebt. Feste wurden gefeiert, Wein wurde getrunken, Monopoly wurde ohne Gnade gespielt, Bachelorarbeiten wurden geschrieben. Erste Küsse wurden verstohlen ausgetauscht, erste Trennungen überwunden. Abschiedstränen wurden geweint und neue Freunde wurden gemacht. Mit «Psychose» wurden alle an ihm in den Wahnsinn getrieben. Die Willkür der Studienadministration wurde besiegt, Firmen wurden gegründet, Imperien wurden aufgebaut und Kriege geschlagen. Lebensentscheidungen wurden getroffen. Geheimnisse wurden anvertraut. Und all das nur, soweit die Erinnerung reicht. Seinen vielen Kerben und Flecken nach hat dieser Tisch noch viel mehr ausgehalten. Heisse Töpfe, betrunkene Schnitzkünste, Bier und sicher auch Körperflüssigkeiten.
An diesem Tisch spielt sich das Leben ab, seit vielen Jahren, für Generationen von Studenten. Ich weiss genau: wenn ich mich in 50 Jahren an meine Studienzeit zurückerinnere, dann werde ich an die Nächte bei gedimmtem Licht, Kerzenschein und Rotwein an diesem Tisch denken.
Es gibt viele HSG-Studierende, deren erklärtes Ziel es ist, in einem Beratungsunternehmen oder einer Bank ihr grosses Geld zu verdienen – und ein breites Lehrangebot, das dieses Bedürfnis nach Wohlstand perfekt bedient. Seit Jahrzehnten bildet die Universität St. Gallen Studierende in Wirtschafts- und Rechtsfächern aus, einen Master in Philosophie oder Astronomie wird nicht angeboten. Da macht es Sinn, dass die Wahrscheinlichkeit grösser ist, einen HSG-Abgänger als CEO im Bankenwesen statt als Abenteurer im Weltall vorzufinden. Doch dass die HSG abwechslungsreich und mehr als ihr Klischee ist, wurde einmal mehr von fünf MOK-Studierenden bewiesen. Sie haben im Frühlingssemester 2017 den Kontextkurs «Visual Storytelling: Von der Idee zum fertigen Kurzfilm» besucht und ein fünf-minütiges Werk konzipiert, produziert und schliesslich als Film-Festivalbeitrag eingereicht – und sich damit gegen zahlreiche Studierende von Filmschulen durchgesetzt.
Das fünfköpfige Filmteam bestehend aus Aline Weber, Anna Szymor, Baris Erdal, Fabian Markun und Violeta Torres weist nicht nur in deren Filmerfahrungen grosse Unterschiede auf. So begann ihre akademische Karriere von Filmwissenschaft, Publizistik, Psychologie, Spanisch bis hin zu Islamwissenschaft mit einer ganzen Bandbreite von verschiedenen Bachelor-Abschlüssen. «Ja, wir sind eine bunte Truppe», meint Anna im Gespräch, «dies zeigte sich auch während der Produktionsarbeiten.»
Zu Beginn des Semesters malten sich alle ein komplett anderes Bild aus, wie der Kurzfilm am Ende aussehen sollte. Vom Kurs vorgegeben war lediglich das Thema «am Rand». Wie sie dies umsetzten, zum Beispiel auch, ob der Film fiktionaler oder dokumentarischer Natur sein sollte, war den Gruppen selbst überlassen. Nach mehrwöchigem Brainstorming und der Hilfe der Dozenten Felix Seyfarth und Marius Born stand das Drehbuch ihres Films «The Caretaker» endlich: Constantin, ein verzweifelter Assessment-Student, wird während der Lernphase vom Hauswart Peter auf die Prüfungen vorbereitet, der sich nach etlichen Jahren im Hausdient der HSG quasi im 42. Semester befindet.
Die Arbeitsphase vom Drehbuch zum fertigen Film gestaltete sich ähnlich wie bei einer gewöhnlichen Gruppenarbeit. Alle Mitglieder übernahmen festgelegte Aufgaben, die bis zum Drehtag erledigt werden mussten, wobei alle in jedem Bereich ein wenig mitwirkten. «Dies ist bei professionellen Filmsets ein wenig anders,» erklärt Baris, der die Kameraführung während den Dreharbeiten übernahm. «Die Arbeit in der Filmindustrie ist normalerweise von einer strikten Hierarchie geprägt. Während den Drehtagen sind wir unseren Rollen schon treu geblieben, aber die passende Musik haben wir beispielsweise alle gemeinsam gesucht.» Rückblickend realisierte das Filmteam, dass während den teils stressigen Drehtagen das Glück sicherlich auch auf ihrer Seite war: Strahlend schönes Wetter begleitete die Filmcrew während der beiden Drehtagen, die Schauspieler Levi Rusterholz und Hans Gysi harmonierten gut miteinander – selbst die alte Latzhose, die kurz vor dem Dreh in einem Keller gefunden wurde, passte dem Hauswart wie die Faust aufs Auge.
Dass ihr Kurzfilm tatsächlich ins Programm eines Festivals aufgenommen, geschweige denn gewinnen würde, damit hatte niemand gerechnet: «Wir wollten uns in Fribourg einfach einen schönen Abend machen und das Festival geniessen, als plötzlich unsere Namen aufgerufen wurden.» Dies sei ein sehr besonderer Moment gewesen, da die anderen Kurzfilme aus Projekten von anerkannten Filmschulen stammten. Doch als bei der Preisübergabe bekannt gegeben wurde, dass der Gewinnerfilm von HSGlern produziert wurde, ertönten Pfiffe aus dem Publikum. Dies schien das Filmteam der Universität St. Gallen allerdings nicht allzu sehr beeindruckt zu haben – sie beschäftigten sich an diesem Abend mehr mit der sicheren Aufbewahrung ihrer Trophäe, die zwei Mal fast zu Bruch gegangen ist. Trotzdem kann an dieser Stelle auch einmal das Bild der toleranten Kunstschaffenden in Frage gestellt werden.
Seit ihrem Erfolg in Fribourg durfte das Filmteam die Verantwortung für einige Videoprojekte der Universität übernehmen. Vor allem Baris kann sich gut vorstellen, in der Zukunft im Filmbereich tätig zu sein. Auch für Violeta ist klar: «Ich will nicht mein Leben lang in einem stieren Büro sitzen.» Doch vorerst würden Anna und Baris gerne als Präsidenten des KinoVereins ein Kurzfilmfestival auf die Beine stellen, um den vielen Filmen, die an der Universität im Rahmen des Kontextstudiums entstehen, eine Plattform bieten zu können.
Auch Felix Seyfarth, Dozent und Leiter des Media Labs, ist der Meinung, dass HSG-Studierende durchaus das Potenzial dazu besitzen, auch im künstlerischen Bereich erfolgreich zu sein: «Die Qualität der Filme, die im Kontextstudium kreiert werden, verbessert sich von Jahr zu Jahr ziemlich drastisch. Die Universität bildet zwar keine Regisseure aus, aber sie kann den Studierenden durchaus kreative Arbeitsprozesse beibringen, was beispielsweise bei einer reinen Management-Ausbildung sonst oft zu kurz kommt.» Trotz fehlender HSG-Studierenden im Weltall bietet die HSG somit weitaus mehr Diversität an, als man auf den ersten Blick vermuten würde.
St. Gallen. Studenten stehen unter Zugzwang – die Ausmusterung steht unmittelbar bevor.
Nun sind wir schon auf halber Strecke, denk ich mir. Die Lernphase droht mich bereits zu überrollen. Der Anfang schien noch ganz gut zu verlaufen, doch es dauerte nicht lange, da hatte ich bereits das Gefühl, den Anschluss verpasst zu haben. Dass alle um mich herum denn Anschein machten, noch auf der richtigen Spur zu sein, machte alles nicht gerade besser. Der lang herbeigesehnte Herbst-Break gibt mir die Möglichkeit, die Weichen neu zu stellen – dachte ich mir zumindest. Fuck. Bereits nach zwei Tagen hing ich meinem fein ausgearbeiteten Lernplan weiter hinterher, als die SBB ihrem Fahrplan im Winter. Ich stehe zunehmend unter Strom und scheine mein Ziel völlig aus den Augen zu verlieren.
Als wäre das nicht schon genug, scheint mein Leben auch neben dem Studium zunehmend zu entgleisen. Jeglicher Verkupplungsversuch meiner Freunde während dem Break endet mit einem Korb. Sobald ich mich auch nur ein wenig aus dem Fenster lehne, werde ich ohne Umwege wieder in die Schranken gewiesen und so scheinen meine Abende alle auf dem Abstellgleis, anstatt im Endbahnhof, zu enden. Da ich nun wirklich keine Möglichkeit mehr bekomme, um auch nur mal kurz ein wenig Dampf abzulassen, widme ich mich doch wieder dem Studium. Ich entscheide mich also die Notbremse zu ziehen und mein Lernverhalten neu aufzugleisen. Es ist an der Zeit, einen neuen Weg einzuschlagen und sich an ein paar Leidensgenossen zu hängen. Leider erscheinen diese nicht mehr erfolgreich zu sein. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten schaffen wir es trotzdem einige Barrieren zu durchbrechen. Kaum haben wir die grössten Baustellen umfahren, beginnt schon die siebte Semesterwoche. Nach dem Alkoholentzug der letzten zwei Wochen fällt mir der Start um 8 Uhr erstaunlich leicht. Es ist aber auch höchste Eisenbahn! Ich nehme mir vor, mich von nichts und niemandem aus der Bahn werfen zu lassen. Nun bin ich am Zug! Ich werde das Ding besser schaukeln als ein Neigezug. Bevor ich mich versehe, nehmen die Dinge wie gewohnt ihren Lauf und als ich es endlich schaffe, mich wieder auf die Vorlesungen und den Prüfungsstoff zu konzentrieren, merke ich, dass ich den Zug, auf den ich seit zwei Wochen so sehnlichst versuche aufzuspringen, bereits schon wieder verpasst habe. Wieder einmal verstehe ich nur Bahnhof.
Pünktlich vor den Prüfungen ist es nun auch Zeit für die alljährlich belehrende Durchsage meiner Eltern. Entweder du raufst dich zusammen oder du wirst dir ordentlich etwas einfahren, hiess es. Als Nachzügler in der Familie habe ich oft mit hohen Anforderungen zu kämpfen und schalte wie gewohnt auf Durchzug. Trotzdem mache ich mich im Eilzugtempo an die letzten Vorbereitungen, um die Verspätung aufzuholen und einen Totalausfall weitestgehend zu verhindern. Langsam erkenne ich Licht am Ende des Tunnels, denn auch die Prüfungsphase wird enden und dann steht schon die nächste Party im Trischli an. Dann ist es auch bei mir soweit und ich kann mein Leben wieder in vollen Zügen geniessen.
Allen Studierenden dieser Universität ist das angesprochene Grundlagenwerk der Künste des Managements bekannt. Es geniesst auch weit weg vom schönen Rosenberg das Ansehen namhafter Denker. Wegweisende Ideen und Konzepte; neue Instrumente zur Gestaltung von Organisationen. Wären wir noch im Mittelalter, würde es wohl von Barden besungen werden. Oder doch nicht? Würde es eher bekämpft und abgelehnt werden?
Auch in der Gegenwart gehen die Meinungen deutlich auseinander. Die wohl schärfsten Kritiker sind mit Sicherheit jeweils jene, die sich gezwungenermassen mit dem SGMM auseinandersetzen müssen, da es fester Bestandteil des Assessmentjahres ist und dementsprechend fleissig auch geprüft wird. Es ist wohl wahr; viele halten es für unsinnig und wirr, unverständlich oder mindestens teilweise zu fern der Realität. Das hat ein Modell so an sich. Betreffende Personen haben wohl eine Karteikarte in ihrem Ärger nicht gelesen: Ein Modell ist eine Vereinfachung der Wirklichkeit. Diese Kritik könnte also falscher nicht sein.
«Die Sprache im SGMM ist ja sowieso unverständlich», ist ein gängiges Klischee. Lange Sätze oder sogar erfundene Worte? Ja, es ist definitiv kein Kinderbuch, soweit kann ich zustimmen. Wer sich über die «erfunden Worte» aufregt, und jene sind zahlreich, hat das Ganze von Grund auf nicht verstanden. Meistens handelt es sich dabei lediglich um eingedeutschte Wörter. Was soll man denn sonst tun? Wollt ihr lieber «enact» statt «verfertigen» verwenden? Es flyen anyway schon way too many Anglizismen über den Campus.
Wenn man dennoch sagt, die Worte seien erfunden – und diese Meinung könnte man teilen – muss man eher vor diesen Kreationen vor Ehrfurcht erstarren, als in einer Überheblichkeit über diese und ihre Schöpfer zu lachen und sie mit «Unsinn» abzustrafen. Diese neuen Worte sind die kommunikative Speerspitze der Eroberung neuer geistiger Länder. Sollen wir denn neue Dinge mit alten Worten beschreiben? Das hat früher vielleicht noch geklappt, als es sich nur um neue Objekte gehandelt hat, die man auch mit anderen Sinnen wahrnehmen konnte, als nur mit dem Geist, dem Gehirn, der kognitiven Kraft (hier sollte ich nun auch ein Wort erfinden: Wird nachgeliefert). Entwickelt sich unsere Sprache nicht weiter durch neue Worte, entwickelt sie sich zurück. Denn wir vergessen sie. Das ist Fakt. Sie sind nicht alt oder nicht mehr zeitgemäss, wir sind einfach entweder zu faul oder zu dumm. Erfänden wir keine neuen Worte, würde unsere Geisteswelt und Gedankenraum verkümmern. «1984» schon gelesen?
Durch das kollektive Lernen des SGMM können wir arbeitsteilig darüber nachdenken und uns darüber austauschen. Einfacher (aber unpräzise ausgedrückt): Wir reden dank des SGMM nicht aneinander vorbei. Das SGMM ist ein neuer kommunikativer Instrumentenkasten zur Lösung der neuen Problemstellungen unserer Zeit (Expertengesellschaft, Wissensverteilung, etc.). Darin finden wir Tools, wie den neuen Schraubenzieher, um die neuen Schrauben anzuziehen, oder jemandem mitzuteilen, dass man einem diesen doch bitte reichen solle. Solche kommunikativen Instrumentenkästen kennt eigentlich jeder von uns, auch ohne das SGMM. Jeder. Das Tragische: Wir anerkennen diese meist, ohne sie als solche zu erkennen.
Zugegeben, diese Kästen wurden nicht wirklich als solche gebaut. Es sind Fantasiewelten und eher Kommunikationsräume als ein Set von Werkzeugen. Sage ich zu einer Person, die mir lieb ist: «I see you» oder «Ich sehe dich», versteht jene Person, welche den Film Avatar verinnerlicht hat, etwas komplett anders, als jene, welche dieses Wissen über diese Fantasiewelt oder diesen Kommunikationsraum mit eigenen Wortkreationen nicht teilt. Letztere würde wohl eher mit: «Sauf noch mehr» antworten. Ersterer würde die tiefste Form von Vertrautheit verstehen, die man ihr damit gestanden hat.
Wer diese Kritik nicht annehmen kann, versteht sie nicht. Oder ich liege falsch. Die Schlacht ist geschlagen: Liebe Assessies und Weitere, versteht endlich das SGMM!
Wenn am Mittwochabend andere anfangen vorzuglühen, treffen sich in der Bodanstrasse eifrige Sprachschüler. Von sechs bis sieben und sieben bis acht finden hier im Sprachenzentrum die Konversationskurse «Schweizerdeutsch A1» statt. Der erste Block ist so überlaufen, dass die Teilnehmer sogar noch auf den Fensterbänken sitzen müssen. Was treibt die Leute zu einer so unchristlichen Zeit in die Uni? «Meines Erachtens ist es sehr wichtig, Schweizerdeutsch zu lernen. Wir studieren in St. Gallen, also müssen wir die örtliche Sprache kennen!», meint Florian. Noemi pflichtet ihm bei: «Verstehen, das ist das Allerwichtigste. Wenn ich eine Arbeit in der Schweiz haben will, muss ich Schweizerdeutsch verstehen.» Respekt und Höflichkeit sowie Interesse an der schweizerischen Kultur, insbesondere der Küche, nennen die Besucher als Hauptgründe. Dementsprechend sind die meisten Schüler deutschsprachige Ausländer, dazu kommen grösstenteils Westschweizer und Tessiner, ausserdem vereinzelte Exoten aus Schweden oder Russland.
Wie wird hier also Schweizerdeutsch gelehrt? Sascha Duric, der neben dem Schweizerdeutsch-Konversationskurs am Sprachenzentrum auch schon Russisch und Kroatisch unterrichtet hat, eröffnet die Stunde mit ein wenig Theorie via Powerpoint. ‚Der’, ‚die’, ‚das’ wird zu ‚de’, ,s’, ‚d’. Und dann geht’s auch schon rein in die Praxis: Die Anwesenden mühen sich ab Schweizerdeutsche Jodel vorzulesen – natürlich nur mit studentisch-relevanten Themen: Olma, Flirten, Fitnessstudio. Keinem gelingt es auch nur einen Satz auf Anhieb korrekt vorzulesen. Wie ein Grundschüler komme ich mir vor, als wir uns dann in Zweiergruppen gegenseitig Sätze mit Präpositionen übersetzen sollen. «Ich gehe in ein Restaurant» will in meinem Kopf nicht zu dem korrekten «Ich gahn ines Reschterant» werden, Gott sei Dank teilt Sascha uns Spickzettel aus.
Schon wird’s regional. Anhand einer Mineralwasserwerbung aus Graubünden, dem Heimatkanton des Dozenten, werden wir auf sprachliche Besonderheiten der Kantone hingewiesen. Angst haben, dass die Kursabsolventen nur im Bündnerland verstanden werden, muss hingegen niemand. Gelehrt und gesprochen wird ein normiertes «Züridütsch», das aufgrund der zentralen wirtschaftlichen und medialen Stellung der Stadt als zugänglicher gilt.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilnahme sind neben der Bereitschaft zum Tragen von Opportunitätskosten, die einem kaum ein Arbeitgeber entschädigt, vor allem solide Hochdeutschkenntnisse. Nur neun Lektionen gibt es pro Semester, da ist es wohl vermessen den Interessierten, aber Unvorbereiteten, gleich zwei Sprachen beibringen zu wollen.
Diesen Hinweis ignorieren aber einige Schüler gerne: «I want to improve my German but regular German courses are during the lectures of the English Assessment track.» Als eine andere Schülerin während
des Kurses den Überblick im ger-
manisch-alemannischen Präpositionen-Dschungel verliert, hilft der Dozent kurzerhand auf Russisch aus.
Bei so viel Schweiss und Tränen sollte es doch eigentlich ECTS-Punkte für diese Leistung geben. «Das wäre natürlich genial!», meint Sascha; linguistisch zu begründen wäre es wohl auch, jedoch stellt sich die Frage nach dem Sprachnachweis und dem Richtig und Falsch. Er verweist darauf, dass ein historischer Prozess der Vereinheitlichung der Sprache, wie etwa im Niederländischen, für das Schweizerdeutsche nie stattgefunden habe. Die grosse Distanz zwischen gesprochener Sprache und Schweizer Hochdeutsch erspart damit den Kursbesuchern wohl zumindest das Pauken.
Die Studentenschaft (SHSG) hat drei Organe: das Studentenparlament (Stupa), den Vorstand und die Rekursstelle. Letztere wird als Judikative aktiv, wenn es darum geht, Rekurse innerhalb der Studentenschaft zu klären. Sie ist nicht mit der universitätsinternen Rekurskommission zu verwechseln, welche lediglich Beschwerden gegen Verfügungen von Universitätsorganen über Prüfungen und Zulassungsfragen auf Rechtswidrigkeit prüft.
Sollte beispielsweise ein Studierender mit den Wahlen nicht einverstanden sein, weil Reglemente nicht eingehalten wurden, kann er bei der Rekursstelle einen Rekurs einreichen. Solche Beschwerden tragen sich selten zu. Im letzten Amtsjahr kam es nur zu einem Rekurs. Die Rekursstelle hat somit im Einzelfall zu überprüfen, ob sämtliche Reglemente eingehalten wurden. Wenn diese Stelle nicht mehr in der Lage ist, selber Reglemente einzuhalten, stellt sich die Frage: Wie kann so etwas passieren?
Wir schreiben den 4. Mai 2017. Die neue Rekursstelle wurde gewählt. Zwölf Tage später bekommen die fünf Mitglieder ein Mail vom Wahlbüro. Es enthält schlechte Nachrichten. Die Wahlen der Rekursstelle seien zwar gültig erfolgt, allerdings stelle deren Zusammensetzung eine Verletzung der Statuten dar. Tatsächlich verstösst die Zusammensetzung gegen Art. 33 Abs. 2 der Statuten der Studentenschaft der Universität St. Gallen. Dieser seltsam anmutende Artikel besagt, dass mindestens ein Mitglied der Stelle ein Jahr in einem anderen Organ der SHSG verbracht haben muss. «Der Artikel ist schlichtweg niemandem aufgefallen», kommentiert Yannik Breitenstein, Vizepräsident der SHSG und Präsident des Wahlbüros seit dem 1. Juni 2017, die Situation. Weder der Geschäftsprüfungskommission (GPK) noch dem Wahlbüro. Die Folge ist: Die Rekursstelle ist in ihrer jetzigen Zusammensetzung handlungsunfähig. Breitenstein hat den undankbaren Job übernommen, die Unachtsamkeit seiner Vorgänger wieder auszubaden.
Die Unkenntnis über die eigenen Statuten lässt das Wahlbüro wie auch die GPK in keinem guten Licht stehen. Die Statuten der SHSG stammen schliesslich aus dem Jahr 2011; sie sind nicht erst von gestern. Dass eine vergleichbare Situation bisher noch nie eingetreten ist, erklärt sich Breitenstein mit der etablierten Nachfolgeregelung in der Rekursstelle. «Sucht man einen Nachfolger, fragt man automatisch bei jenen Leuten nach, die bereits im Stupa oder in einem anderen Organ Einsitz hatten.»
Die ebenfalls aus gewählten Studentinnen und Studenten zusammengesetzte GPK hat die Aufgabe zu überprüfen, ob das Wahlprozedere reglementskonform abläuft und kann dazu, zu jeder Zeit, Einsicht in den laufenden Prozess nehmen – vor wie auch nach den Wahlen. Die Verantwortung für die eigentlichen Wahlen liegt jedoch beim Wahlbüro. In solchen Situationen, wie mit der handlungsunfähigen Rekursstelle, wäre es die Pflicht der GPK – sozusagen als «allwissendes Auge» – zu intervenieren. Wie soll jedoch interveniert werden, wenn einem der besagte Artikel gar kein Begriff ist?
Die Rekursstelle wurde direkt von den Studierenden der Universität St. Gallen gewählt. Die HSGler sind jedoch nicht informiert worden, dass ihre Rekursstelle nun handlungsunfähig ist. Für die Studierenden ist es durchaus relevant, ob
die von ihnen gewählte Rekursstelle im Zwangsurlaub ist oder nicht. Schliesslich handelt es sich dabei um ihre Anlaufstelle, sollten Beschwerden aufkommen. Der SHSG erschien es jedoch nicht angebracht, darüber zu informieren.
Breitenstein erklärt sich diese Tatsache damit, dass es sowieso nur wenige Rekurse gibt. Weiterhin standen zahlreiche weitere Wahlen bevor und man wollte den tadellosen Ablauf dieser nicht gefährden. Zu guter Letzt hat die Handlungsunfähigkeit der Rekursstelle nur einen bedingten Einfluss auf das Verfahren: Bei einem Rekurs gelangt der Rekurrent direkt zur nächsthöheren Instanz.
Als Lösung schlug das Wahlbüro der Rekursstelle folgende Option vor: Die Mitglieder sollen geschlossen von ihrem Amt und der Wahl zurücktreten und ein Nachrutschen ausschlagen. «Wir hielten dies für die fairste Variante, da alle wieder die gleiche Chance hätten, zu kandidieren», kommentiert Breitenstein den Lösungsvorschlag. Einige Mitglieder schrieben daraufhin zurück, dass sie nur zurücktreten, wenn die anderen sich anschliessen würden. Ein Mitglied meldete sich gar nicht.
Eine Absetzung der Rekursstelle hält Breitenstein für ein «schlechtes Vorgehen, da der Fehler bei der GPK und beim Wahlbüro liege». Davon rate er deshalb dringend ab.
Momentan ist ein Treffen mit allen Beteiligten geplant, um gemeinsam eine Lösung zu finden. «Solange Einzelne nicht mitspielen, können sie Ende Jahr gerne in ihren CV schreiben, dass sie in einer handlungsunfähigen Rekursstelle gedient haben», meint Breitenstein.
Die Causa «Rekursstelle» könnte schon bald geklärt werden: Jemand aus der Rekurstelle wurde an den vergangenen Wahlen ins Parlament gewählt und tritt somit per sofort zurück. Rücktritt und Wahlen sind in den Statuten für die Rekrursstelle nicht geregelt. Deshalb besteht die Möglichkeit eine Nachwahl für die einzelne Stelle anzusetzen, ohne das eine weitere Person zurücktreten muss. Konkret: Die Judikative der SHSG könnte schon bald wieder handlungsfähig sein.
Wir alle haben die eine oder andere Bekannte, die einmal, als sie klein war, ins Ballett ging. Ohne den Gedanken schon nur zu Ende zu führen, hat man das stereotypische Bild eines dreijährigen Mädchens im rosaroten Kleidchen mit Krone im Kopf. Dafür soll der Unisport ein Angebot haben? Ich entschied mich also diesem Klischee auf den Grund zu gehen.
Aus dem Selbstexperiment lassen sich mehrere Schlüsse ziehen. Lasst mich aber noch kurz ausholen: Nach 16 Jahren Training, vier Jahren professioneller Arbeit und einer gefühlten Ewigkeit an verbrachten Stunden im Studio habe ich wohl eine ganz andere Sicht auf eine Ballettstunde an der HSG. So entschied ich mich, die Stunde in Begleitung einer Kollegin, die bisher noch keine Erfahrungen sammeln konnte, zu besuchen. Die Resultate waren überraschenderweise ähnlich: Wir beide waren uns über die Selbstzufriedenheit einig. Sie mit dem Einblick in eine unterschätzte Welt und ich mit dem Fund eines Raums, in dem ich einerseits meiner Leidenschaft freien Lauf geben kann und andererseits an meiner Technik feilen kann – ohne, dass es zu komplex sein muss. Das Niveau variiert von Anfängern bis Profis, doch jeder findet sich zurecht und kann das Maximum aus den 75 Minuten herausholen. Man sollte nicht behaupten, dass ein Anfänger sich sofort wohl fühlen wird und den eigentlichen Sinn dahinter sehen würde, oder dass der Trainingsplan eines Profis mit dieser einen Stunde ausgelastet wäre. Für den Spass und die Abwechslung vom Studium ist es den ach so weiten Weg ins Sportgebäude trotzdem wert.
Stell dir vor, du kommst in den Trainingssaal. Alle haben ihre Haare gebunden. Du merkst sehr schnell, dass dein T-Shirt, mit dem du raffiniert deinen mit Pasta gefüllten Magen verdecken wolltest, im Vergleich viel zu weit ist. Du bist die einzige Person mit diesem Problem. Stillschweigend begibst du dich in Richtung eines an der Wand befestigten horizontalen Rohrs. Du stellst deine Sporttasche neben dir auf den Boden. Dann siehst du aus dem Augenwinkel wie eine junge Dame rechts von dir ihr Bein nach oben schwingt und es mit der anderen Hand fängt. Ihre Hüfte knackt dabei. Dir tut es schon vom Zuschauen weh. Du erschrickst, lässt es dir aber nicht anmerken; dafür ist dein Ego zu gross.
Wie der Rest im Raum machst du Anstalten dich aufzuwärmen. Aber sowohl deine Bemühungen, ein Bein aufs Rohr zu bringen, als auch der Versuch mit den Fingerspitzen den Boden zu berühren, scheitern. Als du langsam aufgeben willst, kommt die Lehrerin in den Saal – alles wird still. Sie begrüsst euch und zeigt die erste Übung. Du denkst dir, dies sei ja wohl «bubi-leicht»: Squats mit ausgedrehten Füssen – für das musst du nun echt nicht so beweglich sein. Voll überzeugt und mit neuem Selbstvertrauen führst du die erste Übung zu einer Klavierbegleitung durch. Plötzlich treffen deine Augen eine Figur, die dir ähnlich sieht und sich auf der anderen Seite des Raums befindet. Sie trägt die gleichen Kleider wie du, doch tanzt sie wortwörtlich aus der Reihe. Schnell fällt dir auf, dass es sich um dein Spiegelbild handelt und deine Bewegungen gar nicht so graziös aussehen wie gedacht. Natürlich muss das selbstbewusst heruntergespielt werden – einfach cool bleiben.
40 Minuten sind vorbei. Verschwitzt begibst du dich mit allen anderen in die Mitte. Kombinationen aus Sprüngen, Drehungen und Ständen werden vorgegeben. Als dir schliesslich jegliche Koordinationsversuche misslingen, ist die Stunde vorbei. Du bist am Ende deiner mentalen und physischen Energie. Trotzdem durchdringt dich ein Gefühl der Zufriedenheit. Die Anmerkungen der Lehrerin, trotz vieler unbekannter französischer Wörter, konntest du einigermassen zuordnen und sogar ein «gut» oder «besser» abstauben. Zufrieden verlässt du den Spiegelraum.
Tänzer haben es nicht leicht. Die gestreckten Beine und unzähligen Drehungen, sind alles andere als ein Kinderspiel. Dabei muss man noch so tun, als wäre die Welt voller Regenbogen und Sonnenschein, ausser man tanzt Julia und findet einen toten Romeo neben sich liegen. Ob es nun deine Zehenspitzen überleben, oder man sie schon gar nicht mehr spürt vor Schmerz, interessiert den rationalen Zuschauer nicht – er will einen schönen Abend haben und nicht um das Wohlergehen der Künstler bangen müssen. Um diesen Hochleistungssport betreiben zu können, muss man sich nicht nur Choreografien merken und regelmässig trainieren. Wichtig sind auch Kraft und Ausdauer, die unter anderem durch Pilates gestärkt werden, wie auch die richtige Technik, um den Energieverbrauch während einer Choreografie besser einzuteilen. Tägliches Training erfordert physische Stärke, psychischen Willen und Überzeugung, mit jedem Schritt das Richtige zum richtigen Ton oder Takt zu tun.
Wieso soll sich jemand, der zukünftig kein weisser Schwan sein will und nicht schon seit jungen Jahren Ballett tanzt, zu einem solchen Kurs-Besuch entscheiden? Hierüber lässt sich streiten, doch Ballett ist gesund. Ich spreche hier nicht von Überbeweglichkeit oder der Tatsache, dass sich das Körpergewicht die meiste Zeit auf einer Plattform von 5 cm2 befindet – es geht vielmehr um den mentalen Aspekt. Die klassische Musik wirkt beruhigend und fördert die Konzentration. Das Merken von Übungen und Schrittkombinationen fördert das Kurzzeitgedächtnis und fordert es mit etwas anderem als Matheformeln heraus. Das Erlernen von Choreografien verbindet Gehörtes, Gefühltes und Gesehenes. Es werden Hauptsächlich kleinere Muskeln trainiert, was zur allgemeinen Körperhaltung und -spannung beiträgt.
Ballett gilt als Basis aller Tanzstile. Obwohl es scheint, dass alles Klassische altmodisch und langweilig ist, wird man in jedem anderen Tanzkurs eine Referenz zu der von Louis XIV begründeten Art von Tanz hören. Das zeigt, wie wichtig dieser eine Tanzstil für die Herausbildung aller modernen Tänze ist. Man sollte das Ganze nicht unterschätzen. Glücklicherweise ist unsere Universität so vielfältig, dass sie auch solche Kurse anbietet.
Bist du bereit für etwas Neues oder für etwas, dass du dich bisher noch nicht getraut hast? Ballett findet jeweils dienstags von 14 Uhr bis 15.15 Uhr im Fitness-Saal 3 statt.
An unserer Haustüre klingelt es. Mein Handy zeigt 2 Uhr morgens. Ich höre, wie es in den Wohnungen nebenan ebenfalls klingelt. Im Halbschlaf denke ich mir, dass wohl irgendein Besoffener seinen Schlüssel vergessen haben muss. Ich drehe mich einmal im Bett um und schlafe weiter. Kurze Zeit später schrecke ich wieder im Bett hoch: Gepolter im Gang vor meinem Zimmer. In einer Männer-WG ist daran nichts merkwürdig. Da kommt häufiger einer der Kumpanen nach einer längeren Feier-Session erst früh am Morgen wieder nach Hause. Da ich mich schon in vergleichbarer Situation wiedergefunden habe, denke ich mir nichts dabei und schlafe wieder weiter.
Es ist 8 Uhr. Ich stehe auf, laufe aus dem Zimmer und sehe mich mit einer offenen Wohnungstüre konfrontiert. Vielleicht ist jemand gerade in die Waschküche runtergegangen und hat vergessen die Türe zu schliessen? Ich schliesse sie und laufe in Richtung Küche. Die Zimmertüre meines WG-Mitbewohner ist ebenfalls sperrangelweit offen. Drinnen schnarcht jemand lautstark. Muss wohl mein Mitbewohner sein, der es sich gut gehen liess. Wieder denke ich mir nichts dabei, mache mir einen Kaffee und laufe in mein Zimmer zurück. Kurze Zeit später klopft es an meiner Zimmertür. Mein anderer Mitbewohner steht davor und schaut mich verwirrt an: «Wer ist das im Zimmer von Roger?» Ich schaue verwirrt zurück und antworte: «Ähm… der Roger, oder?» Das sei nicht unser Mitbewohner, sondern jemand anderes. Mit dem Herz in der Hose gehe ich an ihm vorbei, trete ins Zimmer von Roger, blicke auf sein Bett und erblicke dort eine völlig fremde Person, die uns noch niemals – nicht einmal Roger – unter die Augen gekommen ist. Nach einem Besuch der Polizei, welche den ungebetenen Gast mit aufs Revier nahm, bleibt als Fazit der ganzen Geschichte: Vergesst auf keinen Fall – nicht einmal in der friedlichen Schweiz – eure Wohnungstüre abzuschliessen!